Über Zivilgesellschaft und Bürgerengagement sprach die DAZ-Autorin Sylvia Scholz mit der Direktorin des Instituts für Entwicklungszusammenarbeit Inessa Franz. Sie gehört zu den Organisatoren der Messe „Aktive Zivilgesellschaft – starkes Kasachstan“, die im März in Almaty durchgeführt wurde.

Sie luden nun schon zum dritten Mal zu einer solchen Messe ein. Worin bestand für Sie in diesem Jahr das Ziel?

Ich sehe den Sinn dieser Messe vor allem darin, die Aufmerksamkeit der Bevölkerung auf die Existenz sozial wichtiger Projekte zu lenken, welche von verschiedenen nichtkommerziellen, gesellschaftlichen Organisationen und Vereinen organisiert werden. Eine der Hauptaufgaben der Messe ist dabei, „Käufer und Verkäufer zusammenzuführen“. Die Organisationen präsentieren ihre Projekte, und die Unternehmen und Stiftungen, welche staatliche Strukturen finanzieren, wählen hier ihre Partner aus und entscheiden, in welche sozialen Projekte sie bereit sind, Geld zu investieren.

Wer ist Ihre Hauptzielgruppe?

Wir richten uns zum einen an Unternehmen, die bereit sind, soziale Verantwortung zu übernehmen, zum anderen an die staatlichen Organe, die aufgefordert sind, die Entwicklung öffentlicher Initiativen und sozialer Projekte zu unterstützen, sowie an die kasachischen NGOs, Initiatoren eben dieser Projekte.

Gibt es einen Unterschied zu den zwei vorangegangenen Messen? Konnten Sie eine Entwicklung bemerken?

Ja. Zuallererst hatte natürlich jede Messe ihr eigenes Thema. Zum zweiten habe ich den Eindruck, dass die beiden vorherigen Messen besser besucht waren. Für ihre weitere Zukunft benötigt die Messe unbedingt eine solide Finanzierung. Des weiteren sollte die Zahl der Auszeichnungen für die besten vorgestellten Projekte meiner Ansicht nach erhöht werden. Außerdem müsste sich auch deren Qualität verbessern. Die Organisatoren der Messe haben ein hervorragendes Konzept erarbeitet, viel freie Zeit und eigenes Geld in ihr Zustandekommen investiert. Wenn jedoch Unternehmen, internationale Sponsoren und kommerzielle Organisationen kein Interesse zeigen, wird es schwer für uns, die Messe professionell weiter zu entwickeln.

Wie weit hat sich der NGO-Sektor in Kasachstan bereits herausgebildet? Kann man hier schon von einer Zivilgesellschaft sprechen? Gibt es so etwas wie Bürgerbeteiligung in Form von Bürgerinitiativen?

Nach Ansicht unabhängiger internationaler Experten befindet sich die Zivilgesellschaft in Kasachstan erst ganz am Anfang ihrer Entwicklung. Wir können schon einen gewissen Erfolg verzeichnen, aber es ist ganz offensichtlich, dass 15 Jahre nicht ausreichen, um eine Zivilgesellschaft zu schaffen, die dem internationalen Niveau der westeuropäischen Staaten entspricht. Die Herausforderungen, vor denen unsere Gesellschaft heute steht, sind beispielsweise das Nichtexistieren örtlicher Selbstverwaltung und die geringe Bürgerbeteiligung bei wichtigen staatlichen Entscheidungen. Ein weiteres Problem ist die schwache Beteiligung der Öffentlichkeit, zivilgesellschaftlicher Institutionen und unabhängiger Forschungsinstitute an der Erarbeitung und Evaluierung sozialer Programme auf regionaler und nationaler Ebene. Die nächste Schwierigkeit liegt in der Finanzierung von Bürgerinitiativen. Der Wohltätigkeitssektor und die damit verknüpften kulturellen Initiativen sind bisher nur rudimentär entwickelt. Gesellschaftliche Organisationen und Aktivitäten erhalten keinerlei finanzielle Unterstützung von Seiten der Bevölkerung. Sehr gut dagegen funktioniert die staatliche Finanzierung sozialer Projekte. Allerdings wird der institutionelle Aufbau gesellschaftlicher Organisationen von Seiten des Staates nicht unterstützt. Weitere, bisher noch ungelöste Fragen betreffen Korruption und Geldwäsche, es fehlt ein Mechanismus öffentlicher Kontrolle.

Welche sozialen Probleme sind Ihrer Ansicht nach besonders dringlich in Kasachstan?

Der Kampf gegen Armut, Korruption, eine Reihe wichtiger ökologischer Probleme, Infektionskrankheiten wie Aids, Tuberkulose und Hepatitis sowie Menschenrechte.

Auf der Messe fand ein Runder Tisch zur Rolle der Medien bei der Entwicklung der Zivilgesellschaft statt. Wie bewerten Sie die Bedeutung der Massenmedien bei der Schaffung einer kasachischen Zivilgesellschaft? Kann man von Zusammenarbeit sprechen?

In gewisser Weise ja, viele Medien kommen uns entgegen. Es gibt etliche Beispiele für gutes Zusammenarbeiten. Probleme mit denen wir noch zu kämpfen haben, sind Mythen über Nichtregierungsorganisationen, die im öffentlichen Bewusstsein immer noch vorhanden sind  und vor einigen Jahren von bestimmten Medien in Umlauf gesetzt wurden. Diese stören die Weiterentwicklung und Ausbreitung von NGOs, sowie das rechte Verständnis von deren Rolle in der Öffentlichkeit, nämlich die Lösung sozialer Probleme sowie die Mobilisierung von Leuten zu deren Lösung. Eines der am weitesten verbreiteten Missverständnisse ist die Ansicht, dass NGOs die Orange Revolution in der Ukraine herbeigeführt hätten. Ein weiterer Irrtum besteht darin, zu glauben, dass NGOs von westlichen Strukturen finanziert werden, die hier rigoros ihre Interessen voranbringen wollen. Außerdem setzen viele NGOs mit Opposition gleich. Aber es gibt Tendenzen, die darauf hinweisen, dass sich die Situation langsam ändert.

Das Thema eines anderen Runden Tisches auf der Messe betraf die soziale Verantwortung von Staat und Wirtschaft. Woher nehmen Sie Ihren Optimismus, dass die Wirtschaft ihre soziale Verantwortung erkennt, wenn selbst der Staat selbige nicht wahrnimmt und beispielsweise Lehrer extrem unterbezahlt? Warum glauben Sie, dass sich die Meinung der Unternehmer ändern wird?

Es stimmt natürlich, dass wir noch vor vielen Problemen stehen, aber wir hoffen, dass sich das ändert. Warum? Weil es viele gute Menschen in den staatlichen Strukuren, in Wirtschaft und bei den NGOs gibt, die daran arbeiten.

Inessa Franz, vielen Dank für das Gespräch.

13/04/07

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