Seit die Herren Volt, Ampere, Ohm und andere vor fast 200 Jahren die Eigenschaften der damals neuen Erscheinung, die man heute Strom nennt, entdeckten, und solch ein Genie wie Werner von Siemens auf dieser Grundlage elektrische Maschinen und Geräte baute, haben wir uns alle in die kaum noch bemerkte Abhängigkeit vom Strom begeben. Kaum zu Hause oder auf der Arbeit angekommen, werfen wir den Lichtschalter um, stellen Radio, Bügeleisen oder Computer an. Den Strom dazu bekommen wir aus der Steckdose. Bequemer geht’s nicht!
Sicher hat der moderne Bürger das Recht, nicht lange über die Prozesse der Entstehung und Bereitstellung der unterschiedlichsten Waren nachdenken zu müssen. Schließlich ist er selbst Teil der arbeitsteiligen Gesellschaft und stellt den anderen seine spezialisierte Leistung über den Markt ebenso selbstverständlich zur Verfügung. Das ist beim Strom nicht anders, und dennoch ist dieser etwas Besonderes. Zum einen weil wir alle und fast jederzeit von ihm abhängig sind, meist ohne es zu merken. Zum anderen, weil die Stromerzeugung technisch eine ziemlich komplizierte und vor allem teure Angelegenheit ist, die zudem noch die Umwelt sehr stark belastet.
In Kasachstan gibt es nun seit geraumer Zeit Diskussionen unter Experten, wie es mit der Stromerzeugung weitergehen soll. Das Thema hat auch auf der internationalen Investorenkonferenz eine Rolle gespielt, die kürzlich in Atyrau stattgefunden hat. Der Ausgangspunkt ist ein sich anbahnendes Defizit in der Stromversorgung, das sich wiederum negativ auf die ehrgeizigen Industriealisierungspläne Kasachstans auswirkt. Aber auch für das normale Leben des einfachen Bürgers bleibt das Stromdefizit nicht ohne Folgen. Der „Otto-Normalbürger“ könnte schon bald – noch öfter als heute – beim Klick auf den Schalter zwar das Klicken vernehmen, nicht aber die künstliche Sonne über sich erstrahlen sehen. Seit 2002 ist der Stromverbrauch hierzulande um etwa ein Drittel gestiegen, die Produktionskapazität aber ist fast unverändert geblieben (plus 3,5 Prozent). Also, einfache Schlussfolgerung: die vorhandenen Reserven optimal ausnutzen oder mehr investieren.
Das Problem hierzulande ist, dass private Investitionen in die Energiewirtschaft – die Errichtung eines mittelgroßen Kraftwerks kostet durchaus mehrere Milliarden US-Dollar –nur sehr zögerlich vorgenommen werden. Der Staat stellt durchaus bestimmte Summen bereit, doch diese können das Problem naturgemäß nicht lösen. All die vielen Investitionsprojekte, deren Realisierung wünschenswert und auch wirtschaftlich sinnvoll wären, übersteigen bei weitem die Investitionskraft Kasachstans. Also müssen private ausländische Investoren her, zumal Geld in der Welt insgesamt durchaus nicht knapp ist. Und hier liegt das Problemchen. Natürlich wollen die Investoren im Verlauf einer angemessenen Frist, die bei Kraftwerken sehr lang ist – in der Regel nicht unter 20 Jahren – ihre investierten Mittel samt eines Minimalgewinns zurückbekommen. Das aber müssen die Preise der verkauften Ware, in diesem Falle die Stromtarife, auch hergeben. Genau das aber tun sie nicht: Sie sind zu niedrig. Ihre Erhöhung ist ein heikles Thema, das mehr politische, als wirtschaftliche Komponenten hat. Die vielen Preis- und Tariferhöhungen der letzten Monate haben auch hierzulande einen „Inflationsmissmut“ ausgelöst und vor allem die Leute mit geringem Einkommen finanziell weiter in Bedrängnis gebracht. Die aktuellen Stromtarife aber decken im Moment gerade so die Selbstkosten, und damit kann man keinen Investor anlocken. Auch auf die Gefahr hin, dass ich wieder „moralische Schläge“ bekomme: die Stromtarife müssen rauf; etwa auf das Doppelte von heute. Wir bezahlen in Almaty im Moment etwa 5 Eurocent für eine Kilowattstunde verbrauchten Stroms, in Deutschland liegt diese Größe beim Vier- bis Fünffachen, natürlich bei höherem Durchschnittseinkommen. Sicher sind Berechnungen mit einer Erhöhungsaussage unpopulär, die Alternative dazu ist jedoch, dass wir in einigen Jahren immer öfter nur das Klicken des Schalters hören.
Die aktuell in Kasachstan geführten Diskussionen um die Energiepolitik haben den entscheidenden Nachteil, dass sie ausschließlich unter Experten geführt werden. Für die Mehrheit der Bürger kommt der Strom nach wie vor einfach aus der Steckdose. Es wird von den Experten also kaum der Versuch unternommen, Verständnis für die Notwendigkeit der Preiserhöhung zu erzeugen. Die Preiserhöhung wird wohl wieder über das Volk hereinfallen, wie anderswo eine Heuschreckenplage. Und noch einen Mangel hat die aktuelle Expertendiskussion: viel zu wenig werden die Möglichkeiten der Energieeinsparung und der rationellen Energieanwendung diskutiert und dem Volk kommuniziert. Hier aber liegt ein wesentlicher, wenn auch nicht der alleinige Schlüssel für die Lösung des Strombereitstellungsproblems zumindest für die nächsten fünf bis zehn Jahre. Allein die umfassende Umrüstung der Beleuchtung auf in der Welt längst übliche Energiesparlampen könnte den Bau eines mittleren Kraftwerkes überflüssig machen. Aber immerhin: unter den Experten wird auch darüber schon seit einiger Zeit gesprochen.
Bodo Lochmann
27/06/08