2019 jährt sich die Gründung der ASSR der Wolgadeutschen zum 95. Mal. Aus diesem Anlass nimmt „Volk auf dem Weg“ in einer Beitragsserie verschiedene Aspekte der wolgadeutschen Kulturgeschichte, insbesondere in den Jahren von 1918 bis 1956, unter die Lupe. Wir übernehmen den Artikel mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

Kunstmaler Jakob Weber (1870-1958)
Kunstmaler Jakob Weber (1870-1958)

Auch das Wirken der wolgadeutschen Künstler war aufs engste mit der Entwicklung der Kultur in der Wolgarepublik verbunden. Seit Ende der 1920er Jahre entstanden in der Republik mehrere Künstlerateliers, vor allem in der Hauptstadt Engels und den umliegenden Orten wie Balzer, Marxstadt, Krasny Kut u.a. Unter den Leitern der Ateliers waren unter anderen die Wolgadeutschen Jakob Weber, Wilhelm Michaelis, Richard Fink, Paul Rau und ihre Schüler. Die Republik entsandte ihren Nachwuchs an die Kunsthochschulen in Saratow und Pensa sowie an die Kunstakademie in Leningrad. Danach kehrten die meisten in das Wolgagebiet zurück und setzten hier ihre kreative Tätigkeit fort. Es wurden republikweite Ausstellungen in Engels und Saratow veranstaltet, einige Künstler zeigten später ihre Werke in Moskau, Leningrad und anderen Großstädten. Selbst die Verhaftungen in den Jahren 1937-1938 konnten den Prozess der künstlerischen Entwicklung nicht aufhalten. Wilhelm Michaelis (geb. 1912 in Pokrowsk) studierte bis 1938 Kunst in an der Kunstakademie in Leningrad. Im gleichen Jahr wurde er zum Vorsitzenden des Künstlerverbandes der ASSR der Wolgadeutschen gewählt. 1941 deportierte man ihn nach Kasachstan, wo er seine künstlerische Laufbahn fortsetzen konnte.

Lesen Sie auch: Deutsche Musik- und Theaterkultur an der Wolga

Der Kunstmaler und Pädagoge Richard Fink studierte an der Kunsthochschule in Pensa, unterrichtete danach bildende Kunst in Engels widmete sich der historischen Malerei. 1929 organisierte er gemeinsam mit Jakob Weber die zweite Ausstellung der Künstler der ASSR der Wolgadeutschen. 1937 fiel Fink den politischen Repressionen zum Opfer.

Paul Rau (1897-1930) war hauptsächlich in den Bereichen Archäologie und Volkskunde tätig, hat aber auch als Zeichner bleibende Spuren hinterlassen. Er illustrierte die erste deutsche Fibel der Wolgarepublik und die Publikation „Wolgadeutsche Volkslieder mit Bildern und Weisen“. Rau war einer der drei Abteilungsleiter des Zentralmuseums der ASSRdWD und trug maßgeblich dazu bei, die Museumssammlung ständig zu erweitern – unter anderem durch Werke von Jakob Weber und anderer Künstler des Wolgagebiets. 1927 organisierte er die erste Kunstausstellung der ASSR der Wolgadeutschen in Engels und stellte selbst mehrere Graphiken aus.

WD_kunst_weber_abenddaemmerung
Jakob Weber: Abenddämmerung

Zu großem Ansehen in ganz Russland und darüber hinaus brachte es der Kunstmaler Jakob Weber (1870-1958). Im Mittelpunkt seiner gesamten Kunst stehen die Wolga, ihre Landschaft und das Leben am und auf dem Fluss. Ein Großteil der Kunstwerke von Weber (ca. 180 Arbeiten) sind in den Wirren der beiden Weltkriege abhandengekommen. Aber auch die etwa 150 Malereien und Grafiken, die der Nachwelt erhalten geblieben sind, stellen einen unschätzbaren künstlerischen Wert dar.

In Balzer geboren, studierte er Kunst in Saratow, Moskau, Pensa und St. Petersburg und hatte Erfolg bei den traditionellen Wanderausstellungen der russischen Künstler. Mit dem Bild „Wolgaufer bei Saratow“ (1894) gewann er auf der Jubiläumsausstellung zum 300. Gründungstag von Saratow den ersten Preis. 1902 bekam er das Bauernstipendium für die Skizzen der Wolgalandschaften, drei davon wurden für das Museum der Akademie der Künste angekauft. Im Ersten Weltkrieg wurde Webers Privatschule geschlossen und seine Gemälde, signiert mit dem deutschen Namen, nicht mehr zu Ausstellungen zugelassen.

Lesen Sie auch: Russlanddeutscher Samisdat

Die Schaffensperiode 1918-1937 war die fruchtbringendste Zeit in Webers Schaffen und seiner pädagogischen Tätigkeit. In der deutschen Wolgarepublik war er ein geachteter Mann und ein gefragter Künstler. 1933 wurde ihm der Ehrentitel „Verdienter Künstler der ASSRdWD“ zuerkannt und eine lebenslange Rente festgelegt. An ihn trat man mit verschiedenen Aufträgen heran: Unterricht, Organisation Gründung von Kunstschulen, Leitung von Studios oder Seminaren, Illustration von Lehrbüchern und anderen Publikationen. Das Zentrale Museum der ASSRdWD (heute Heimatkundemuseum Engels) besaß schon vor dem II. Weltkrieg eine Sammlung von etwa 22 Werken von Weber anlegt. Bei der 1. Ausstellung der wolgadeutschen Künstler in Engels 1927 waren 30 von 100 ausgestellten Gemälden von Weber.

Die 2. Ausstellung 1929 brachte ihm nicht den erwarteten Erfolg ein, denn die Landschaftsmalerei wurde zu der Zeit bereits als „ideologisch feindliche Kunst“ heftig kritisiert. 1938 wurde Weber wegen „konterrevolutionärer Propaganda und Agitation“ verhaftet und als „Volksfeind“ nach Kasachstan ausgesiedelt. Seine Kunstwerke im Zentralen Museum Engels wurden zuerst in einer Scheune gehortet, bis sie dann ganz verschwanden. Als Künstler wurde Weber auch in der Nachkriegszeit noch jahrzehntelang totgeschwiegen. 1956 wurde er rehabilitiert und starb zwei Jahre später in Ziwilsk/Wolga. Erst in den 1990er Jahren wurde im Heimatkundemuseum Engels eine Sammlung aus 30 Gemälden von Jakob Weber als ständige Exposition eröffnet. Heute sind es etwa 40 Bilder aus verschiedenen Schaffensperioden des Malers.

Nina Paulsen

Teilen mit: