Was man nachmittags am Schymbulak so in der Gondel erlebt. Ein Beitrag aus unserer neuen Rubrik „Almatiner Alltagsgeschichten“

Nach einem anstrengenden Pisten-Tag fuhren wir neulich mit der Gondel nach unten. Die Fahrt dauert ein Weilchen, und so sitzt man etwa 15 Minuten lang in einer Kabine mit wildfremden Leuten zusammen. Dabei kann es zu kuriosen Szenen kommen, von denen wir an diesem Tag gleich mehrere erlebten.

Unsere Gefährten waren: Eine Mutter mit Kind, ein Mann und eine weitere Frau. Meine Begleiterin und ich waren gerade dabei, uns eine Tüte mit Gummibären zu teilen, da überkam uns schon das erste Mal Staunen. Denn als sie mir die Tüte hinhielt, fühlte sich offenbar unser Platznachbar ebenfalls angesprochen. Ohne zu fragen, langte er von der anderen Seite beherzt hinein, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt, nahm eine ganze Hand heraus und bot gleich noch den anderen Mitreisenden an, was er erbeutet hatte. Nachdem alle mit beschämten Blicken abgelehnt hatten, musste er sämtliche Fruchttierchen selbst futtern.

Um das Eis zu brechen, begann die Frau neben ihm eine Konversation, doch Tauwetter wollte sich nicht so recht einstellen. Sie fragte meine Begleiterin zunächst, wo wir her seien. Keine ungewöhnliche Sache, wenn sie nicht im nächsten Moment unvermittelt hinterhergeschoben hätte: „Und wie heißt der?“ Meine Begleiterin, etwas perplex, konnte damit nichts anfangen: „Wer?“ Darauf die Frau, in meine Richtung nickend: „Na, der da!“ Antwort: „Frag ihn doch selbst!“

Zeugnisse eines modernen Deutschlandbildes

Der Fruchttierdieb ließ es sich nun nicht nehmen, ebenfalls ins Gespräch einzusteigen. Dass wir aus Deutschland waren, kitzelte ihn mächtig. „Thomaff Müller“, lispelte er mit leicht einfältigem Grinsen. Doch damit endeten die Kostproben nicht, die er von seinem modernen Deutschlandbild gab. „Bayern München, Michael Schumacher“, reihte er weiter aneinander. Verben und Adjektive blieben Mangelware, bis er mit ernstem Blick anfing, tiefer zu bohren: „Wie geht es Michael Schumacher?“, wollte er wissen. „Keine Ahnung“, antworteten wir wahrheitsgemäß. „Warum?“, fragte er nun schon fast giftig. „Warum weißt du es denn nicht?“, war die Gegenfrage meiner Begleiterin. „Ich bin ja nicht aus Deutschland“, beharrte der Mann.

Es brauchte einiges an Geduld, um ihm klar zu machen, dass nicht jeder Deutsche weiß, wie es Michael Schumacher geht, wenn selbst die Medien darüber keine Informationen haben. Haupterkenntnis des Gesprächs: Die regelmäßigen Promo-Touren des FC Bayern in Asien zeigen Wirkung. Sobald man seine Herkunft verrät, geht es entweder um (deutsche) Autos oder Thomas Müller und den Rekordmeister.

Welche nationale Identität hat ein Sechsjähriger?

Zum Schluss knöpfte sich die Platznachbarin des Thomas-Müller-Fans noch den kleinen Jungen vor. Zuerst fragte sie ihn nach Namen und Alter, was ihm nicht schwerfiel zu beantworten. Nachdem sie die Standardfragen abgehakt hatte, griff sie dann aber noch einmal ganz tief in die Trickkiste und brachte das ca. sechsjährige Kind mit der Frage in Verlegenheit: „Und welche Nationalität hast du?“

Da mussten wir ganz schön schlucken. Ein sechsjähriges Kind, das sich mit nationalen Identitätsfragen auseinandersetzt? Doch der Blick der Frau blieb auf dem Jungen ruhen, der schweigend seine Füße betrachtete, weil er keine Antwort wusste. Seine Mutter erlöste ihn, indem sie mit ruhiger und freundlicher Stimme an seiner Stelle antwortete. „Die Mama ist Russin, und der Papa ist Kasache.“ So kann es kommen in einer globalisierten Welt: Nicht jeder Mensch lässt sich in eine für ihn gefertigte Schublade stecken – so wie nicht jeder Deutsche Fan des FC Bayern ist.

Lukas Kunzmann

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