Das Thema Essstörungen wird auch in Kasachstan aktuell. Ursula Guthknecht hielt dazu einen Vortrag auf der Frauenkonferenz der Friedrich-Ebert-Stiftung. Die 1963 geborene Guthknecht arbeitete nach ihrem Chemie-Studium zuerst im sozialen und pädagogischen Bereich. Mittlerweile ist sie in der Erwachsenenbildung tätig. Sie gibt Kurse über Neue Technologien und ist im Vorstand des Frauenbildungs- und Tagungshauses Altenbücken, wo sie auch als Referentin arbeitet. In Kasachstan hielt sie im Zuge einer FES-Konferenz einen Vortrag über Essstörungen. Mit der DAZ sprach sie über ihre Eindrücke.
DAZ: Ist dies ihr erster Besuch in Kasachstan?
U. G.: Nein, ich bin bereits zum dritten Mal hier. Das Frauenbildungs- und Tagungshaus Altenbücken arbeitet eng mit „Najada“ zusammen, einem Frauennetzwerk in Asien. Es findet ein reger Ausstausch statt, die Frauen aus Zentralasien besuchen unsere Einrichtung in Altenbücken, und wir besuchen sie im Gegenzug ebenfalls.
DAZ: Und wie sind ihre Eindrücke?
U. G.: Ich hatte am Anfang das Gefühl, in eine völlig andere Welt einzutreten. Asien war für mich nicht nur geographisch sehr fern, sondern auch persönlich. Ich konnte mich aber zum Glück ganz behutsam dieser anderen Kultur annähern.
DAZ: Und welchen Eindruck haben sie von den hier lebenden Frauen?
U. G.: Ich finde, dass hier wirklich das ganze gesellschaftliche Spektrum an Frauen abgedeckt ist. Man sieht sehr schicke Businessfrauen, die selbstbewusst die Straße entlanggehen, und auf der anderen Seite wieder alte, traditionell gekleidete Frauen, die in Hauseingängen versuchen, ihre Ware loszuwerden. Die Unterschiede sind sehr extrem.
DAZ: Was war das Thema ihres Vortrages auf der Frauenkonferenz der Friedrich-Ebert-Stiftung?
U. G.: Ich habe einen Vortrag über Essstörungen gehalten. In Deutschland setzt man sich etwa seit zehn Jahren ernsthaft mit diesem Thema auseinander, in Holland beispielsweise sind es schon fast 30. Man unterteilt Essstörungen in vier Erscheinungsformen: Magersucht, Bulimie, also Ess-Brech-Sucht, Fettsucht und latente Fettsucht. Letztere äußert sich durch strengste Diäten einerseits und extreme Fressanfälle andererseits. Der gesamte Tagesablauf dreht sich bei Personen, die an einer solchen Störung leiden, ums Essen oder eben Nicht-Essen. Dieses psychologische Problem tritt am häufigsten in den sogenannten Industrienationen auf, anscheinend hängt es eng mit Überflussgesellschaften zusammen. Aber als ich hier meinen Vortrag hielt, bemerkte ich währenddessen immer wieder zustimmendes Nicken von Seiten der Zuhörer. Essstörungen werden also auch hier zum Thema.
Die gesellschaftlichen Erwartungen an Frauen sind heutzutage sehr hoch. Natürlich auch an die Männer, aber 90 Prozent der von Essstörungen Betroffenen sind Frauen. Ein gestörtes Verhältnis zum Essen kann eine Reaktion auf diese Überforderung sein. In Deutschland gibt es Zehnjährige mit Diäterfahrung, 40 Prozent aller Zwölfjährigen haben bereits schon eine Diät hinter sich. Die Autorin Christine Schröder hat sich in ihrem Buch „Frauen und Essstörungen“ intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt, vor allem mit der Prävention und Ursachenforschung. Sie fordert darin auch, dass, da die Anforderungen und die Reaktionen darauf geschlechtsspezifisch sind, die Arbeit mit Betroffenen separat zu betreiben. Außerdem sind gerade junge Menschen oft gehemmt, wenn sie über ihre Probleme vor Vertretern des anderen Geschlechts sprechen müssen. Es ist aber genauso wichtig, die beiden Gruppen am Ende wieder zusammenzuführen, damit sie erkennen: Nicht nur ich hab Probleme, sondern andere ja auch! In Kasachstan ist dieses Problem noch nicht so aktuell wie in Europa, doch ich denke, man wird sich auch hier bald damit auseinandersetzen müssen.
DAZ: Wie sehen sie die Arbeit der Frauenbewegung in Kasachstan?
U. G.: In diesem Land passiert zu dem Thema viel. Es gibt viele Organisationen, die sich um die Belange der Frauen bemühen. Auf der Konferenz waren fast 100 Frauen aus ganz Zentralasien, nur Turkmenistan fehlte leider.
DAZ: Hat die vermehrte Hinwendung zum Islam einen Einfluss auf die Frauenbewegung in Zentralasien?
U. G.: Das glaube ich eigentlich nicht, auf jeden Fall ist es, oberflächlich betrachtet, kein Thema. Es beeinflusst aber sicherlich die indirekte Kommunikation, jeder hat ja seinen speziellen Hintergrund und somit sein „Paket“ zu tragen. Ich kann mir aber vorstellen, dass sich das in den nächsten Jahren noch ändern wird.
DAZ: Wie ist die Zusammenarbeit mit den hiesigen Organisationen?
U. G.: Unsere Zusammenarbeit, die übrigens schon seit sieben Jahren besteht, beruht vor allem auf Unterstützung und Austausch. Ich empfinde die Frauen, die sich hier engagieren, als unglaublich stark, offen und fähig. Wenn eine Frauengruppe aus Zentralasien bei uns zu Besuch in Altenbücken ist, haben sie ein sehr volles Programm: Seminare, Ausflüge und so weiter. Wenn sie dann wieder hier sind, berichten sie, dass sie nach den zwei Wochen voller Energie und Motivation sind, obwohl sie eigentlich todmüde sein sollten. Ich denke, der internationale Kontakt tut ihnen gut, sie freuen sich über die Anerkennung für ihre geleistete Arbeit. Und die Frauen können sich Anregungen holen für ihre eigenen Projekte. Es gibt hier noch viel für sie zu tun, zum Beispiel im Bereich der Doppel- und Dreifachbelastung, der Frauen hier ausgesetzt sind. Aber man ist hier sehr engagiert und motiviert.
Frau Guthknecht, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Sandra Wagenleitner
27/10/05