DKU-Präsident Markus Kaiser im Bilanzinterview über den Sinn einer deutsch-kasachischen Universität, die aktuellen Entwicklungen im kasachischen Hochschulwesen und die Auswirkungen der Dreisprachenpolitik.

Sie waren jetzt drei Jahre lang DKU-Präsident: Wie sieht das Fazit Ihrer Zeit hier aus?

Sehr positiv: Vieles ist in der Hochschulpolitik in Kasachstan im Umbruch. Es gibt eine Öffnung für westliche Hochschulsysteme, sowohl angelsächsische als auch kontinentaleuropäische. Beim Bildungsministerium existiert eine Liste internationaler Agenturen, die in Kasachstan für Akkreditierungsaufträge zugelassen sind. Die Regierung hat mit dem Bolaschak-Programm die Mobilität von Studierenden erhöht. Das Ministerium lädt Top-Manager an kasachische Hochschulen ein, die untereinander vernetzt agieren. Nach und nach wird auf Englisch umgestellt, das auch immer mehr Lehrstuhlleiter beherrschen.

Bisher sind fast alle Hochschulen auf das Engste an Weisungen des Bildungsministeriums gebunden. Deren Einhaltung wird durch Kontrollkommissionen des Ministeriums geprüft. Das Bildungsministerium will jedoch vom Prüfungscharakter weg und strebt einen Beratungsprozess an. Bereits im Jahr 2007 wurde ein dreistufiges System, bestehend aus Bachelor, Master und Promotion. eingeführt. Das Studiensystem lässt sich als Bologna-orientiert bezeichnen. Auf der jährlichen nationalen Bildungskonferenz am 17. August 2018 erklärte das Bildungsministerium, analog zu vierjährigen BA-Studiengängen in Europa auf 240 ECTS überzugehen. Das wird den Studierendenaustausch und internationale Kooperationen (u.a. Doppelabschlüsse) erleichtern. Studiengänge werden in Kasachstan bereits durch unabhängige in- und ausländische Agenturen akkreditiert.

Die Reformbereitschaft ist groß: Die Einführung der Hochschulautonomie, die bei uns in Deutschland schon lange Standard ist, ist geplant. Auf der Bildungskonferenz betonte das Ministerium auch, dass den Hochschulen das Recht eingeräumt werden wird, Zeugnisse selbst auszustellen. Seit 2018 können 55 Prozent der Lehrinhalte in BA-Studiengängen, 70 Prozent in MA- und 90 Prozent in Promotionsprogrammen von den Hochschulen autonom festgelegt werden. Dies soll den Wettbewerb um Qualität in der Ausbildung erhöhen.

Im Jahr 2018 hat Atameken, die kasachische Industrie- und Handelskammer, im Auftrag des Ministeriums begonnen, landesweit Studiengänge aus Arbeitgebersicht zu evaluieren. Die Ergebnisse werden sofort veröffentlicht. Insgesamt gibt es also mehr Ausdifferenzierung, Transparenz und Wettbewerb im Hochschulwesen Kasachstans. Es gibt eine stärkere Output-Analyse und mehr Beratung durch das Bildungsministerium. Es wird über verschiedene Hochschulformen gesprochen, und dass die ideale Form neben der staatlichen eine nichtkommerzielle ist, bei der es einen Aufsichtsrat gibt.

Es ist gut, dass darüber diskutiert wird. Es zeigt, wie weit Kasachstan in seiner Hochschulpolitik und in der Internationalisierung schon ist. Für die DKU bedeutet dies, dass sie als private Hochschule in einer glücklichen Lage ist. Sie hat schon immer viel Autonomie eingefordert und nicht nur nach kasachischen, sondern auch nach deutschen Standards unterrichtet. Die DKU hat seit 2006 einen Aufsichtsrat. Sie hat damit eine gute Positionierung und eine höhere Akzeptanz gefunden.

Welche Entwicklung hat die DKU unter Ihrer Führung seit 2015 genommen?

Die DKU konnte sich das zweite Gebäude direkt am Nasarbajew-Prospekt sichern, in dem die Universität nun der alleinige Mieter ist. Mit der zentralen Lage und der Renovierung haben wir die Sichtbarkeit nach außen deutlich verbessert. Wie sagt man so schön: „You don’t sell education, you sell facilities.“ 2016 haben wir erfolgreich eine Evaluation des DAAD überstanden und konnten Studiengänge in den Sozial- und Wirtschaftsingenieurwissenschaften akkreditieren. Bei der Evaluation durch Atameken lag die DKU auf den vorderen Plätzen.

Entwicklung der Studierendenzahlen an der DKU
Entwicklung der Studierendenzahlen an der DKU

Es ist nach wie vor sinnvoll, eine bilaterale Universität in Almaty zu unterhalten. Vor allem vor dem Hintergrund, dass das Land aufgrund der Dreisprachenpolitik Englisch favorisiert und immer mehr junge Leute inzwischen sehr gut Englisch können. Die DKU hat entschieden, ihre Masterstudiengänge auf Englisch umzustellen, denn auch in Deutschland wächst das Angebot an englischsprachigen MA-Studiengängen kontinuierlich. Das abnehmende Interesse an der deutschen Sprache macht sich leider auch in stagnierenden Studierendenzahlen an der DKU bemerkbar. Der obligatorische Erwerb der Sprache ist ein Plus, aber auch eine Hürde. Die DKU gibt Studierenden in Kasachstan die Möglichkeit, sich mit dem deutschen Bildungsmarkt auseinanderzusetzen und an deutschen Hochschulen (weiter) zu studieren.

Der frühere deutsche Botschafter Rolf Mafael hat sich sehr stark für die DKU eingesetzt, aber er sagte auch einmal, dass die Universität von kasachischer Seite nur wohlwollend geduldet wird. 2020 läuft das deutsch-kasachische Regierungsabkommen aus. Das muss nun mit einem neuen Botschafter und einem neuen DKU-Präsidenten neu verhandelt werden. Die DKU ist ein gutes und sinnvolles Projekt der deutschen Außenwissenschaftspolitik und sollte daher weiter gefördert werden. Ich hoffe, dass daraus auch eine stärkere Unterstützung von kasachischer Seite resultiert.

Die Konkurrenzsituation in Almaty ist allerdings enorm. Abschlüsse bei bestimmten privaten Universitäten, wie beispielsweise der Almaty-Management-Universität oder KIMEP, schaffen nicht nur im finanzwirtschaftlichen Bereich lukrative Arbeitsmöglichkeiten. Die Narxoz-Universität setzt auf einen neuen, modernen Campus. Von türkischer Seite wird eine transnationale Hochschule mit hervorragender Ausstattung und gutem Ruf betrieben: die Suleyman-Demirel-Universität in Kaskelen bei Almaty. Die Herausforderungen der DKU in der Zukunft liegen in der Wettbewerbssituation unter den Hochschulen in Almaty.

Sie haben die Dreisprachenpolitik angesprochen. Welche Auswirkungen hat diese, von der Zunahme des Englischen abgesehen, auf die Hochschulen?

Viele Studiengänge werden auf Kasachisch, Russisch und Englisch angeboten. Ehemalige Bolaschak-Stipendiaten unterrichten auf Englisch und bringen sicherlich neuere Ansätze in der Lehre mit. Auf Russisch unterrichtet die alte Garde mit sowjetischen Bildungsidealen. Dort gibt es aber auch noch viele gute Leute. Das Problem ist die zunehmende Lehre auf Kasachisch. Es fehlen Lehrbücher und die Qualität der Ausbildung ist schlechter. Hinzu kommt, dass das Bildungsniveau derjenigen höher ist, die auf Russisch studieren, da sie mehrheitlich aus dem urbanen Raum kommen und bildungsaffiner sind. Es sind die vom Land Zugezogenen, die eher auf Kasachisch studieren. Auf den Dörfern ist aber bereits der Unterricht an den Schulen schlechter.

Wer von den Dozenten kann, unterrichtet auf Englisch, weil die Bezahlung viel höher ist. Eine Lehrauftragsstunde wird so zwischen 3.000 und 15.000 Tenge in Almaty entlohnt, was die Ausdifferenzierung am Markt deutlich macht. Das trifft aber auch auf die Studiengebühren zu, und das bringt große Qualitätsunterschiede mit sich – zum Nachteil der mittlerweile doch sehr vollen kasachischsprachigen Studiengänge. Gleichzeitig sinkt die Zahl der russischsprachigen Studierenden.

Ist die Einführung von Studiengängen auf Kasachisch an der DKU geplant?

Nein, aber die Idee liegt immer wieder in der Luft. Aus dem kasachischen Bildungsministerium kommen immer wieder Nachfragen dazu und die deutsche Politik ist demgegenüber aufgeschlossen, weil sie sich eigentlich aus der Sprachenpolitik heraushalten möchte. Da immer mehr Abiturienten kasachischsprachige Schulen abschließen, wird die DKU überlegen müssen, auch Fachunterricht auf Kasachisch anzubieten. Bisher gibt es Kasachisch-Sprachkurse und im 4. Studienjahr jeweils Kurse zu „Fachsprache Kasachisch“. An anderen Universitäten ist es üblich, jeden Studiengang auf Russisch und auf Kasachisch anzubieten. Das erscheint vor dem Hintergrund der nur teilweise vorhandenen Kasachischkenntnisse der DKU-Dozenten und dem zusätzlichen Personalbedarf jedoch unrealistisch.

Noteninflation, fehlende Transparenz, ein überalterter Lehrkörper: Wie bewerten sie die allgemeine Situation im kasachischen Hochschulsystem?

Wie gesagt: Die Universitäten hier sind im Umbruch. Allerdings muss man sich jede Universität einzeln anschauen. Dass der Lehrkörper oft noch überaltert ist, hat etwas damit zu tun, dass viele in der Sowjetunion ausgebildete Hochschullehrer mangels Alternative an den Universitäten geblieben sind. Für die jüngeren Menschen ist es attraktiver, in die freie Wirtschaft zu gehen. Das Bolaschak-Programm steuert etwas dagegen, da sich die Stipendiaten verpflichten, nach ihrer Rückkehr aus dem Ausland fünf Jahre in den Staatsdienst zu gehen. Somit kehrt ein Teil als Dozenten an die Universitäten in Kasachstan zurück.

Allgemein ist eine Hochschulkarriere wegen des geringen Gehalts finanziell wie auch sozial nicht besonders attraktiv. Anders sieht dies bei den gut bezahlten Stellen in den Hochschulleitungen aus, die allerdings von politischen Netzwerken vergeben werden. Im Moment strebt die Regierung an, das Ansehen der pädagogischen Kräfte zu stärken. An den Bewerbungen auf die Stellenausschreibungen der DKU kann man aber auch ablesen, dass die besseren und zahlungskräftigeren Hochschulen ältere Dozenten ohne Fremdsprachenkenntnisse – wenn sie nicht über besondere Reputation verfügen – aussortieren und diese sich dann an anderen, privaten, weniger prestigeträchtigen Hochschulen mit niedrigeren Gehältern neu bewerben müssen. Hier kann man einen Verdrängungswettbewerb beobachten.

Es ist aber richtig, dass zu viele hier mit einem A abschließen. Es gibt keine ausdifferenzierte Notenfindung, was unfair gegenüber den sehr guten Studierenden ist, da sie sich nicht von der Masse abheben können. Außerdem gibt es noch zu viele Klientelbeziehungen und eine zu starke persönliche Bindung an einzelne Dozenten. Im Vergleich zu Deutschland gibt es sicherlich mehr Bürokratie; der Verwaltungsaufwand ist hier sehr viel höher. Ein Wirtschaftsberater hat das mal auf das Vierfache geschätzt. Das hat aber auch was mit Korruptionsbekämpfung zu tun, indem man versucht, alles zu dokumentieren.

Von deutscher Seite werden häufig die schlechten Deutschkenntnisse der Kasachstandeutschen kritisiert. Welche Verbindung haben diese mit der DKU?

Es ist schon so, dass viele Kasachstandeutsche, die in Almaty studieren, sich für die DKU entscheiden, weil sie hier Deutsch lernen können. Vom Generalkonsulat und der Stiftung der Deutschen Kasachstans „Wiedergeburt“ gibt es außerdem Stipendien für Studierende aus der Minderheit. Der neue Vorsitzende der „Wiedergeburt“ steht der DKU als Institution mit Deutschlandbezug auch sehr offen gegenüber. Die Universität wird aber bei Weitem nicht von den Kasachstandeutschen getragen.

Einer Ihrer Forschungsschwerpunkte als Soziologe ist die Rückkehr von Spätaussiedlern in ihre Herkunftsländer. Wie wird dieses Thema in Kasachstan behandelt?

Die „Wiedergeburt“ kümmert sich mittlerweile stärker um die Rückkehrer, weil diese in Deutschland gelebt haben und dort auch häufig unternehmerisch tätig waren. Sie können tatsächlich die viel beschworene Brücke zwischen beiden Ländern sein.
Wissenschaftlich ist es ein Randthema. Ich konnte es einmal auf einem nationalen Politologenkongress hier vorstellen und bin auf viel Interesse gestoßen – vor allem im Vergleich mit den kasachischen Rückkehrern, den Oralmanen. Man sollte die deutsche Politik gegenüber Spätaussiedlern analysieren und schauen, was Kasachstan bei der Rückkehrerpolitik von Deutschland lernen kann. Das Integrationsthema hat die Konrad-Adenauer-Stiftung bereits aufgenommen. Sie möchte darüber hinaus auch schauen, inwieweit aufgrund der ethnischen Vielfalt ein ethnisches Konfliktpotenzial im Land besteht und instrumentalisiert werden kann.

Die DKU hat unter meiner Leitung zwei sozialwissenschaftliche Themen verankert: Vielfalt und Toleranz. Dazu gehören eine bereits veröffentlichte Studie zu dem Thema, die neue Veranstaltungsreihe DKU Talks, aber auch das Buch Nomads Land. Das wird sich unter dem neuen Präsidenten sicherlich ändern. Laszlo Ungvari hat bereits angekündigt, einen ökonomisch-technischen Schwerpunkt setzen zu wollen. Ich gehe aber davon aus, dass die sozialwissenschaftliche Fakultät erhalten bleibt. Auch Technische Universitäten in Deutschland haben sozialwissenschaftliche Fakultäten.

Wohin geht es für Sie als Nächstes?

Ich werde wohl ab Oktober für zehn Monate in China sein und dort an der zentralen Nationalitäten-Universität in Peking unterrichten. Das geht auf eine Kooperation der Universität mit der DKU zurück. Aber auch in der Region sind Stellenbesetzungen noch offen, bei denen ich im Gespräch bin. Ein Verbleib oder eine Rückkehr nach Zentralasien ist also möglich.

Das Interview führte Othmara Glas.

Die DKU wurde 1999 gegründet. Sie wird vom DAAD aus Mitteln des Auswärtigen Amts gefördert. Seit 2007 fördert der DAAD gezielt den Einsatz deutscher Gastdozenten, den Ausbau von Forschung oder die Weiterentwicklung der Curricula. Zudem erhalten jährlich rund 15 Studierende Stipendien, um im vierten Studienjahr an einer deutschen Hochschule studieren zu können. Auch werden über den DAAD zurzeit zwei Langzeitdozenten finanziert, die an der DKU in den Studiengängen Internationale Beziehungen und Integriertes Wassermanagement lehren.

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