Deutscher, Franzose, Sowjetbürger – Der Maler Leonid Brümmer war multinational, und doch war er nirgends zuhause. Nachdem er 1941 als ethnischer Deutscher in die kasachstanische Provinz deportiert wurde, fristete er dort ein Leben in Unbekanntheit. Die Galerie ARK spendet dem Werk des hinterwäldlerischen Impressionisten nun posthum die verdiente Aufmerksamkeit: Bis Anfang Mai will sie zeigen, dass große Kunst nicht zwangsläufig immer in Großstädten entsteht.

/Bild: Andrea Rüthel. ‚So viel Aufmerksamkeit für seine Bilder hätte sich Brümmer zu Lebzeiten nicht träumen lassen.’/

„Mein Sohn geht nur selten in Ausstellungen – heute ist er hier. Und das hat schon etwas zu bedeuten“, sagt Jelisaweta Malinowskaja, Direktorin der Galerie ARK, und blickt sich dabei mit Stolz in den Gängen ihres Kunstsalons um. Farbenfroh hängen hier pastose Landschaften und Stillleben neben freundlichen Familienporträts – „Gutmütige Motive eben“, findet die Kunstkritikerin. „Sie machen gute Laune.“

Ein wenig seltsam ist es, dass Bilder eine so positive Ausstrahlung haben können, die unter so tragischen Umständen entstanden sind. „Ich glaube, wenn Leonid Brümmer nicht so ein unbequemes Leben geführt hätte, sähe sein Werk jetzt anders aus. Viele Künstler, die kraftstrotzend in die Welt hinaus gegangen sind, haben über ihr Selbstvertrauen im Laufe der Zeit das Talent verloren. Nicht so Brümmer: Er blieb sein Leben lang ein Lyriker“, sagt Jelisaweta Malinowskaja.

Odysseus des 20. Jahrhunderts

Tatsächlich war die Malerei sein einziger Anker auf einer Odyssee, die ein Leben lang andauerte. Das Schicksal „zwischen den Stühlen“ wurde dem Maler schon mit in die Wiege gelegt: Leonid Brümmer wurde Ende des 19. Jahrhunderts im ukrainischen Cherson geboren. Seine Mutter war Französin, sein Vater, Wladimir von Brümmer, ein Russlanddeutscher.
Brümmers multiethnische Wurzeln formten sein Leben. Dass sie aber auch seine Bilder beeinflussten, glaubt Jelisaweta Malinowskaja nicht. Es gäbe so viel Wichtigeres, was auf ein Kunstverständnis einwirke, sagt sie, zum Beispiel die Ausbildung.

Brümmer war ein Einserschüler. Als er 1915 von der Kunstschule in Kiew an die Kaiserliche Malereiakademie in Sankt-Petersburg wechselte, rang sein Talent sogar seinem Professor Dubowskoi Respekt ab: „Weder ich, noch die Akademie kann Ihnen noch etwas beibringen. Junger Mann, Sie haben ein seltenes Auge und ein ausgezeichnetes Gespür für Farben.“
Brümmer hatte Talent, aber kein Glück. Die nachrevolutionären Wirren verhinderten, dass er sein Studium beenden konnte. Was folgte war einem Wanderleben ähnlich: Der Künstler arbeitete in Kiew, Jalta, Orel, auf der Krim und in Naltschik. 1941 wurde er als ethnischer Deutscher ins Pawlodarer Gebiet im Nordosten Kasachstans deportiert – damals ein Niemandsland. „Stellen Sie sich vor: Ein junger Mensch mit einer ausgezeichneten Ausbildung, großem Talent und aristokratischen Wurzeln“, hadert auch Jelisaweta Malinowskaja mit Fortuna.

Als sich Brümmers Schicksal mit seiner Rehabilitierung 1955 endlich zum Besseren zu wenden schien, wartete schon die nächste Plage auf ihn – es war auch die letzte: Das Alter. Brümmer starb Mitte der 70er Jahre in der südkasachstanischen Stadt Taras arm und von allen vergessen in einem Altenheim.

Ein russischer van Gogh

Das Schicksal eines van Gogh könnte nicht tragischer sein als das Leonid Brümmers: Beide standen auf der Schwelle zwischen Impressionismus und Realismus, beide schufen in ihrem Eigensinn ein ganz individuelles Genre, und doch starben sie in Unbekanntheit. Vor allem aber waren beide süchtig nach der Malerei: Während van Gogh im Wahnsinn seine Farben zu essen versuchte, verzichtete Brümmer bei seiner Deportation ganz auf Lebensmittel und Kleider – und nahm nur seine Leinwände mit.

Egal, wie groß der Hunger auch war, Brümmer machte zu Lebzeiten kein einziges Bild zu Geld. Stattdessen träumte er vom eigenen Museum – ein Wunsch, der ihm erst nach dem Tod erfüllt wurde: Das Museum L. W. Brümmer in seiner letzten Heimatstadt Taras gab seinen über 1.000 Bildern in den 1990er Jahren endlich ein Zuhause.

Während Künstler normalerweise wie Magneten von Weltstädten angezogen werden, schlummerten Brümmers Bilder lange fernab mondäner Galerien. Unverdient, findet Jelisaweta Malinowskaja. Kurzerhand ließ sie einen Teil des Brümmerschen Nachlasses Anfang April für einen Monat von Taras nach Almaty bringen. Für sie ist Brümmer der Beweis dafür, dass wahre Kunst nicht nur in Metropolen entsteht. „In der Kunst gibt es keine Provinzen“, findet sie. „Talent steht außerhalb jeder Geografie.“

„Ich werde oft gefragt: Warum machst du denn überhaupt eine Ausstellung, bei der du nichts verkaufen kannst? Das ist doch unprofitabel!“ sagt die Kunstfanatikerin und ist dabei ein klein wenig empört. „Ich habe in meinem Leben vieles getan, ohne dabei aufs Geld zu schauen. Die Schönheit der Bilder ist so viel wichtiger als Geld!“ – Ein Ausspruch, der auch von Brümmer selbst stammen könnte.

Von Andrea Rüthel

09/04/10

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