Für die meisten ist dieses Jahr das erste richtige Krisenjahr in ihrem Leben gewesen. Zwar hat es viele nur mit Worten und Diskussionen um die Krise erwischt, einen Gutteil aber auch real. Letzteres drückt sich z.B. in einem verlorenen Arbeitsplatz, in Kurzarbeit, in einem verringerten Einkommen oder nur in der allgemeinen Verunsicherung aus.
Unabhängig von der subjektiven Einschätzung und Bewertung des Einzelnen sind die Fakten nicht zu ignorieren: Nachdem im September 2008 mit dem Zusammenbruch einer der größten und traditionsreichen Banken (Lehman Brothers), die Finanzkrise offiziell wurde, gab es noch die dominierende Einschätzung, dass es wohl nur bei einer Krise des Finanzsystems bleiben könnte. Das hat sich ebenso als Illusion erwiesen wie die anfänglichen Einschätzungen hinsichtlich Tiefe und Dauer der Krisenprozesse.
Der Realsektor musste irgendwann von den Bankenproblemen erfasst werden. Ein Ausweichen des Realsektors ist letztlich unmöglich, weil die finanziellen Verbindungen zwischen Finanzsystem und Realsektor ausgesprochen eng sind und in unserer modernen Welt auch sein müssen.
Insgesamt ist das Bruttoinlandprodukt (BIP) weltweit in diesem Jahr um fast vier Prozent zum Vorjahr zurückgegangen. Das ist aber nur der Durchschnitt. In einigen Ländern, wie z. B. in Russland, ist der Rückgang sogar zweistellig. Für Deutschland wird ein Schrumpfen des BIP um etwa fünf Prozent erwartet, in der Europäischen Union insgesamt um fast vier Prozent. In Kasachstan gibt es im Moment noch einen Streit um die Höhe des Rückgangs. Die Regierung meint, es würde nur minus 2,5 Prozent herauskommen, kritischere Einschätzungen gehen von fünf Prozent aus. Auf jeden Fall haben sich alle Prognosen von bis Mitte des Jahres als viel zu optimistisch herausgestellt. Man ging zu diesem Zeitpunkt noch von einem kleinen Wachstum aus.
Das Jahr 2009 wird als Krisenjahr in die Geschichtsbücher eingehen. Doch nicht nur schlechthin als irgendein Krisenjahr – davon gab es ja allein in den letzten 30 Jahren mindestens fünf oder sechs – sondern als schwerstes Krisenjahr seit der Großen Weltwirtschaftskrise in den Jahren 1929 – 1933. Unter schwer werden dabei die Geschwindigkeit und die Tiefe des Absturzes der Nachfrage und damit der Produktion verstanden. Obwohl Krisen normaler Bestandteil jeder marktwirtschaftlichen Entwicklung sind, hat kaum jemand diesen Einbruch brauchbar konkret vorhergesehen.
Mit Silvester 2009 ist das Krisenjahr aber keinesfalls zu Ende. Es gibt zwar die ersten Anzeichen von einer Besserung, d. h. die Nachfrage und im Ergebnis die Produktion steigen wieder, doch das noch sehr langsam. Das Vorkrisenniveau wird in den meisten Ländern frühestens in drei bis vier Jahren wieder erreicht werden. Viele Leute haben bisher die Krise als etwas Abstraktes erlebt, was sich im nächsten Jahr ändern kann, weil dann die Arbeitslosigkeit stark ansteigen kann.
In den USA – dem größten Binnenmarkt der Welt – ist diese zentrale wirtschafts- und sozialpolitische Größe schon auf die Rekordhöhe von etwa zehn Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung gestiegen, in anderen Ländern, darunter auch China, gibt es vergleichbare Entwicklungen. In Kasachstan und in Deutschland ist bisher kein spürbares Ansteigen der Arbeitslosigkeit zu verzeichnen.
Für Kasachstan ist das vor allem durch die „Doroshnaja Karta“ zu erklären, also ein Bündel von staatlichen Maßnahmen zur Arbeitsbeschaffung. Hier wurde viel Geld ausgegeben, um Objekte der oft maroden Infrastruktur instand zu setzen. Dieses Programm ist auch wegen des Winters nun ausgelaufen, ob es ein neues gibt ist ungewiss. In Deutschland gibt es das Instrument der Kurzarbeit, das etwa zwei Millionen Beschäftige in Anspruch genommen haben. Hier bezahlt der Staat einen Teil des Gehaltes, damit die Unternehmer ihre Mitarbeiter infolge unzureichender Aufträge und damit Umsätze nicht entlassen müssen. Doch einen Teil des Gehalts und auch der Sozialabgaben müssen natürlich auch die Unternehmen aufbringen, was ihnen mit zunehmender Länge der Krise immer schwerer fällt. Wenn sich die Auftragslage deutscher Unternehmen nicht anhaltend bessert, werden die Unternehmen um Entlassungen kaum herumkommen.
Die Gesamteinschätzung für 2009 ist also: wirtschaftlich ein unfreundliches Jahr. Es gibt aber einen Lichtblick. Vielleicht gelingt es in Kopenhagen einen neuen Klimaschutzvertrag auszuhandeln. Neben den dringend notwendigen Umweltverbesserungen könnte dieser auch einen neuen und langanhaltenden Innovationsschub in den Bereichen Energieeinsparung und Nutzung erneuerbarer Energien auslösen. Dann wäre die Weltwirtschaft wieder auf einem neuen Wachstumspfad – zumindest für einige Jahrzehnte, Krisen zwischendurch aber eingeschlossen.
Bodo Lochmann
25/12/09