Teil 2: die Senioren
Nachdem wir uns zuletzt die Jugendlichen vorgeknöpft haben, will ich diesmal in die andere Richtung schauen und einen Blick auf unsere ältere Generation werfen. Da müssen wir allerdings den Blick teilen, vielmehr gibt es zwei ältere Generationen, zum einen die „richtigen“ Senioren bzw. was davon übrig blieb: unsere Großmütter, die Großväter weilen schon fast allesamt auf den Friedhöfen. Aber unsere Großmütter sind zäh. Und beständig. Und drum geben sie uns auch Halt, indem sie einmal wöchentlich ihre Dauerwelle nachlegen lassen, immer Lindt Schokolade in ihrer Handtasche haben, all ihre Haushaltsgeräte mit ins Grab nehmen werden und ansonsten in allen Dingen mit drei Dingen auskommen – Fleisch, Kartoffeln, Gemüse; Salz, Pfeffer, Muskat; Erstes, Zweites, Drittes Fernsehprogramm. Und das Schönste ist – sie erfinden nicht mehr die Welt neu, sondern erzählen uns immer und immer wieder, wie es früher war. Schön und überschaubar ist diese Welt, für die Damen selbst und so auch für uns. Natürlich würden wir all das ganz anders machen, aber wir brauchen dieses Museum, in dem alles an seinem Platz ist und bleibt, damit wir es immer wieder betrachten können. So viel zu unseren Großmüttern.
Ja, und dann gibt es die „neue“ ältere Generation, unsere Mütter und Väter, die einerseits zwischen uns stehen aber auch wiederum ein verbindendes Element darstellen. Die Eigenart der jüngeren älteren Generation besteht darin, dass sie noch von der älteren älteren Generation geprägt ist, aber auch die modernen Entwicklungen in den Lebensalltag integriert. Unsere Mütter und Väter halten gern an bestimmten Werten fest, öffnen sich aber auch für Neues. Der Sohn muss nicht mehr Arzt werden, es darf auch der Heilpraktiker sein. Familiengründung ist noch wichtig, es muss aber nicht mit dem ersten Partner sein. In erster Linie sind sie christlich, aber auch klein wenig buddhistisch. Die Kirche wird noch betreten, aber weniger, um zu beten, sondern wegen der schönen Orgelkonzerte. Im Schrank liegt eine Packung Aspirin, daneben stehen homöopathische Tropfen. Auf dem Weihnachtsmarkt schmeckt noch die Bratwurst, ansonsten isst man Biofleisch. Und im Reißverschlussverfahren fährt man abwechselnd in den Schwarzwald und nach Tibet. Dies ist die Generation, der wir viel zu verdanken haben. Sie haben für Nachwuchs gesorgt, die Unternehmen gegründet, Häuser gebaut und Reiseziele erschlossen. Das haben sie gut gemacht und jetzt dürfen sie sich entspannt zurückziehen – in den Vorruhestand, in das Altersdomizil in der Toskana und können endlich ihren Wissensdurst stillen. Sie lernt und erfährt gern, die jüngere ältere Generation, und sie lehrt gern. Alles in allem – schön, dass sie für uns mitdenkt, die neue ältere Generation.
Und beide miteinander ergänzen sich sehr gut – die ältere ältere Generation und die jüngere ältere Generation.
Julia Siebert
08/12/06