Acht Drogensüchtige aus Russland, Deutschland und den USA sind nach Kirgisien gekommen, um hier ein neues Leben zu beginnen – eines ohne Drogen. An diesem sehr vorbildhaften Vorsatz gäbe es eigentlich nichts Anstößiges, wären da nicht die Videoaufnahmen. Die Drogensüchtigen werden nämlich nicht nur von Ärzten beobachtet, sondern auch von Kameras, denn sie sind alle Teilnehmer der ersten kirgisischen Reality-Show „Dr. Life“.
Der Initiator des TV-Projekts ist „Dr. Life“ Schenischbek Nasaralijew, dessen Kompetenzportfolio nicht nur akademische Grade wie Doktor der medizinischen Wissenschaften, sondern auch Ehrenposten wie Präsident der World League „Mind Free of Drugs“ enthält. Die Idee, den Weg eines Drogensüchtigen weg von seiner täglichen Dosis bis hin zu jenen Moment, wo er vollständig clean ist, zu zeigen, hatte Dr. Nasaralijew bereits Anfang des Jahres 2000. Damals hatte einer seiner Patienten seinen gesamten Entzug auf Video festgehalten, was Dr. Nasaralijew dazu inspirierte, eine Reality-Show über die Rehabilitation von Drogenabhängigen ins Leben zu rufen.
Im September dieses Jahres feierte die erste Reality-Show der Republik, welche drogensüchtige Menschen zeigt, ihr Debüt in einem kirgisischen TV-Kanal. Gali Garejewa, Manager des Projektes, definiert das Ziel der Show damit, dass bestehende Stereotypen in der Gesellschaft über Drogensüchtige zerschlagen werden sollen. „Wir möchten zeigen, dass sie auch Menschen sind, die einfach schwer krank sind.“ Gleichzeitig warnen die Organisatoren des Projekts aber: „Wir versprechen nichts, wir geben ihnen nur eine Chance“.
Im Visier der Kameras
Die Teilnehmer an der Reality-Show wurden mittels Fragebögen ausgewählt. Aus 670 Bewerbern wurden acht Teilnehmer für eine kostenlose Therapie ausgesucht, welche in einem medizinischen Zentrum nach der Methode des Projektinitiators Dr. Nasaralijew erfolgt. Die Teilnehmer kommen zwar alle aus verschiedenen Ländern, doch sie alle sprechen Russisch. Eine weitere Gemeinsamkeit der Teilnehmer besteht darin, dass sie alle mehr als zehn Jahre lang Drogen konsumiert haben. Praktisch jeder von ihnen hat zudem einen Entzug gemacht, doch niemand schaffte es, den Teufelskreis wirklich zu durchbrechen. Neben den Drogensüchtigen nehmen auch ihre Freunde und Verwandten am Projekt teil – jeder hat eine Begleitperson, die ebenso psychologische Unterstützung und ärztliche Beratung bekommt.
Interessant ist zudem, dass an der Reality-Show niemand aus Kirgisien teilnimmt. Maria Kolesnikowa, die Sprecherin der Marketingabteilung des Projekts, erklärt, dass es schon Bewerber aus Kirgisien gab, doch als diese gehört haben, dass ihr Entzug in einem der örtlichen TV-Kanäle gezeigt wird, haben sie ihre Bewerbung zurückgezogen.
40 Tage lang filmen Videokameras rund um die Uhr alles, was mit den Helden des Projektes während ihrer Therapie passiert. Einen anderen Ausweg haben sie nicht, da die Videoaufnahme eine der wichtigsten Voraussetzungen für die kostenlose Entwöhnungskur ist.
„Vor dem Projekt haben mein Sohn und ich folgendes beschlossen: Seinem Ruf kann ohnehin nichts mehr schaden, im Gegenteil, die Aufnahmen könnten ihm sogar helfen. Wir haben vor niemandem seine Teilnahme am Projekt verheimlicht“, erzählt Ljudmila Schiligazkaja, die Mutter des Teilnehmers aus Magadan, Anatoli Nesmijanow, welcher über 18 Jahre hinweg Drogen konsumiert hat. Einer der Helden des Projektes jedoch wollte seinen Namen nicht nennen und erfand daher das Pseudonym „Der Italiener“.
Auch ein anderer Projektteilnehmer war dazu bereit, sich ständig von Kameras beobachten zu lassen – Andrej Korschanow: „Ich bin in erster Linie hierher gekommen, um gesund zu werden, und nicht um mich filmen zu lassen. Die Tatsache, dass Videos gemacht werden, hat für mich keine Bedeutung.“
„Bei uns gibt es keine Show, nur Reality“
So charakterisieren der Regisseur Andrej Jerschow und der für die Schnittregie zuständige Juri Sorokin das Projekt „Dr. Life“. Sie haben bewusst auf für Reality Shows typische Provokationen und Schauspieler verzichtet. „Es geht nur um das Leben und den Heilungsprozess. Das filmen und zeigen wir dem Publikum.“
Der Rehabilitationsprozess besteht aus drei Stufen. Die Reality-Show-Zuseher konnten bereits miterleben, wie eine Therapie mit Substitutionsmitteln verläuft, die darauf abzielt, die körperliche Abhängigkeit zu überwinden. Andrej Kroschanow, einer der Projektteilnehmer, der aus Moskau kommt und 16 Jahre lang drogensüchtig war, erzählte, dass er nach der Drogenersatztherapie, zirka nach der dritten Behandlung keinen Drang mehr verspürte, Drogen nehmen zu müssen. „Ich habe vergessen, wie es sich anfühlt, high zu sein oder wie das Gefühl eines Kicks ist.“
Die Projektteilnehmer haben auch die zweite Therapiestufe abgeschlossen – die Psychotherapie, bei der es zu einem Konflikt zwischen dem Psychologen und den Teilnehmern kam. Der goldene Apfel der Zwietracht war dabei der Bau eines Labyrinths am Ufer des Sees Issyk-Kul. Die Helden der Reality-Show waren darüber aufgebracht, dass sie schwere Steine schleppen und selbst so eine Konstruktion errichten sollten. Schlussendlich wurde das Labyrinth doch gebaut, und die Teilnehmer schlossen Frieden. Aber es gab auch Verluste. Nach der zweiten Therapiestufe verließen zwei Drogensüchtige das Projekt – der Italiener, welcher aus Moskau stammt und 15 Jahre lang drogensüchtig war, und Alex aus Kalinigrad, der 13 Jahre lang Drogen nahm. Laut Angaben der Ärzte, verhielt sich ersterer bereits seit Beginn des Projektes aggressiv seinen Verwandten gegenüber und wollte die Rehabilitationstherapie auch nicht bis zum Schluss durchziehen. Daher verließ er das Projekt auch. Gegenüber Alex verhielten sich die Ärzte loyaler: Er wurde von ihnen in „Zwangsurlaub“ geschickt, doch man versprach ihm, dass er in ein paar Monaten wieder in die Klinik kommen kann, um die Therapie fortzusetzen.
Die verbliebenen sechs TV-Helden werden nun die letzte Therapieetappe auf sich nehmen. Es steht bereits fest, dass vier von ihnen eine Wallfahrt zum Heiligen Berg machen müssen, bei der sie 250 km mit der „schweren Last auf ihrer Seele“ zurücklegen werden. Die anderen beiden Teilnehmer werden eine energetische Psychotherapie zur Bewältigung von Stress unter der Leitung von Dr. Schenischbek Nasaralijew machen.
Die erste Reality-Show Kirgisiens löste einige Diskussionen aus: Die einen befürworten die Idee des Projektes, andere halten die Show nur für einen weiteren PR-Gag von Professor Nasaralijew. Sie sind der Auffassung, dass so schreckliche Aufnahmen, die zeigen, wie sehr diese Menschen leiden, der Öffentlichkeit nicht gezeigt werden müssen. Die Reality-Show ist zu Ende gegangen, am 19. November war die letzte Folge und ihre Helden müssen dann in das echte Leben zurückkehren. Werden sie diesen Schritt schaffen? Werden sie sich wieder einleben können oder gehen sie erneut zu Bruch? Diese Fragen werden noch unbeantwortet bleiben.
Abgedruckt mit freundlicher Genehmigung des Portals To4ka-Treff. Der Artikel erschien zuerst unter http://www.goethe.de/ins/ru/lp/prj/drj/leb/gup/de10146869.htm
Übersetzung: Verena Maier.