Am Donnerstagabend durften sich Buchliebhaber in Almaty über eine literarische Kostprobe aus Deutschland freuen. In den Räumlichkeiten des Goethe-Instituts Kasachstan las der Autor Artur Weigandt aus seinem Debütroman „Die Verräter“ vor.
Der 29-jährige Kasachstandeutsche mit Vorfahren aus zahlreichen Ländern der ehemaligen Sowjetunion schreibt ansonsten als freier Journalist für die Welt, die FAZ und die Zeit. Für seine Buchlesungen tourte er vergangene Woche durch Zentralasien.
„Die Verräter“ ist ein essayistischer autofiktiver Roman, der Weigandts Reisen von Deutschland über die Ukraine nach Kasachstan lebendig protokolliert und kritische Fragen über den postsowjetischen Raum und seine Bewohner aufwirft.
Vor den Gästen liest er leidenschaftlich und getrieben aus seinem Roman vor, lässt nach jedem Kapitel Zwischenfragen zu. Weigandt spricht vorzügliches Russisch, und mit der Hilfe des Publikums wird die Lesung eine wahrlich bilinguale Veranstaltung. Zwei Deutschlehrerinnen übersetzen, und so können alle Zuhörerinnen und Zuhörer der Diskussion folgen, egal wie fortgeschritten ihre Deutsch-, Kasachisch- oder Russischkenntnisse sind.
Der Unterschied zwischen Heimat und Zuhause
Der Titel des Romans sorgt beim Publikum für großes Interesse: Wer sind denn nun die Verräter? Weigandt will diese Frage den Lesern nicht vorwegnehmen, erläutert aber, dass „Verräter“ nicht unbedingt negativ konnotiert sein muss. Nach seiner Auffassung stellt ein Verräter seine eigenen Ideale über sein gesellschaftliches Ansehen und wird so zum genauen Gegenteil eines Opportunisten.
Ein weiteres Diskussionsthema und auch eines der wichtigen Themen des Buches ist die postsowjetische Identität, die für viele ältere Menschen mit schmerzhaften Erinnerungen verbunden ist. „Wenn du Nerven genug hast, dann diskutierst du, diskutierst du, diskutierst du in der Familie, bis etwas passiert. […] Ich glaube, dass man bei gegensätzlichen Meinungen sehr viel mit Emotionen und Nähe und gegenseitiger Anerkennung arbeiten muss, damit der Andere sich auch verstanden fühlt in seiner Nostalgie und seinen Bedürfnissen, die er in gewisser Weise zu bestimmten Themen hat“, so Weigandt.
Er definiert die Heimat als etwas Vergangenes – als den Ort, an dem die Vorfahren gelebt haben. Das Zuhause als den Wohnsitz – den Ort, wo die Familie und die Freunde sind. Abseits davon sagt Weigandt, dass die Taten für die eigene Identität auch eine große Rolle spielen. „Als Beispiel habe ich auf der einen Seite die Schriftstellerei. Gleichzeitig ist es auch für mich ein Teil meiner Identität, Menschen zu helfen, die notleidend sind.“
Und das will er auch in Zukunft weiterhin tun. „Die Verräter“ ist nur der Auftakt einer Trilogie und wird mit zwei weiteren Büchern über Abenteuer und Hilfsaktionen in den postsowjetischen Raum ergänzt werden, die das Genre des Erzählenden Sachbuchs mit Prosa verbinden sollen.
Interkultureller Austausch und Horizonterweiterung
Viele der Gäste aus Kasachstan sind fasziniert von Weigandts Ideen und seinem Werdegang, doch auch an Deutschland besteht Interesse. Eine junge Frau fragt, worauf man achten solle, wenn man nach Deutschland geht, um dort beispielsweise ein Praktikum zu absolvieren. Weigandt antwortet pragmatisch und verschmitzt: „Lasst euch von den bürokratischen Hürden nicht abschrecken, gebt nicht auf. Die Digitalisierung ist in Deutschland einfach noch nicht so weit.“
Auf die Frage, ob er, wenn er die Wahl hätte, sich für sein Geburtsland Kasachstan oder seinen Hauptwohnsitz Deutschland entscheiden würde, antwortet er trocken: „Es ist immer da besser, wo man gerade nicht ist.“
Nach zwei Kapiteln ist Schluss, der interkulturelle Austausch und die kollektive Horizonterweiterung sind geglückt. „Ich finde, junge Menschen sollten nicht immer sagen, dass es etwas Schlechtes ist, […] mehrere Herkunftsorte und mehrere Geschichten zu haben“, sagt der junge Autor im Anschluss. „Sie sollten meiner Meinung nach sehen, dass es auch ein Vorteil ist, diese identitäre Krise zu haben, weil man eine Mehrflächigkeit für sich selbst entwickelt. Und dann auch immer wieder hin- und herwechseln kann.“ So viele Identitäten entwickeln zu dürfen, sei ein Privileg, findet Weigandt. „Es ist ein sehr, sehr großes Geschenk.“
Am Tag nach seiner Lesung bot Weigandt im Goethe-Institut noch einen journalistischen Workshop an, ehe seine Zentralasienreise dann in Kirgistan ihren Abschluss fand.