Almaty war einst untrennbar mit dem Aport verbunden. Heute ist er beinahe verschwunden. Eine Suche nach den letzten Spuren des einstigen Wahrzeichens der Stadt.

Früher waren die Äpfel riesengroß, heute sind es die Häuser. Neubauten mit Glasfassaden oder in Pastell, an stauverstopften Straßen. In Almaty, der größten Stadt Kasachstans. Neun Hochhäuser, die gerade an der Al-Farabi-Straße hochgezogen werden, markieren einen Ort in der Stadt, an den sich Almatiner genau erinnern. Dort fingen einst die Apfelgärten an, hinauf bis in die Hänge der auch im Sommer schneebedeckten Berge. Der Apfel war es, der dieser Stadt in der Sowjetunion Ruhm und Namen einbrachte. Bis 1993 hieß sie grob übersetzt „Der Großvater der Äpfel“, kurz Alma-Ata. Die besondere Frucht ist der Aport. Er ist das Wahrzeichen, bis heute. Und das, obwohl es ihn kaum noch gibt.

Wie es in Almaty einst ausgesehen hat und wie der Almatiner Apfel einmal gewesen ist, lässt sich nur noch erahnen. Zum Beispiel neben jenen Hochhäusern an der Al-Farabi, die vom quälenden Kreischen der Kreissägen umhüllt werden. In ihrem Schatten liegt eine Siedlung mit wenigen Familien, die dort seit Jahrzehnten ihr Heim haben. Und wo einst noch mehr dieser Häuser und noch viel mehr Apfelbäume standen, da verlaufen heute mehrspurige Straßen, stehen Wohnblöcke, oder liegen Baustellen brach, weil das Geld ausgegangen ist. Dort wächst das Finanzviertel. Inmitten dieses neuen Almaty findet sich ein Stück vom alten, im Garten von Natalia und Rustam Odinajew.

Sie haben einen Aport-Apfelbaum. Rustam Odinajew, das Familienoberhaupt, ist 34 Jahre alt und 1995 aus Tadschikistan nach Almaty gekommen, als es den Aport noch gab, so wie er damals war. „Das waren wirklich ungewöhnliche Äpfel. Groß!“ Und er zeichnet mit den Händen eine ballgroße Form in die Luft. Bis zu 1,2 Kilogramm soll der besondere Apfel einmal gewogen haben, als er noch zuhauf auf den Hängen wuchs. Hochgezüchtet. Auch in ihrem Garten waren die Früchte, die der Baum trug, einmal runder, voller und saftiger.

Seine Frau Natalia ist mit diesem Baum aufgewachsen. Als sie noch ein Kind war, schnitt ihre Oma die Äpfel klein, trocknete sie und machte gemeinsam mit ihrer Enkelin Kompott. Es wuchsen einmal drei dieser Bäume im Garten. Damals zog Nataschas Onkel Wladimir Tschugai mit seinen Eltern auf das Grundstück. Er war sechs Jahre alt, heute ist er 47. Er sagt: „Wenn man den Apfel zerschnitten hat, dann lief der Saft einfach an den Hälften herunter.“ Oft hat er sie nur angebissen, gar nicht erst vom Baum gepflückt. „Ich hätte sie einfach nicht geschafft.“

Der Apfel schrumpft

Der Apfel ist für die Odinajews wie für viele Almatiner inzwischen fast ein Mythos. Ein Mythos, der sich aus dem Früher speist. Früher, das war in der Sowjetunion oder gerade noch so um die Jahrtausendwende. Dann irgendwann schrumpfte er schleichend – im wahrsten Sinne des Wortes – und wurde zu einer Sorte unter vielen. Heute, da die Apfelhänge mit Villen bebaut sind, die einstige Kolchose privatisiert wurde, kommt der Aport auch aus den Nachbarländern, aus Kirgisien und Usbekistan. Er gehört nicht länger allein zu Almaty.

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Höchstens zu den Familien, die sich ihren Baum noch bewahrt haben. Wie die Odinajews. Er steht neben der Hundehütte, die Äste ragen darüber hinweg, bis übers Gartentor und den Zaun hinaus. Allerdings werden nur zehn Prozent der Früchte an ihnen heute noch wirklich reif. Die anderen fallen vorher herunter oder verfaulen von innen. Der Baum ist krank, und „die Umwelt ist verschmutzt“, sagt Rustam Odinajew. Dann pflückt er einige Äpfel, füllt sie in eine Plastiktüte. „Ob krank oder nicht – wir behalten den Baum.“ Für den Onkel schmecken die Früchte trotzdem noch wie früher. Andere Almatiner meinen, dass der Aport nirgends mehr zu finden sei, weder in Geschmack noch Größe.

Selbst manch ein Verkäufer gibt zu, dass er nicht genau weiß, woher der sehr viel kleinere Aport heute kommt, den er da verkauft. Viele Händler sind selbst erst vor ein paar Jahren nach Almaty gekommen, haben die Zeiten der voll bewachsenen Berghänge nicht erlebt.
Einen der wenigen Anbaugärten für das, was vom echten Almatiner Aport übrig ist, gibt es noch in Issyk, etwa eine Autostunde von Almaty entfernt. Wer von dort die Straße zur Apfelwiese hinauffährt, der sieht die Baumkronen hinter dem silbernen Zaun aufragen. Im August hängen die Äpfel üppig an den Ästen, einige schon jetzt rot und bereit, gepflückt zu werden. Die große Ernte beginnt im September. Etwa zwei Hektar der Fläche dort bewirtschaftet Tachmina gemeinsam mit ihrem Mann Achmed, die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen wollen. In ihrem Bestand sind etwa 60 Aport-Apfelbäume, alle knapp sechs Jahrzehnte alt. Das Ehepaar hat den Garten in den 1990-er Jahren übernommen. „Wir haben gehofft, mit den Äpfeln so viel Geld zu verdienen, um künftig eine Familie zu versorgen“, sagt Tachmina an diesem heißen Donnerstag im August, an einem Tisch unter ihren Apfelbäumen. Sie hat zwei Kinder. Die Familie wollte vom Ruf des Apfels leben, und tut es in gewisser Weise bis heute. Das Geschäft aber leidet. Bei ihnen trocknen die Äste an den Bäumen aus, warum, konnten sie bisher nicht herausfinden. Von vielen kranken Bäumen mussten sie sich schon trennen.

Zerfall der Kolchose

Damit sich der Boden erholt, gibt es dort jetzt Erdbeeren. Für Pflanzenschutzmittel haben sie zu wenig Geld – Hilfen gibt es vom Staat, aber nicht genug. Dabei existiert sogar ein Programm der Stadt Issyk, um dem Almatiner Apfel wieder zu neuer Blüte zu verhelfen, aber das Geld, das dafür vorgesehen ist, fließt nicht, jedenfalls nicht zu den Apfelbauern. In der Sowjetunion gehörten die Apfelbäume dem Staat, sie waren der Stolz der Stadt. Auch der Flecken Grün bei Issyk war einst Teil der Kolchose. Seit ihrem Zerfall gehört die Fläche vielen Besitzern, darunter Tachmina und Achmed. Das Paar hat acht Mitarbeiter, die sich von acht bis 17 Uhr um die Bäume kümmern. Pro Tag zahlen sie ihnen 2000 Tenge (umgerechnet rund 10 Euro). Bewacht wird das Feld nachts von der Familie selbst, damit niemand die Äpfel stiehlt. Jedes Kilo bringt 200 Tenge, einen Euro. Manchmal verkaufen sie ins Ausland, zum Beispiel nach Sibirien. Vor allem aber versorgen sie die Märkte in Almaty und Umgebung mit ihren Äpfeln, etwa den 15 Kilometer entfernten Basar „Altyn-Ordo“ oder den bekannten „Grünen Basar“ mitten im Zentrum Almatys. Dort, wo der Aport im Stadtbild so gut wie nicht mehr präsent ist.

Gerade ärgern sich Bürger wegen der weiteren Abholzung der Bäume, sie sollen am Rande der Stadt einer Straße weichen. Wie um die Odinajews herum wächst die Stadt immer weiter, vor allem für die neue kasachische Mittelklasse. Für sie entstehen auch die Hochhäuser am Rande der Siedlung mit dem Garten der Odinajews. Um die Familie herum haben die meisten dafür ihre Grundstücke verkauft. Nun glaubt die 28-jährige Natascha: „Vielleicht noch zwei Jahre, dann werden wir hier wohl auch weg sein.“ Und mit ihnen der Baum.

Dieser Text ist im Rahmen der Zentralasiatischen Medienwerkstatt (ZAM) entstanden, bei der im August in Almaty Teilnehmer aus Kasachstan, Tadschikistan, Usbekistan und Kirgisistan gemeinsam mit Kollegen aus Deutschland und Österreich recherchierten. Die ZAM ist ein Kooperationsprojekt der Deutschen Allgemeinen Zeitung, des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa), der Goethe-Institute Almaty und Taschkent, des deutsch-russischen Jugendportals To4ka-Treff sowie der Friedrich Ebert Stiftung. 

Von Muchsin Kosimow, Samara Turganowa und Mandy Ganske-Zapf

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