Für manche Dinge sind manchen Menschen die Wege nicht zu weit und die Hürden nicht zu hoch, wenn der Anlass stimmt. Für Elmer sind es: Schuhe. Das Bemerkenswerte daran ist: Elmer ist keine Frau.

Elmer legt am liebsten kurze Wege zurück, zu Fuß oder mit dem Fahrrad, folgt vorzugsweise gewohnten Mustern, steckt seine Nase, so oft es nur geht, tief in Bücher und erlebt und verrichtet die Dinge lieber im Kopf, als tätig zu werden. Wieso sollte Elmer also verreisen? Eben! Aber auch schlafende Hunde werden früher oder später durch irgendwas geweckt, und Tagträumer werden manchmal aus dem Stegreif aktiv, wenn der Anlass stimmt. So erging es auch unserem Helden Elmer. Und das begab sich so: Der Winter kam, es wurde kalt und Elmer sah ein, er brauche Winterstiefel. Andere Leute gehen einfach los und kaufen Schuhe. Aber nicht so Elmer. Bevor Elmer eine Glühbirne kauft, verliert er sich in psychologischen, philosophischen und technischen Betrachtungen, recherchiert fachkundig die unterschiedlichen Formen, Farben und Intensitäten des Lichts, reflektiert, welcher Lichttyp er ist, ob er lieber kaltes oder warmes, weißes oder gelbes Licht mag und irgendwann dann mal hat Elmer seine passende Glühbirne. Aber immerhin – die Birne ist inzwischen eingeschraubt.

Bei den Schuhen geriet Elmer ins Sinnieren, wieso eigentlich nicht Schuhe des gleichen Schnittes im Sommer- und Winterformat angeboten würden. Ja, genau, Elmer fand, das müsse es unbedingt geben und das wollte er jetzt auch dringend haben. Und so recherchierte Elmer lange im Internet, rief verschiedene Schuhgeschäfte an, gab nicht auf, wurde zu guter Letzt fündig und für seine Hartnäckigkeit belohnt: Tatsächlich hatte eine Firma solch ein Angebot. Galt es nur noch, die passende Filiale ausfindig zu machen. Zur Auswahl standen Düsseldorf, Frankfurt, Amsterdam und Brüssel. Na, bitte!

Die erste Etappe bildete Düsseldorf, wo es die Schuhpaare allerdings nicht in Elmers Größe gab, was ihn fast nach Frankfurt oder Brüssel lockte, wo es zwar die Kartons mit der richtigen Größe gab, die aber aus unerfindlichen Gründen leer waren. Wie gut, dass er das vorab telefonisch geklärt hatte. Blieb noch Amsterdam. Dort gab es die Schuhe in der richtigen Form und Größe, jedoch das Problem mit den Öffnungszeiten. Denn Elmer hatte sich einen ganz bestimmten Dienstag für den Schuhkauf in Amsterdam ausgeguckt, um den Firmenwagen nutzen zu können, und ausgerechnet dienstags schließt der Laden früher. Um aber einen Mietwagen zu buchen, braucht man eine Kreditkarte, die Elmer nicht hat. Es wurde ihm wahrlich nicht leicht gemacht.

Als gute Freundin von Elmer wunderte ich mich zunächst sehr über seine neu entfachte Agilität und Mobilität, erkannte und anerkannte aber auch seine Zwanghaftigkeit und Unflexibilität, ganz dringend am kommenden Dienstag die Schuhe in Amsterdam holen zu müssen und half ihm als alter Reisehase, das Verkehrsmittel mit den geringsten Hürden ausfindig zu machen. Das war kinderleicht: der Zug! Elmer war einverstanden und froh, fuhr und holte die Schuhe und fand bei der Gelegenheit ganz nebenbei heraus, dass es durchaus etwas für sich haben kann, ab und zu mal eine andere Stadt zu besuchen – obwohl er die Stunden bis zur Rückfahrt lesend in einem dunklen Kneipenkeller verbrachte. Aber trotzdem – es geht doch!

Julia Siebert

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