Drei Wochen durch so viele Länder Zentralasiens wie möglich – so lautet mein selbst erklärtes Ziel. Meine Reise beginne ich in Tadschikistan. Nach dem Zerfall der UdSSR von einem grausamen Bürgerkrieg zerrissen, gilt das Land heute als ärmste der ehemaligen Sowjetrepubliken. Von der prachtvollen Hauptstadt Duschanbe möchte ich in das usbekische Samarkand fahren. Nach einer langen Fahrt durch das unwegsame Alaigebirge komme ich schließlich in der Kleinstadt Panjakent an. Was dort als kurzer Zwischenstopp gedacht ist, entpuppt sich als kleines Abenteuer.

Nach fünf Stunden Fahrt durch schwieriges Gelände mit einem Fahrer, der gerne kurz vor knapp überholt, steige ich müde und erfreut über die frische Luft aus dem Auto. Der Kontrast zur Hauptstadt könnte kaum größer sein. Kleine und alte Häuser schmiegen sich an enge verstaubte Straßen. Rufe von Händlern, das Blöken von Nutztieren und der Duft frischer Früchte und von geräuchertem Fleisch steigen aus einem alten Gebäude empor, dessen Torbogen die rostige Aufschrift „Bosor“ ziert.

Mein Plan war es, nur einen kleinen Zwischenstopp in Panjakent einzulegen und dann weiter nach Samarkand zu fahren. Doch betört von der orientalischen Atmosphäre entschließe ich mich, noch eine Nacht hier zu bleiben. Schnell stoße ich auf eine gemütliche Unterkunft, deren Preis für die Nacht bei Sage und Schreibe 11 Euro liegt. Der Gastgeber – ein älterer Herr, der hervorragendes Russisch spricht –, empfiehlt mir, sich die antiken Ruinen der Stadt anzusehen. Warum nicht, denke ich mir, und so breche ich auf, so lange es noch hell ist.

Ein unwiderstehliches Angebot

Während ich unter der gnadenlos heißen Sonne an der Bushaltestelle warte, beginnt mir zu dämmern, dass möglicherweise kein Bus fahren könnte. „Woher kommst du?“, höre ich hinter mir jemanden auf Englisch sagen. Überrascht drehe ich mich um. Vor mir steht ein junger Mann mit dunklem Bart und Sonnenbrille und mustert mich aufmerksam. „Aus Deutschland“, antworte ich und erzähle im von meinem Plan, mir die alte Stätte anzusehen. „Auf den Bus wirst du hier ewig warten“, sagt mein neuer Bekannter, der sich mir als Farruk vorstellt. „Komm, wir fahren dich hin!“

Leicht überrumpelt von diesem freundlichen Angebot folge ich ihm zu einem weißen Skoda, wo bereits seine Freunde warten, die sich mir als Shura und Khushi vorstellen. Während wir fahren, erzählt mir Farruk, dass er selbst an den Ausgrabungen beteiligt war und zwei Jahre lang in der Sankt-Petersburger Eremitage gearbeitet hat. Neben einer Mitfahrgelegenheit erhalte ich so auch noch eine kostenlose Tour durch die alten Ruinen. Die Jungs bieten mir nach der Tour noch an, mit ihnen zum See zu kommen. Nach dieser langen Fahrt und der sengenden Hitze ein Angebot, das ich nicht ablehnen kann.

Familiärer Druck

Während wir am stillen Wasser sitzen, erfahre ich viel über meine neuen Bekannten und ihre Pläne. Farruk ist verheiratet, hat einen Sohn, und seine Arbeit besteht darin, auf dem örtlichen Basar Fenster zu verkaufen und diese auf Auftrag einzubauen. Seine Zeit in der Eremitage macht sich schnell bemerkbar, denn in kurzer Zeit erhalte ich einen tiefgehenden Vortrag in Geschichte, Religion und Philosophie. Zwar spannend, dreht sich mir nach dem Informationsschwall dennoch bald der Kopf. Shura, der dies amüsiert bemerkt, grätscht dazwischen. „Kaum ist er angekommen und du hältst ihm hier Vorlesungen.“ An mich gewandt, sagt er: „Er geht dir doch auf die Nerven, stimmt’s?“, und lacht.

Shura und Khushi arbeiten beide in Moskau und sind nun zurückgekehrt, um sich eine Frau zu suchen. In Tadschikistan ist es anders als in Deutschland üblich, bereits mit 25 Jahren verheiratet zu sein. Da beide in ihren späten 20ern sind, wächst in der Familie immer mehr der Druck auf sie, nun ihre eigene zu gründen. Ausgelassen unterhalten wir uns, während die Sonne schleichend hinter dem Bergmassiv verschwindet.

Mit dem Musikproduzenten zur tausendjährigen Stadt

Am nächsten Morgen erwartet mich Farruk bereits vor meiner Unterkunft. Zusammen machen wir uns auf den Weg zu seinem Einzelhändler des Vertrauens, um ein paar kühle Getränke zu holen, wo uns Khuschi bereits freudig erwartet. Ich erzähle den beiden von meinem Plan, heute nach Samarkand zu fahren. „Das trifft sich gut, Shura und ich holen dort einen Kumpel vom Flughafen ab und wollten am Nachmittag noch hin“, sagt mir Khushi. Doch das ist noch lange hin, weshalb er mir anbietet, ihn zu begleiten. „Wir holen noch meinen Cousin und fahren nach Sarasm, eine alte Stadt, die du dir ansehen musst, wenn du schon mal hier bist.“ Sein Cousin, stellt sich mir als Farid vor. Unter seinem Pseudonym „Hybrid“ produziert und mixt er Musik in Moskau. Derzeit sucht er nach einem großen Produzenten, der bereit ist mit ihm zusammenzuarbeiten. Mir fällt auf, wie viele in Russland arbeiten. Laut dem Migrationsdienst der russischen Föderation arbeiten fast 1,2 Millionen Tadschiken als Gastarbeiter. Von dort aus versorgen sie ihre Familien in der Heimat.

Nachdem wir in Begleitung von Farids Musik durch die steinige, tadschikische Steppe geschlittert sind, erreichen wir endlich das monumentale Tor des Archäologischen Parks. Die Beschreibung „Alte Stadt“ ist eher eine Untertreibung. Sarasm war eine landwirtschaftlich geprägte Siedlung, deren Fundstücke bis in das Jahr 4.000 vor Christus zurückreichen. Die Siedlung gilt als eine der ältesten in Zentralasien und ihre Handelsbeziehungen reichten vom iranischen Hochland bis zum Indischen Ozean.

Gestrandet in der Steppe

Müde von der Hitze und dem Sightseeing, gehen wir zurück zu dem bisher so treuen Skoda. Doch etwas stimmt nicht. Der beißende Geruch von Benzin und eine Pfütze unter dem Auto lassen uns das Schlimmste befürchten. Mit einem Wagenheber und einer Taschenlampe macht Khushi schnell die Quelle des Übels aus. Ein Stein hat sich in den unteren Teil des Wagens bis zum Tank durchgebohrt. Und so stehen wir mit einem gestrandeten Auto mitten im Nirgendwo. Das war es wohl mit meinem Plan, heute Abend noch in Samarkand anzukommen.

Mit dem Auto steckengeblieben – und das mitten in der tadschikischen Steppe.
Mit dem Auto steckengeblieben – und das mitten in der tadschikischen Steppe.

Doch wir geben die Hoffnung nicht auf. Es gibt Empfang und wir haben großes Glück, dass Farruk in der Stadt geblieben ist. Stunden warten wir bei glühender Hitze, bis schließlich unsere Rettung kommt. Farruk holt Verbandszeug und Klebstoff aus seinem Auto und eilt zur Unglücksstelle. Auf einer Plane liegend, schafft Khushi es mit einem weißen Verband und Sekundenkleber, das Leck provisorisch zu stopfen. „Bleibt zu hoffen, dass es hält“, ruft er unter dem Auto hervor. Farid holt den Benzinkanister aus dem Kofferraum und flößt den Treibstoff langsam in den Motor ein. Kurz halte ich den Atem an. Es klappt! Der provisorische Schutz hält, und das Benzin bleibt im Tank. Bleibt nur zu hoffen, dass die paar Fetzten Stoff die 25 Kilometer bis zur nächsten Werkstatt durchhalten.

Angespannt fahren wir langsam, um den Motor nicht zu strapazieren, zur Werkstatt. Nach einer Stunde ist es so weit und der Schaden ist endlich behoben. „Es ist bereits zu spät, um nach Samarkand zu fahren. Wir können erst morgen früh los.“ Ernüchtert blicke ich auf die einbrechende Abenddämmerung. „Komm, wir fahren zu mir nach Hause“, meint Khushi aufmunternd und lädt mich zu sich ein.

Ein unvergesslicher Abend

Von außen schlicht und pragmatisch, erwartet mich beim Eintritt in den Haushof der herrliche Anblick blühender Gärten und einer gemütlich eingerichteten Terrasse. Herzlich werde ich dort von seiner Familie empfangen, die mich interessiert über mein Leben in Deutschland ausfragt. Khushi führt mich darauf in einen mit schönen orientalischen Mustern versehenen Raum, wo auf einem weißen Tuch allerhand fantastische Speisen warten. Er deutet auf einen gemütlichen, mit Kissen ausgestatteten Platz. „Am Ende des Saales sitzt immer der Gast“, sagt er. In Tadschikistan ist es üblich, auf dem Boden sitzend im Schneidersitz zu essen. Nun kommen auch seine Freunde herein, und wir versammeln uns in einer großen Runde.

Bis tief in die Nacht hinein unterhalten wir uns bei köstlichem Essen, tauschen uns über unsere Lebenspläne aus, erzählen Anekdoten. Ich versuche mich an ein paar Worten in Farsi und ihrer anspruchsvollen Aussprache, sehr zur Belustigung der anderen. „Noch ein paar Tage, und du bist ein echter Tadschike“, meint Shura und lacht.

Die Abend vergeht schnell; zu schnell. Khushi, Shura und ich verabschieden uns von den anderen. „Legt euch schlafen, wir müssen morgen früh raus“, meint Khushi. Ich denke darüber nach, was wäre, wenn ich einfach bis zur Grenze gefahren wäre, ohne einen Zwischenstopp einzulegen. Wie viel hätte ich verpasst? Wen hätte ich alles nicht kennengelernt? Manchmal ist es eben gut, wenn nicht alles nach Plan läuft.

Um Punkt vier Uhr morgens werden wir vom nervtötenden Klingeln des Weckers gestört. Müde steigen wir in den Wagen. Die Fahrt verläuft diesmal unkompliziert, und schnell sind wir an der Grenze. Nach ein paar Passkontrollen bei den mürrischen tadschikischen und usbekischen Grenzern, die keine Frühaufsteher zu sein scheinen, kommen wir schließlich in Usbekistan an. Endlich ist es geschafft. Vor uns liegt er nun, der lang ersehnte Weg nach Samarkand.

Darius Diehl

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