Mit einem neuen Sammelband widmet sich die Rosa-Luxemburg-Stiftung Zentralasien dem Thema Feminismus in der Region. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit soll auch einen Beitrag dazu leisten, die oftmals konkurrierenden Initiativen zusammenzubringen und zu vernetzen.

Am vergangenen Freitag jährte sich das Geburtstagsjubiläum von Rosa Luxemburg zum 150. Mal. Als revolutionäre Sozialistin, Antimilitaristin und Mitbegründerin der Kommunistischen Partei Deutschlands gilt sie bis heute als eine der Leitfiguren der europäischen Linken ihrer Zeit. Doch wie hielt sie es eigentlich mit dem Feminismus? Über die Frage wird heute gestritten, denn eigentlich nahm Luxemburg in ihren Werken keine eindeutige Position zur aufkommenden feministischen Bewegung ein. Der Kampf für Frauenrechte war eher Sache ihrer Parteigenossin und engen Freundin Clara Zetkin. Ihr ist auch zu verdanken, dass seit 1911 der Internationale Frauentag gefeiert wird.

Trotzdem gibt es Expertinnen, die Luxemburg heutigen Formen des Feminismus zuordnen würden – etwa dem intersektionalen Feminismus, der Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Rasse und Klasse untrennbar voneinander betrachtet. Für andere dagegen ist eine solche Übertragung ihrer Ansichten in einen modernen Kontext unzulässig, da diese feministischen Richtungen viel später entstanden sind. Luxemburg war in erster Linie Marxistin und suchte nach Unterstützung bei proletarischen Frauen in ihrem Kampf für den Aufbau des Sozialismus.

Klar ist aber auch: Luxemburgs Lebensstil war viel zu progressiv für ihre Zeit. Sie war promovierte Akademikerin, als nicht alle Frauen studieren durften. Sie war nicht in einer Ehe gebunden – nach einer Scheinehe, um die deutsche Staatsbürgerschaft zu erhalten, war sie nie wieder verheiratet. Und sie beschäftigte sich unermüdlich mit Politik, was damals als rein männliche Sache galt.

Feministische Bewegungen in Zentralasien

Die Vertretung der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Zentralasien nahm den runden Geburtstag ihrer Namensgeberin nun zum Anlass, um einen Essay-Sammelband zu präsentieren. „Stimmen des Feminismus in Zentralasien“ umfasst eine Reihe von Beiträgen, in denen Autorinnen aus Kasachstan, Kirgisistan, Usbekistan und Tadschikistan erörtern, warum man Feminismus braucht, wie der Alltag einer Aktivistin aussieht, und auf welche Schwierigkeiten die feministischen Bewegungen in Zentralasien stoßen.

Die Bewegungen in der Region, ihre Agenden und ihre öffentliche Akzeptanz variieren zwar von Land zu Land. Die Probleme, mit denen Frauen konfrontiert sind, sind jedoch gleich: Diskriminierung, Abwertung, Druck, Vorwürfe von „Ujat“ und Gewalt. In Kasachstan zum Beispiel ist verankert und das Land hat sich verpflichtet, die Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau einzuhalten. Die Fakten zeichnen aber ein anderes Bild.

Laut dem „Gender Social Norms Index“ des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen UNDP haben 96 Prozent der Befragten in Kasachstan Vorurteile gegenüber Frauen. Frauen verdienen ein Drittel weniger als Männer. Sie sind unterrepräsentiert auf politischer Ebene: Der Anteil der Frauen unter Staatsbeamten im Jahr 2018 betrug 11,7 Prozent. Nur 20 Prozent der führenden Positionen in Banken sind mit Frauen besetzt. Auch zuhause fühlen sich Frauen nicht sicher: 17 Prozent von ihnen erfahren physische und sexuelle Gewalt, und rund 500 Frauen werden jährlich von ihren Partnern umgebracht – bei einer Einwohnerzahl von 18 Millionen. Im Vergleich zu 300 Frauen bei 83 Millionen Einwohnern in Deutschland ist dieser Wert erschreckend hoch.

Dass die feministischen Bewegungen in der Region sich schwer damit tun, diese Probleme zu adressieren, hat mehrere Gründe. Da ist zum einen – etwa in Kasachstan – ein Mangel an Solidarität. Die unterschiedlichen Organisationen sind abhängig von Finanzmitteln und deren Stiftern. Das fördert Konkurrenzdenken und Neid. Auch unterschiedliche Ansichten zur Entwicklung der Frauenbewegung und ihren Zielen spielen hier eine Rolle. Um die Gunst der Stifter zu gewinnen, müssen die Initiativen oft ihren inhaltlichen Fokus verschieben – zum Beispiel weg von Aspekten wie Sex-Arbeit oder Rechten für Transgender-Personen. Aus demselben Grund müssen sie ihre Projekte auf kurzfristige Lösungsansätze statt einen langfristigen Systemwechsel ausrichten. Der neue Sammelband der RLS war laut den Teilnehmerinnen auch ein Versuch, hier Abhilfe zu schaffen, feministische Aktivistinnen und Autorinnen grenzüberschreitend zu solidarisieren und ein Netzwerk
zu bauen.

Ein anderes Problem, das die Beteiligten schildern, ist die negative Wahrnehmung von Feminismus. Dieser werde als etwas Fremdes, Unklares und deshalb Unnötiges betrachtet und auf Männerfeindlichkeit, Radikalität, Matriarchat und „nackte Frauen“ reduziert, so Sewara Chamidowa, Forscherin und Aktivistin aus Usbekistan. Sie begründet eine solche negative Sichtweise mit einem Mangel an rechtlicher Kompetenz, zivilgesellschaftlichem Bewusstsein und einer eigenen Meinung zu sozial wesentlichen Fragen. Zudem kritisiert sie eine „Kultur der Straflosigkeit“, wonach Verurteilung, Kontrolle und Gewalt gegenüber Frauen durch Traditionen und Mentalität gerechtfertigt würden. Die Autorin ist davon überzeugt, dass man in Zentralasien ein eigenes feministisches Modell brauche, um den Glauben an den Vorrang des Gesetzes und den Respekt vor Menschenrechten zurückzugewinnen sowie die Lebensqualität der ganzen Gesellschaft zu verbessern.

Zustimmung erhält sie von drei Psychologinnen aus Kirgisistan, die sich in dem Beitrag „Manifest der Psychologengilde Kirgisistans. Patriarchats-Therapie“ mit dem Thema befassen. Darin sehen sie die Frauenemanzipation als eine gesellschaftliche Emanzipation und behaupten, es liege in den Händen von Psychologen und Psychiatern, diese zu gewährleisten. Weiter bringen sie die Gründung einer Psychologengilde mit einem ethischen Kodex ins Spiel. Nach dessen Prinzipien solle es bei der psychologischen Unterstützung verboten sein, Frauen Genderstereotypen einzureden und Opfern von Diskriminierung und Gewalt Schuldgefühle zu geben. Stattdessen sollten patriarchale Unterdrückungs- und Diskriminierungseinstellungen gegenüber Frauen bekämpfen werden.

Wer darf sich Feministin nennen?

Unterschiedliche Meinungen gibt es zur Frage, wer eigentlich als Feministin gilt. Für Swetlana Schakirowa, Gender-Forscherin und eine der Gründerinnen der feministischen Bewegung in Kasachstan, ist eine Feministin eine Intellektuelle, die bewusst ihr eigenes Ich in der Männerwelt bewahrt. Eine etwas andere Sichtweise hat die Vertreterin der Kasachischen Feministischen Initiative „Feminita“ Altynai Kambekowa. Feminismus, so Kambekowa, sei heutzutage zu einem Beruf geworden, und infolgedessen entstünden sogenannte „Gatekeepers“, die entschieden, wer Feministin genannt werden darf. „Der Titel ‚Feministin‘ ist aber kein Anhängeetikett, das man mit seinen intellektuellen Fähigkeiten verdienen muss“, so Kambekowa. „Um eine Feministin zu sein, ist es nicht notwendig, feministische Theorien zu kennen oder auf die Straßen zu gehen. Unsere Mütter und Großmütter und alle Frauen ringsherum kämpfen auf ihre Weise gegen Unterdrückung.“

Auf Nachfrage der DAZ, wie sie sich die bestmögliche Verbreitung feministischer Ideen vorstelle, antwortete Kambekowa: „Man kann Feminismus nicht einsetzen, denn das ist wie eine Handlung von außen her, wie Gewalt. Um Feminismus zu verbreiten, muss man einen Dialog mit Frauen einrichten.“ Hier stimmt Kollegin Schakirowa zu: „Missionsbewusstsein, wenn man von außen herkommt und Ideen einbringt, ist schon eine zurückgelegte Etappe. Man muss Frauen zuhören und verstehen, eine gleichberechtige Partnerschaft einzugehen. Von Frauen kann man vieles lernen, wie man überleben und stark sein kann.“

Rosa Luxemburg sagte einst: „Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden.“ Die Aussage bezieht sich auch auf Feminismus. Denn sich als Feministin zu bezeichnen bedeutet eben auch, anders zu denken – sich außerhalb patriarchalischen Gedankenguts zu bewegen. Feminismus ist die Freiheit zu behaupten, dass biologische Unterschiede nicht Verhalten und Privilegien bestimmen sollten. Und Feminismus ist die Freiheit, nach eigenen Normen zu leben, sich seine persönlichen Grenzen selbst vorzuschreiben und für sein eigenes Leben Verantwortung zu übernehmen.

Aizere Malaisarova

Teilen mit: