Das Reisen ist nicht nur gut für das allgemeine Wohlbefinden, sondern auch für die berufliche Weiterentwicklung. Das sieht man besonders bei Künstlern. Unsere Autorin Aizere Malaisarova hat mit drei kasachischen Künstlerinnen gesprochen, die eine Weile – oder schon lange – in Deutschland leben, etwas Neues über sich selbst entdecken, und dabei ihre kasachstanischen Wurzeln bewahren.
Die Kunst im Blut
Die Ausstellungsmacherin Gaischa Madanowa ist Initiatorin und Redakteurin des ersten Magazins für kasachstanische zeitgenössische Kunst ALUAN, das sich als „Ausstellung auf Papier“ versteht. Doch irgendwann zweifelte sie an ihrem Werdegang als berufliche Künstlerin. Geboren in einer Familie von Künstlern, sah sie von Kindheit an, wie gefährdet der sozioökonomische Status und die Position dieser Berufsgruppen in Kasachstan sind.
Der ausschlaggebende Moment in ihrem Leben war, als sie mit 17 Jahren die Eröffnung des ersten Museums für moderne und zeitgenössische Kunst in der Türkei „Istanbul Modern“ besuchte. Sie war beeindruckt und inspiriert davon, wie Mäzene, Sammler und Unternehmen mit staatlicher Unterstützung die Idee der türkischen zeitgenössischen Kunst förderten. Das weckte in ihr die große Hoffnung, dass auch in Kasachstan zeitgenössische Kunst bald geschätzt und nachgefragt sein könnte.
Gaischa schloss die Architektur-Fakultät des Almaty Colleges für Bau-Management ab, ihr Diplomprojekt war ein Museum für moderne Kunst. In der Architektur blieb sie jedoch nicht, denn ihr Wunsch, sich mit der modernen Kunst zu beschäftigen, stieg ständig. Sie wollte schon immer im Ausland studieren, aber das war damals zu teuer, und in staatlichen Stipendienprogrammen genoss die zeitgenössische Kunst keine Priorität.
Eine Schlüsselrolle in ihrer beruflichen Entwicklung spielte schließlich das Goethe-Institut. Es organisierte eine Vielzahl von Veranstaltungen, an denen Gaischa teilnahm – darunter 2012 das Programm „Kompetenzzentrum Kulturmanager“ in Berlin. Für einen Gastvortrag über Bildung an den Kunstakademien Deutschlands lud das Goethe-Institut den Konzeptkünstler Christian Frosch ein. Der empfahl Gaischa dringend, ihre Aufmerksamkeit auf die Akademie der Bildenden Künste in München zu lenken. Noch heute erinnert sie sich mit Dankbarkeit an diese Möglichkeiten.
Unterschiedliche Vorstellungen von Kunst
„Deutschland gehört zu jenen Ländern, in denen Bildung und Kultur immer aktiv und breit gefördert werden, weil sie seit jeher eine wichtige Rolle im Erbe des Landes spielen. In Deutschland gibt es heutzutage mehr als 600 Kunstmuseen, eine Vielzahl von Ausstellungshäusern, Galerien, Institutionen, Messen und Festivals, und interessanterweise rund 300 Kunstvereine und Gewerkschaften“, sagt Gaischa.
In Deutschland und Kasachstan gebe es unterschiedliche Vorstellungen über die Rolle von kultureller Ideologie und Politik, und Künstler hätten einen anderen Status. „Nach meiner Beobachtung wird in Kasachstan den darstellenden Künsten und Sport mehr Aufmerksamkeit geschenkt, und Künstler erfüllen eher „künstlerische und gestalterische Dienstleistungen“. Kultur in Deutschland wird sowohl vom Staat als auch von der Privatwirtschaft gefördert, und es gibt gute Bedingungen für kreative Arbeit: Mindestlohnstandards, soziale Absicherung, Rechte und wirtschaftlicher Status.“
Dennoch merkt Gaischa an, dass sie nicht endgültig in Deutschland angekommen ist. „Während meines Aufenthalts in Deutschland stand ich ständig mit einem Bein in Kasachstan. Mir ist es wichtig, die zeitgenössische kasachische Kunst durch den kulturellen Austausch zwischen den Ländern zu fördern und neue Formen der Zusammenarbeit zu finden. Als Vermittlerin versuche ich immer, Künstler und Institutionen aus Kasachstan, aber auch interessierte Institutionen, Künstler und Kuratoren in Deutschland zu beraten und miteinander zu vernetzen.“
Unterstützung für junge Künstlerinnen und Mütter
Der Künstlerin und Illustratorin Madina Zholdybekova fiel es immer leichter, sich durch visuelle Symbole zu äußern. Früher arbeitete sie in Grafikprogrammen. Als sie eine freiberufliche Karriere anfing, begann sie, mit Bleistiften und Wasserfarben zu malen. Darüber hinaus webt sie Teppiche – eine Mischung aus traditionellen Stilen gefällt ihr dabei am liebsten.
Ihre erste Ausstellung „Mixed Feelings“ widmete sie den Schwierigkeiten des Mutterseins. Sie fand im August 2021 im Almatiner Kunstraum „DOM 36“ statt. Zu der Zeit lebte Madina mit ihrem Ehemann und ihrem Sohn seit fast zwei Jahren in Nürnberg. Früher wohnten sie in Istanbul, vor Kurzem sind sie nach London gezogen. Mit den Umzügen fühlt sie sich am wohlsten. An einem Ort zu bleiben, sagt sie, enge sie ein.
„Wer viel produziert, muss viel konsumieren. Künstler müssen zu Ausstellungen anderer Künstler gehen, Menschen beobachten, die Welt um sich herum dokumentieren“, so Madina. Während der zweieinhalb Jahre, die sie in Deutschland lebte, waren die Museen und Galerien allerdings lange Zeit zu. Trotzdem gelang es ihr, am Wettbewerb für das Redesign der mobilen Bibliothek Nürnberg teilzunehmen und dort unter die besten drei Teilnehmer zu kommen. Sie lobt, dass Architekten, Designer und Künstler in Deutschland oft konsultiert werden, wenn es um die Rekonstruktion des Stadtbilds geht. Schöpfer haben schließlich keine Angst, ihre Meinungen zu äußern.
„Man bleibt nicht derselbe Mensch“
In Kasachstan würde sich Madina mehr Zusammenarbeit, gemeinsame Workshops und Ausstellungen wünschen. Aber alles hängt von den Finanzen ab. Künstler in Kasachstan müssen selbst dafür sorgen. In Deutschland erlebte sie das anders. Dort gab es beispielsweise zu Beginn der Pandemie finanzielle Unterstützung von der bayerischen Regierung für Freiberufliche, wie Madina von Bekannten und aus den Medien erfuhr. Verschiedene Initiativen, so etwa Ladies Wine & Design in Nürnberg und OUSA Collective in Berlin, halfen ihr, sich leichter in die neue Gesellschaft zu integrieren.
Doch an jedem neuen Ort erinnert Madina sich immer daran, woher sie kommt, und bleibt offen für neue Erfahrungen. „Multikulturalismus ist uns nicht fremd. Es gibt auch viele Kulturen und Nationalitäten in Kasachstan,“ erklärt sie. „Sei es beim Lernen von Türkisch oder Deutsch – wenn man in neue Kulturen eintaucht, bleibt man nicht derselbe Mensch, sondern wird schon zu jemand anderem“.
„Plastik ist modernes Gold“
Darion Schabbasch ist Straßenmalerin und lebt nach dem Motto „Inspiration ist ansteckend“. Das Hauptmaterial ihrer Werke ist Kunststoff. „Es tut mir immer leid zu sehen, wie ein so wertvoller, von Menschen hergestellter Stoff wie Plastik von der Konsumindustrie abgewertet wird, und dass es sein potenzielles Schicksal ist, im Müll zu landen. Plastik ist für mich modernes Gold. Ich wollte zeigen, dass Plastik eine Kunst und etwas Wertvolles sein kann“, sagt Darion. So arbeitete sie mit den Almatiner Recycling-Enthusiasten „Rocket Plastik“ zusammen und machte Bilder aus recycelter Plastik. Ihr ist es wichtig, sich in den Materialien und Produktionsmaschinen gut auszukennen. Bei der Arbeit verfolgt sie einen ingenieurwissenschaftlichen Ansatz.
Einen Teil ihres Werdegangs als Künstlerin durchlief Darion in Moskau. Sie lebte dort vier Jahre, lernte die lokale Graffiti- und Straßenkunst-Community kennen, und nahm an verschiedenen Festivals und Ausstellungen teil. Nun lebt sie in Berlin, ihr Ehemann hat da einen Job gefunden. Die beiden befinden sich immer noch in der Anpassungsphase, oder wie sie sagt, entwöhnen sich von der bisherigen Lebens- und Denkweise. In Berlin gibt es viele Recycling-Werkstätten auf der Suche nach neuem Material zur Inspiration.
Vor ihrer Abreise nach Deutschland schenkte Darion der Heimatstadt Almaty ein Mosaik namens „Gashiktar“ (aus dem Kasachischen „Die Verliebten“) aus kaputten Keramikstücken. Das Mosaik ist auf der Wand des „DOM 36“ zu finden. In Deutschland hinterlässt sie auch ihre Spuren auf Gebäuden – letztes Jahr nahm Darion an Straßenkunst-Festivals wie „Hands Off The Wall“ in München und „Looming Large“ in Flensburg teil. Dank der Kompaktheit Deutschlands ist es leichter, zu reisen und zu netzwerken. Aber auch in Kasachstan entwickelt sich die Kunstgemeinschaft anschaulich. Sie wünscht den Künstlern im Heimatland, die Kunst dort weiter zu entwickeln und offen Ideen miteinander zu teilen.