Der Ethnologe Jesko Schmoller (29) lebt seit Sommer 2006 in der usbekischen Hauptstadt Taschkent. In seinem zwölften Bericht beschreibt er seine Revolte gegen den Fastenmonat Ramadan.

Die Fastenzeit hat begonnen. Der Monat Ramadan, den man hier „Ro’za“ nennt. Bis vor kurzem hörte man an jeder Ecke des großen „Tschorsu“-Basars die Rufe der Verkäufer, die ihre Ramadan-Kalender feilboten. Denn um das Fasten einzuhalten, genügt es nicht, tagsüber auf Nahrung und Flüssigkeit zu verzichten. Man muss wissen, bis wann es in den Morgenstunden noch möglich ist zu essen, so dass man rechtzeitig aufstehen und sich für den Tag stärken kann.

Meine Familie lebt traditionell genug, sich an diese Vorschriften zu halten. Sogar so weit, dass mein Gastbruder Anwar sich Watte in Ohren und Nasenlöcher stopft, wenn er tagsüber duscht. Sonst könnte er ja ungewollt Flüssigkeit aufnehmen.

Die einzigen Abweichler in der Familie sind der achtjährige Eljor und ich. Er ist noch zu jung, ich bin Gast aus der Fremde und kann mich jederzeit auf meinen Wundertierstatus berufen. Leider scheint der Großvater, das spirituelle Oberhaupt der Familie, in meinem Fall keine Ausrede gelten lassen zu wollen. Würde ich tagsüber weder essen noch trinken, könnte ich den anstrengenden Arbeitstag am Institut kaum durchstehen. Großvater Rahim sieht das aber anders. Wenn Eljor und ich uns schon nicht an die Fastenvorschriften halten, dann können wir wenigstens den Hof fegen und mit Wasser sprengen, meint er.

Derartige Zwänge lösen bei mir automatisch Auflehnung aus. Deshalb habe ich mich in den letzten Tagen zu einem kleinen Teufel und Verderber der Rechtgläubigen gewandelt. Zum Ende der Arbeitswoche lud ich meinen Vorgesetzten am Freitag noch auf ein Bier ein. Nun kann auch mein Vorgesetzter es sich in seiner Position nicht leisten, schlapp zu machen und fastet deswegen nicht. Vom Alkohol sollte er sich trotzdem fernhalten. Zum Bier bestellte ich mir noch ein saftiges Schweineschaschlik, auch wenn ich Schwein eigentlich nicht besonders gern esse. Ich nehme an, dass es unter den Nicht-Muslimen Usbekistans im Ramadan-Monat einen unausgesprochenen Pakt gibt, denn das Fleisch war von dem sicherlich nicht usbekischen Koch derart köstlich zubereitet, dass ich mein Lob kaum in Worte fassen konnte. Schließlich folgten wir den schweren Bassklängen, die von der Open Air Bühne nebenan herüberwehten. Ein Hardrock-Festival hatte eine schwarz gekleidete Masse junger Leute angezogen, die beigeistert johlend ihre Köpfe zu der durchdringenden Musik schüttelten. Außer den Milizionären, die derart verständnislos dreinschauten, als würden sie auf Französisch die Grundzüge des Dekonstruktivismus erklärt bekommen, waren fast keine Usbeken anwesend. Ein Ruf von der Bühne, und die Fans streckten ihre Fäuste in die Luft – Daumen, Zeige- und kleiner Finger abgespreizt. Das Zeichen des Teufels, wenn mich meine Jugenderinnerungen nicht täuschen. Langsam fühlte ich mich meinem usbekischen Kollegen gegenüber schlecht. So viel kulturelle Ignoranz … „Das ist keine gute Geste“, stellte auch mein Vorgesetzter fest. „Die Geste steht nämlich für freien Sex.“ Diese Deutungsweise beruhigte mich etwas. Vielleicht hatte mein Gedächtnis mich auch im Stich gelassen und er hatte Recht. In jedem Fall musste selbst aus muslimischer Perspektive außerehelicher Sex im Vergleich mit der Hölle das kleinere Übel sein.

Von Jesko Schmoller

28/09/07

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