Am Samstag, dem 25. Januar 2025, feierte Georg Büchners Stück Woyzeck unter der Regie von Natascha Dubs eine viel beachtete Premiere im Deutschen Theater in Almaty. Die fast zweistündige Inszenierung entführte das Publikum auf eine emotionale Achterbahnfahrt. Von herzhaftem Lachen über mitreißendes Mitwippen bis hin zu entsetzten, geflüsterten „Nein“-Rufen: die Aufführung rief beim Publikum eine breite Palette an Reaktionen hervor und ließ wahrlich niemanden unberührt.
Von Macht und Gewalt: Menschen als Forschungsobjekte
Der Protagonist, Franz Woyzeck, verdient seinen Lebensunterhalt als Soldat. Dieses Gehalt reicht allerdings bei weitem nicht aus, um seine kleine Familie, die aus ihm selbst, seiner Freundin Marie und ihrem gemeinsamen unehelichen Kind besteht, ausreichend zu versorgen. Um zusätzliches Geld zu verdienen, stellt er sich einem Doktor als Forschungsobjekt zur Verfügung.
In der Inszenierung des Deutschen Theaters bleiben die grausamen Experimente des Doktors, die unter anderem eine strikte Erbsendiät beinhalteten, nicht auf Woyzeck beschränkt – auch die übrigen Soldaten müssen sich den unmenschlichen Versuchen eines Arztes unterwerfen, für den die „armen Leut“ lediglich Objekte seiner Forschung sind. So bezeichnet der Doktor den Soldaten Woyzeck kalt als „einen interessanten Casus“.
Die Vertreter der höheren Schicht, zu welcher der Doktor und der Hauptmann gehören, stellen ihre Macht nicht nur durch ihren herablassenden Umgang mit Woyzeck und den anderen Soldaten zur Schau, sondern auch durch gezielte sprachliche Elemente und Gesten. Dieses ungleiche Machtverhältnis wird zusätzlich durch die Bühnengestaltung unterstrichen: eine Galerie bietet direkten Blick auf einen käfigähnlichen Basketballplatz, in dem sich Woyzeck und die Soldaten oft aufhalten. Ihre Entmenschlichung wird durch wiederkehrende Darstellungen, in denen sie wie wilde, ungezähmte Tiere erscheinen, weiter untermauert.
Zwischen Freiheit, Moral und Wahnsinn
Das Stück setzt sich auf vielschichtige Weise mit Fragen der Moral und der Freiheit des Menschen auseinander. So kommentiert der Hauptmann beispielsweise: „Woyzeck, er hat keine Moral! Moral das ist, wenn man moralisch ist“.
Währenddessen lässt sich Marie trotz anfänglichem Widerstand auf Liebesbekundungen und anschließend gar auf eine Affäre ein. Der Verdacht, von Marie verraten worden zu sein, sowie die unmenschlichen und brutalen Experimente des Doktors zehren an Woyzecks körperlicher und seelischer Verfassung. Im Verlauf des Stücks wird sein zunehmender Wahnsinn immer offensichtlicher. So erzählt Woyzeck seinem Kameraden Andres von den Stimmen, die er hört: „Und dann spricht‘s aus der Wand, hörst du nichts?“
Als Woyzeck seinen Verdacht von Maries Verrat bestätigt sieht, nehmen bei ihm die Rache- und Mordgedanken überhand. Er wendet sich, sichtlich zerrissen, an das entsetzte Publikum: „Soll ich? Muss ich?“
Woyzeck: Das Dramenfragment von Georg Büchner
Die Inszenierung des Deutschen Theaters basiert auf dem gleichnamigen Werk des deutschen Dramatikers Georg Büchner. Büchner begann 1836 mit der Arbeit an Woyzeck. Doch aufgrund seines frühen Todes im darauffolgenden Jahr blieb das Werk unvollendet und ist bis heute nur als Fragment erhalten.
Unter der Regie von Natascha Dubs inszeniert das Deutsche Theater nun also das bekannte Stück in deutscher Sprache, begleitet von einer russischen Simultanübersetzung. Während sich die Inszenierung in einigen Aspekten stark an Büchners Original orientiert, weicht sie in anderen deutlich davon ab. So verleihen moderne Elemente wie Projektionen, QR-Codes, diverse Licht- und Tonelemente der Aufführung einen zeitgemäßen Anstrich.
Eine Live-Band begleitet das Stück musikalisch und sorgt für die passende Atmosphäre. Die Musik wechselt dabei zwischen fröhlichen Jahrmarkt-Melodien, dramatischen, lauten Stücken und leisen, melancholischen Liedern. Die Regie nimmt sich in der Inszenierung diverse künstlerische Freiheiten, indem gewisse Charaktere und Inhalte, sowie die Chronologie der Szenen von Büchners Werk abweichen.
Als die letzten Töne verhallen, bricht das Publikum in begeisterten Applaus aus, bedankt sich mit Standing Ovations und überschüttet die Mitwirkenden mit eifrigen „Bravo! Bravo!“-Rufen.
Die Inszenierung «И всё про… ВОЙЦЕК» wird am 1. und 2. März abermals im Deutschen Theater in Almaty aufgeführt und bietet allen Interessierten die Möglichkeit, selbst in das Stück einzutauchen.