„Das coolste ist, wenn du in der Klasse sitzt und ein Afrikaner sagt zu einem Australier: „Gib mir einen Kuli“ auf Chinesisch“, erzählt Angelika Desjatkina. Sie besucht einen chinesischen Sprachkurs in Nanchang im Südosten Chinas und unterrichtet da Englisch. Die 24-jährige Dolmetscherin Angelika hat an der Universität in Karaganda zwei Fremdsprachen studiert – Englisch und Chinesisch. Seit der Zeit hat sie vom Studium in China geträumt, hatte aber nicht genug Geld, um es bezahlen zu können. Heute lüftet sie ein wenig das Geheimniss, wie sie es dann doch geschafft hat nach China und erzählt über das Land und die Kultur.

 

Angelika, erzähl, was machst du in China?

Ich bin direkt mit der Universität in Kontakt getreten, habe gefragt, ob sie neue Mitarbeiter brauchen, ihnen meine Situation erklärt. Und sie meinten, dass sie mich als Englischlehrerin in der Universität nehmen könnten, aber ohne dafür bezahlt zu werden. Ich arbeite an der Universität, und sie bezahlen mir Unterkunft und Studium.

Studierst oder arbeitest Du an der Uni?

Der Schönschreibunterricht: Liebe, Wirtschaft,  Gesetz und FinanzenAlso…theoretisch studiere ich, aber arbeite gleichzeitig. Ich hatte nicht genug Geld, um auf eigenen Beinen zu stehen. Und trotzdem bin ich auf eigene Gefahr hingeflogen. Ich hatte einen Vertrag für ein Jahr und Geld für einen Monat. Da ich einen starken Wunsch hinzugehen hatte, bin ich einfach Hals über Kopf hin. Man rief an und lud mich zum Vorstellungsgespräch ein. Als ich ankam, musste ich direkt eine Probelektion vorführen. Da saßen alle Lehrer und Professoren der Organisation. Keine Lehrbücher, keine Lehrpläne… nur das, was ich im Kopf hatte. Zum Glück hat es ihnen sehr gefallen, und sie haben mich eingestellt.

Hat dir jemand finanziell geholfen?

Ich habe hier viele neue Leute kennengelernt. Besonders ein Bekannter aus Usbekistan war sehr nett zu mir. Einmal hat er mich gebeten, ihm bei der Korrektur seiner Diplomarbeit zu helfen. Ich hatte sein Geld aufgrund der Freundschaft ausgeschlagen. Am nächsten Tag in der Uni sah ich eine Studentenliste an der Tafel hängen – mit zehn Namen, inklusive meinem. Ich dachte, dass ich irgendwas falsch gemacht hatte. Aber da standen die Namen der Kandidaten für ein Stipendium. Wie man sagt, wenn du was Gutes tust, bekommst du das tausendfach zurück. Übrigens waren wir nur Kandidaten, ich musste noch einen Bericht über den ersten Monat in China auf Chinesisch oder auf Englisch vorbereiten. Sehr zu meinem Vorteil war, dass ich an vielen Veranstaltungen teilgenommen hatte, wie Halbmarathon, Schönschreibwettbewerb, Modenschau, Tanz und Gesang. Im Übrigen habe ich hier innerhalb eines halben Jahres so viele Erfahrungen gesammelt, wie in meinem ganzen bisherigen Leben nicht. So habe ich mich vorbereitet und meinen Bericht auf Chinesisch präsentiert und das Stipendium bekommen.

Was kostet es, in China zu leben?

Ehrlich gesagt, kostet hier alles sehr viel. Brot kostet etwa 350 Tenge. Das Essen ist sehr scharf, und das Gebäck ist sehr süß, man kann keine normalen, nicht süßen, Brötchen finden. Große Supermärkte mit europäischem Essen gibt es nur in der Innenstadt, und diese sind kompliziert zu erreichen. Käse, Milch, Brot und Wurst findet man sonst in keinem normalen Geschäft in China. Aber ich habe mich bereits an das Essen hier gewöhnt, europäisches Essen kommt mir teils geschmacklos vor! Außerdem sind die Chinesen so erfinderisch. Um 17 Uhr öffnen die Nachtmärkte, und man kann da alles Mögliche kaufen. Zum Beispiel ein schmackhaftes mariniertes Brot Namens „Manto“, das man wie Schaschlik brät. Gebratene Oktopusarme, Muschel in Alufolie gewickelt oder Bananen mit Maisflocken! Es ist auch am Ende günstiger, sich etwas auf der Straße zu holen oder in einem Café zu essen, als zu Hause selber zu kochen.

Wie hast du dich am Anfang gefühlt?

Ich habe mich gefühlt, als ob ich Angelina Jolie wäre. Wenn ich irgendwo herumlaufe, kommen die Leute zu mir und bitten mich um ein Foto. Und wenn du „ja“ sagst, dann kommt direkt noch eine Menge anderer, die mit dir ein Foto machen wollen! Auch im Bus. Man versucht so unter anderem Englisch zu üben, weil jeder unter starkem Konkurrenzdruck steht. Deswegen sind ambitionierte Menschen hier sehr mutig und fleißig und gar nicht hochnäsig.
Einmal sang mir jemand sogar Serenaden mit seiner Gitarre vor meinem Fenster. Ich habe ihm natürlich erklärt, dass ich einen Freund habe, aber das hat nicht funktioniert. Am nächsten Tag hat er mit seinem Vater auf mich gewartet… Also… dazu muss man sagen, dass es da keine Gefühle von seiner Seite gab, es war nur wegen meines europäischen Aussehens. Anderseits sind Chinesen auch sehr nett und hilfsbereit. Wenn du jemanden um Hilfe bittest, wird er alles in seiner Macht Stehende tun, um dir zu helfen.

Was hat dich in China überrascht?

Vorbildliche Heimattreue: Chinesische Spezialität „Jiaozi“, wie kasachische „Manty“ geklebtWas mich wirklich überrascht hat, war, dass der Staat Tanzlehrer einstellt, damit sie an bestimmten Tagen in fast jedem Vorhof oder auch in Parkanlagen Tanzunterricht abhalten. Und ab 20 Uhr hört man überall (zumindest in Städten) in China Musik und die Menschen tanzen dazu. So ist die chinesische Kultur. Wir haben viel zu lernen.

Was würdest Touristen empfehlen?

In Nanchang befindet sich das drittgrößte Riesenrad der Welt. In der Mitte der Stadt stehen überall Wolkenkratzer, und es fahren moderne
U-Bahnen durch die Stadt. Du weißt nicht, ob du wirklich noch in China bist oder irgendwo in den USA. Ich hatte damals etwas ganz anderes erwartet, als ich ankam. Ich würde auch empfehlen, die Dörfer bzw. die Provinzen in der Umgebung zu besuchen. Das ist unbedingt notwendig, wenn du das echte China sehen möchtest. Die Natur ist hier wunderschön – Erdhöhlen, Felsen, Gebirge, Flüsse. Alles es ist so grün hier wegen des feuchten Klimas.“

Was kannst du über dein Studium erzählen?

Man hat hier ein erlebnisreiches Leben! Ich weiß jetzt, dass man singen und tanzen können muss, bevor man nach China zum Studieren fliegt. Hier hat alles mit Kunst zu tun. Jede Woche haben wir irgendwelche Veranstaltungen, Konzerte zum Thema Kunst. Und das Ausbildungssystem selbst ist meist streng reguliert. Studenten haben hier eine große Konkurrenz, deswegen studieren sie sehr fleißig. Um 8 Uhr morgens kann man schon vor der Bibliothek eine lange Schlange sehen, obwohl die erst ab 9 Uhr geöffnet ist. Und dann sitzen sie da 7– 8 Stunden und lernen, einige schlafen sogar da. Ansonsten ist die vorlesungsfreie Zeit genauso wie in Europa.

Vermisst du Kasachstan?

Ich denke jeden Tag an meine Heimat, jede Sekunde… Das ist komisch, aber alle Sachen, die in Kasachstan unannehmbar wären, aber hier in China völlig normal sind, erinnern mich an meine Heimat. Ich vermisse Kasachstan sehr.

Das Interview führte Julija Popowa

Kuriose Beobachtungen aus dem Tagebuch von Angelika:
–    Manche Chinesen verstehen sich untereinander nicht. Die Südchinesen verstehen die Nordchinesen nicht, Jugendliche verstehen die Alten kaum.
–    Die Chinesen mögen Englisch. Besonders mag man Ausländer mit europäischem Aussehen.
–    Es wird sehr viel gespart. Manche gehen sogar früh zu Bett, um Strom zu sparen.
–    Chinesen sind sehr direkt. Man sagt alles ohne Umschweife. Man kann z.B. beim Vorstellungsgespräch offen sagen, wie viel man verdienen will.
–    Die uns bekannte westliche Etikette und Förmlichkeiten hingegen sind hier meist fremd. Man sagt kein „danke“ und auf Chinesisch existiert kein Wort für „Guten Appetit“ oder „Gesundheit“. Für ältere Menschen wird kein Platz gemacht, anscheinend weil es einfach so viele Menschen gibt. So z.B. in einem Bus: man ist so heftig aneinander gedrängt, dass bei einer Vollbremsung niemand stürzen würde. Auf Grund dieser Masse und des Gedrängels ist kein Platz für Förmlichkeit und Etikette – es geht förmlich ums Überleben. Es leben 5 Millionen Chinesen in einer kleinen Stadt!
–    Es ist so, dass es in China etwa 3 Millionen Männer mehr gibt als Frauen (Anm.d.Red.: Dies liegt an der Ein-Kind-Familienpolitik und der Bevorzugung von männlichem Nachwuchs), deswegen verhalten sich manche Mädchen sehr „verzogen“.
–    Apps wie „WhatsApp“ oder Internetseiten wie YouTube, Facebook und Google sind in China verboten. Aber es gibt ähnliche chinesische Programme, die sogar ein ähnliches Design wie ihre Originale haben.
–    Hier in Nanchang sieht man sehr viele Motoroller, weil es bei der Anzahl der Einwohner kaum Platz für PKWs gibt. Nach außen hin scheint es keine Regeln im Verkehr zu geben, jeder fährt wie er will. Es steht zwar ein Verkehrspolizist auf der Straße, der eine Leine von einer Straßenseite zur anderen zieht und so den Verkehr zu regeln versucht. Das nennt man „Nanchangs Verkehrsampel“. Aber manche können selbst unter der Leine durchfahren.
–    Niemand geht tatsächlich in Rente. Die Chinesen arbeiten schier lebenslang, weil ihre Rente zu niedrig ist. 90% der Alten hier arbeiten bis zum Tod. Aber es gibt trotzdem keine Bettler.
–    In China gibt es (zumindest offiziell) keine Korruption, da darauf die Todesstrafe steht.

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