Ende Oktober führte das kasachische Landesjugendorchester Tschaikowskys Fünfte Sinfonie im Konzertsaal des Nationalkonservatoriums auf. Die Leitung hatte der als DAAD-Gast-Dozent in Almaty wirkende Dirigent Jan Moritz Onken inne.

Als Tschaikowsky fünf Jahre vor seinem bis dato rätselumwitterten Tod seine fünfte Sinfonie e-moll, Opus 64 komponierte, hatte sich die Gattung Sinfonie längst aus dem dreiteiligen Vorspiel italienischer Opern des 17. Jahrhunderts zur viersätzigen „Oper der Instrumente“ (E. T. A. Hoffmann) emanzipiert.

80 Jahre nach Beethoven verwandte Tschaikowsky in seinem dem deutschen Musiklehrer, -kritiker und -schriftsteller Theodor Avé Lallemant gewidmeten Werk wieder ein als „Schicksalsmotiv“ bezeichnetes Leitthema. Da dem ohnehin übersensiblen und zeitlebens von Nervosität und Depressionen gequälten Komponisten im Vorfeld der Komposition allerlei Unbill widerfahren war, wird die Fünfte gern als Musikdrama interpretiert, das die innere Verfasstheit ihres Schöpfers widerspiegeln soll. In den Aufzeichnungen Tschaikowskys finden sich dazu fragmentarische Notizen: „Introduktion: Vollkommene Beugung vor dem Schicksal – oder, was dem gleichkommt, vor dem unerforschlichen Walten der Vorsehung. Allegro: Murren, Zweifel, Klagen, Vorwürfe an…“; sowie zum Andante: „Soll ich mich den Umarmungen des Glaubens hingeben?“

Nachdem die Kritik das nach der Uraufführung am 17. November 1888 vom Publikum wohlwollend aufgenommene Werk als „Effekthascherei mit störenden Walzerthemen“ abgetan hatte, geriet auch der Komponist – wie auch bei anderen seiner Werke – in Zweifel über sein jüngstes Opus und hielt es für „abstoßend, bunt unecht und gekünstelt.“
Die Satzfolge des Werkes ist klassisch vierteilig. „Unklassisch“ ist, dass der erste Satz mit einem Andante beginnt und der dritte Satz lediglich durch seinen Dreiertakt noch an ein Menuett erinnert, der hier erklingende Walzer aber eher schwermütig, fast ephemer daherkommt.

Kein leichter Zug

Eine gute Interpretation wird darauf gerichtet sein, den Gedankengang des Komponisten bei der Motiv- und Themenverarbeitung klar und deutlich nachvollziehbar zu machen, bevor sich auf der nächsten Ebene die Möglichkeit persönlicher Zutaten ergibt. Manchmal allerdings bringt erst die Interpretation den gewissen göttlichen Funken in ein Opus. Tschaikowskys Fünfte gehört zu den Werken, die für Überinterpretationen einerseits des Pathetischen, Aufgewühlten, andererseits des Schwermütigen, Niedergedrückten anfällig sind.
Das vom Wuppertaler Jan Moritz Onken geleitete Jugend-Sinfonieorchester ist ein Studentenorchester. Man weiß also, dass hier mancher Stein noch des einen oder anderen Schliffes bedarf.

Erstaunlich deutliche Sprache gelingt dem Klangkörper in den Tutti, und da je lauter desto besser. Wo sich Tschaikowskys Hang zur großen Geste mit seiner Meisterschaft im Orchestrieren paart, da gelingt auch dem Orchester die Gratwanderung zwischen leidenschaftlicher Wucht und Pathos. Und die hier kraftvoll und präzise gesetzten Akzente beeindrucken auch das recht zahlreich erschienene Publikum. In Passagen aber, wo an die Stelle des vollen Orchesterklangs subtile, kontrapunktisch verwobene Zwiegespräche treten, die Transparenz und tonale sowie rhythmische Präzision erfordern, um nicht verworren zu wirken, da wo vor allem solistisch besetzte Bläser gefordert sind, werden Artikulationsmängel deutlich. Das „Lichtstrahlthema“ des zweiten Satzes bleibt im Nebel, wird vom Schicksalsmotiv eher erlöst als gestört. Irgendwie liegen einige Bläser auch tonal neben dem Rest. Aber wie schön klingen die Streicher! Die Gruppenleistung ist wieder beeindruckend und kann sich im zügellos ausbrechenden Finale noch so richtig befreien. Jan Moritz Onken ist die stampfende Lokomotive vor einem noch nicht auf allen Rädern leichtgängigen Zug.
Das erfrischend junge Publikum dankt’s mit Bravo-Rufen und kräftigem Applaus.

In früheren Ankündigungen des Konzertes stand neben Tschaikowsky auch Schönberg auf dem Plan. Dessen „Verklärte Nacht“ war leider nicht zu hören, aber aufgeschoben ist hoffentlich nicht aufgehoben Auf den Spielplänen der staatlichen Konzerthäuser Almatys ist Tschaikowsky der Platzhirsch unter den Populärklassikern, während man Neue Musik vergeblich sucht. Warum?

Von Ulrich Steffen Eck

07/11/08

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