Eine Frauenbewegung wie in Deutschland gab es in Kasachstan nicht. Dennoch ist Galina Nurtasinowa eine emanzipierte Kasachin, die schon seit mehr als 20 Jahren in Deutschland lebt. Ihren Kontakt in die alte Heimat hält sie weiter.

Galina Nurtasinowa sitzt im Restaurant eines Hotels in Berlin-Mitte und schaut durch ein riesiges Fenster auf die vorbeieilenden Menschen. Vor ihrer anstehenden Geschäftsreise nach Kasachstan hat sie Zeit, sich etwas zu erholen und zurückzublicken auf ihre ersten Schritte in Berlin: „Ich hatte keine Zeit, mich einzugewöhnen. Ich kam kurz vor dem Mauerfall nach Berlin. Nach diesem Ereignis entwickelten sich Deutschland und Kasachstan völlig neu.“

Nach Deutschland führte Galina die Liebe – wenn auch auf Umwegen. Während eines Praktikums in Moskau lernte die damalige Politikstudentin 1988 ihren späteren Ehemann, einen deutschen Physiker, kennen. Sie folgte ihm auch, als er Anfang der 90er beruflich für ein Jahr nach London ging. In der britischen Hauptstadt half Galina bei der Organisation eines Staatsbesuchs von Nursultan Nasarbajew. Eine kurze Unterhaltung mit dem kasachischen Präsidenten sollte eine wichtige Rolle in Galinas Leben spielen. Ihr wurde klar, dass sie im Bereich der internationalen Zusammenarbeit und der Organisation arbeiten wollte, denn diese beiden Dinge machen ihr Spaß.

Heute ist Galina Geschäftsführerin der Deutsch-Kasachischen Gesellschaft. Die Idee zur Gründung dieser Gesellschaft kam ihr nach einem Treffen mit kasachischen Diplomaten in Bonn. Erklärtes Ziel ihrer Organisation ist es, auf der Ebene der „Volksdiplomatie“ zwischen Deutschland und Kasachstan tätig zu sein.

Galina ist keine typische asiatische Frau, obwohl sie in einem Milieu mit traditioneller Lebensweise großgeworden ist. Die Tochter einer Lehrerin und eines Parteimitgliedes wurde von ihren Eltern so erzogen, dass sie eine Ausbildung bekommen und dann berufstätig sein sollte. Als Hausfrau, die den ganzen Tag vor dem Herd steht, sah sie sich nie. „Mein Mann hat von mir niemals verlangt, dass ich zu Hause bleiben soll, um mich um ihn zu kümmern“, sagt sie. „Vielmehr wollte er, dass ich mich mit der Verbesserung meiner deutschen Sprach- und Kulturkenntnisse beschäftigte. Gleich nach der Ankunft begann ich den politischen Klub „Dialog“ zu besuchen.“

Emanzipation durch Technik

In ihrer Tätigkeit hat Galina viel mit kasachischen Geschäftsfrauen zu tun. Bei ihnen beobachtet sie, wie der Siegeszug moderner Haushaltstechnik auch zu einem Bewusstseinswandel führte: „Alle kasachischen Frauen haben jetzt Waschmaschinen, außerdem kaufen sie noch Spülmaschinen. Ich habe auch bemerkt, dass viele meiner Freundinnen und Verwandten in Kasachstan mich oft ins Restaurant einladen, weil sie selbst nicht kochen möchten. Und so bekommen die Frauen mehr Zeit für Karriere.“

Das war zu sowjetischen Zeiten noch anders: neben einer Vollzeitstelle sollte die kasachische Frau auch den Haushalt führen und Kinder erziehen. Im Zuge einer neuen Emanzipationswelle, die um das Jahr 2000 einsetzte, versuchten die kasachischen Frauen, auf eine traditionelle Geschlechterrollenteilung zu verzichten. Es gibt zurzeit viele Frauen, die sich ihrer Ausbildung und Karriere widmen wollen, die selbst Entscheidungen treffen und Spaß am Leben haben. Aber solche emanzipierten Frauen überwiegen nur in den zwei großen Städten Astana und Almaty.

Eine feministische Bewegung wie Deutschland und andere westliche Länder sie seit den 1960er Jahren kennen, gab es in Kasachstan nicht. Der Blick auf den Weg, den die deutsche Frauenbewegung eingeschlagen hat, ist daher für Kasachstan umso interessanter. Eine Erkenntnis der beiden deutschen Redakteurinnen Magdalena Kemper und Dörte Thormählen lautet: Von der Emanzipation profitieren alle, auch die Männer. „Der Mann nimmt heute aktiv teil an der Kindererziehung. Er schenkt seiner Familie mehr Aufmerksamkeit, was nur positiv geschätzt werden kann“, sagt Magdalena Kemper.

Haben die Frauen bereits alles erreicht?

Dörte Thormählen beobachtet allerdings auch, wie sich immer mehr junge Frauen von den alten Feministinnen der 70er Jahre abzugrenzen versuchen. Diese Frauen Anfang 30 sind der Meinung, bereits alles erreicht zu haben und keine feministische Bewegung mehr zu brauchen. Die Entscheidung für Karriere oder Kinder liegt bei ihnen selbst. Stellvertretend für diese Ansicht steht die deutsche Familienministerin Kristina Schröder (35). In ihrem Buch „Danke, emanzipiert sind wir selber!“ vertritt sie radikal die These, dass Frauen Entscheidungen über ihr Leben privat treffen können und hierzu keine staatlichen Rahmenbedingungen bräuchten.
Doch Frauen, die es in Politik oder Wirtschaft bis ganz nach oben schaffen, sind auch in Deutschland immer noch eher Ausnahme als Regel. „Kristina Schröders Buch wurde auch von ihrer eigener Partei, der CDU sowie von der Kirche und den Gewerkschaften stark kritisiert“, meinen Magdalena und Dörte. „Diese Debatten zeigen, wo die Frau in Politik und Gesellschaft heute steht. Die Frauen sind weit, aber sie dürfen nicht stehen bleiben“, meinen Magdalena und Dörte.

Unter den kasachischen Frauen sind insbesondere diejenigen emanzipiert, die oft ins Ausland reisen, vor allem in europäische Länder. Galina Nurtasinowa erzählt begeistert von einem Stipendienprogramm des deutschen Bundestags für ausländische Praktikanten: „Interessanterweise gewannen dieses Stipendium auf kasachischer Seite in den letzten vier Jahre nur Frauen. Diese beeindrucken die Veranstalter des Programms mit ihrem Unternehmungsgeist, ihrer Kreativität und Energie.“

Von Xenia Sutula

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