Interview mit dem Berliner Architekten Philipp Meuser über die neue Architektur in Zentralasien und über den Bau der Deutschen Botschaft in Astana
DAZ: Herr Meuser, im vergangenen Jahr haben Sie in Taschkent mit usbekischen Architekturstudenten eine Meisterklasse zur Sanierung der Plattenbauten geleitet. Vor drei Jahren haben Sie das erste übergreifende Buch zur zeitgenössischen Architektur in Zentralasien herausgegeben. Nun bauen Sie die Deutsche Botschaft in Astana. Woher kommt Ihr Interesse für diese Region, die ja den meisten Architekten in Europa mehr oder weniger unbekannt ist?
Philipp Meuser: Wo sich wie im Fall Kasachstan ein Staat eine neue Hauptstadt baut, muss ein Architekt aufmerksam werden. Das muss man sich vor Ort anschauen. Wenn man darüber hinaus noch bedenkt, dass seit 1990 mehr als eine Million Menschen aus Zentralasien nach Deutschland übergesiedelt sind, kann man diese Region in der öffentlichen Debatte nicht einfach ausblenden. Zentralasien und Europa verbindet eine lange Geschichte, die mit der russischen Kolonisation im 19. Jahrhundert begann. Das zeigt sich bis heute in der Architektur aus der Zarenzeit und natürlich aus der Sowjetzeit. Und selbst in der zeitgenössischen Architektur haben sich diese europäischen Einflüsse in Form von neoklassizistischen Schmuckelementen erhalten. Insofern ist Zentralasien eine interessante Region, da hier in der Tat Orient und Okzident verschmelzen. Viel stärker als etwa in der Golfregion.
DAZ: In Ihrem Buch „Ästhetik der Leere“ gehen Sie der vielfachen Symbiose von Architektur und Macht in Zentralasien nach. Besonders in Usbekistan und Kasachstan, arbeiten Sie heraus, ist die Staatsbildung mit einem neuen Weg in der Architektur verkoppelt. Woran lässt sich das ablesen?
Meuser: Wenn ein junger Staat auf der Suche nach seiner Identität ist, wird dies in erster Linie in den öffentlichen Bauten wie etwa dem Parlament, Ministerien oder dem Präsidentenpalast ablesbar. Im Fall der zentralasiatischen Republiken wird die Verquickung von Architektur und Macht begleitet von der Suche nach einer neoislamischen Formensprache. Für Transformationsstaaten ist dieses Anknüpfen an der vorkolonialen bzw. vorsowjetischen Zeit eine ganz normale Entwicklung. Interessant dürfte die Architektur werden, wenn die Suche nach sich selbst abgeschlossen ist, die demokratischen Verhältnisse geklärt sind und die junge Architektengeneration mehr Einfluss gewonnen hat. Dann wird man von einer zweiten Generation der modernen Architektur sprechen können. Bislang habe ich allerdings diese neue Generation von kasachischen Architekten noch nicht kennengelernt.
DAZ: Die neuen Repräsentationsbauten in Kasachstan erinnern in ihrer Monumentalität zum Teil noch sehr an die Sowjetkultur und ihrer Herabsetzung des Menschen zum „Schräubchen“, zum „homo soveticus“. Gibt es einen „homo asiaticus“ der neuen Architektur in Kasachstan?
Meuser: Ich denke nicht, dass die neue kasachische Architektur dazu dienen soll, einen „homo asiaticus“ zu generieren. Die Politik ist nicht darauf ausgerichtet, ein neues, komplexes Gesellschaftssystem zu schaffen. Die Macht liegt in der Hand weniger Familien, die ihren eigenen wirtschaftlichen Profit im Fokus haben. Die Gesamtidee für die Gesellschaft fehlt.
DAZ: Währendessen scheint es einen ausgeprägten Drang in die Geschichte zu geben. So schreiben Sie, dass die nomadischen Traditionen nach ihrer jahrzehntelangen Unterdrückung wieder aufgenommen und „mit modernen Ideen und Tendenzen“ kombiniert werden …
Meuser: Wenn Sie sich die neue Architektur in Zentralasien anschauen, werden Sie immer wieder auf Ornamente stoßen, die man schon vor 200 oder mehr Jahren verwendet hat. Zwar wurden auch schon in der Sowjetzeit derartige Motive neu interpretiert. Doch hatte dies rein dekorativen Charakter, der sich nicht im Alltag der Menschen widerspiegelte. Das ist heute schon wieder anders.
DAZ: Astana soll dem Entwurf des japanischen Architekten Kisho Kurokawa zufolge zu einer Hauptstadt-Metropole ausgebaut werden, deren harte Steppenwinde ein dichter Waldgürtel bricht. Eine realisierbare Vision?
Meuser: In der Theorie ist dies eine schöne Idee, also mit natürlichen Mitteln gegen die Gewalten der Natur anzugehen. Doch wird es Jahrzehnte dauern, bis dieser Waldgürtel ausgewachsen ist und seine Wirkung entfaltet. Stadtplaner denken schließlich in Generationen. In Astana kann man also nur auf die Geduld der Politik hoffen, diese visionäre Idee einer neuen Hauptstadt in der unwirtlichen Steppe auch wirklich realisieren zu wollen.
DAZ: Ist die Architektur Kurokawas, in denen sich westliche und östliche Linien der Geistesgeschichte kreuzen, die adäquate Antwort auf die städtebaulichen Herausforderungen im gegenwärtigen Kasachstan?
Meuser: Kurokawa hat es verstanden, Kasachstan eine Idee für die Zukunft zu liefern. Ich denke, dass ein japanischer Architekt möglicherweise sogar eine angemessenere Antwort auf die Probleme der Kasachen formulieren kann als etwa ein europäischer Architekt. Das hängt einfach mit der unterschiedlichen Denkweise der Kulturen zusammen. Ein Beispiel: In Europa wird der architektonische Raum immer durch seine Wände definiert. In der fernöstlichen Philosophie wird der Raum durch sein Dach definiert. Das ist in der kasachischen Kultur ähnlich.
DAZ: Fließen solche Ideen auch in den Bau der Deutschen Botschaft in Astana ein?
Meuser: Bei der Gestaltung eines Botschaftsgebäudes macht man als Architekt immer einen Spagat. Zum einen gilt es, ein Stück Deutschland in das andere Land zu transferieren, zum anderen muss man auch lokale Bedingungen und vor allem Sicherheitsaspekte berücksichtigen. So etwa werden alle Fenster mit einer besonderen Folie gegen eventuelle Explosionen oder sonstige Einwirkungen von außen verstärkt. Ich finde es wichtig, dass die Deutsche Botschaft trotzdem einen freundlichen offenen Charakter erhält, wo die Mitarbeiter Freude an der Arbeit haben, und dass wir den mehr als 100 Besuchern pro Tag mit der Architektur einen ersten Eindruck von Deutschland und Europa vermitteln. Ich denke da in erster Linie an farbige Wände, die ja in einem modernen Verwaltungsbau nicht alltäglich sind. Die Botschaft wird Mitte 2006 fertig sein.
DAZ: Vielen Dank für das Gespräch!