Die GO-EAST Sommerschule 2016 in Karaganda widmete sich der Thematik „Menschen mit Behinderung im Kontext bürgerschaftlichen Engagements“. Eine der Erkenntnisse, die die zwölftägige Veranstaltung mit sich bringt, ist die, dass das Engagement auf dem Gebiet meist von Betroffenen kommt. Wer selbst keine Behinderung erlebt hat oder dessen Familie oder Freunde davon nicht betroffen sind, ist selten engagiert.

Inklusion– inzwischen gewinnt dieser Begriff an Bedeutung in der Gesellschaft, auch in Zentralasien. Teilhabe der Menschen mit Behinderung in der Gesellschaft, barrierefreies Leben sind die Schwerpunkte der Inklusion – Inklusion ist mehr als Integration. Schon das zweite Mal führt der DAAD-Lektor Stephan Kehl die Sommerschule in Zentralasien durch. Daher hat Kehl die 17 Teilnehmer nicht nur aus dem medizinischen Bereich, sondern auch aus technischen und geisteswissenschaftlichen Bereichen aus Usbekistan, Kirgisistan, Kasachstan, Deutschland und der Schweiz in einem interdisziplinären Team für die Sommerschule aufgestellt.

Teilnehmer diskutieren hier sowohl über Behindertenpädagogik in zentralasiatischen Ländern, treffen und reden mit Menschen mit besonderen Bedürfnissen und mit Vertretern von Organisationen und Vereinen. „Ich habe selbst in Deutschland Sonderpädagogik studiert, das heißt: Leben mit Behinderung ist mir fachlich und menschlich natürlich auch nah. Die Region Zentralasien ist mir auch sehr gut bekannt, weil ich zwei Jahre in Samarkand Deutsch unterrichtet habe, und das zweite Jahr in Karaganda bin, deshalb möchte ich die beiden Interessensschwerpunkte miteinander verbinden und deswegen hatte ich die Idee zu dieser Sommerschule“, erwähnt Stephan Kehl.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus fünf verschiedenen Ländern im interdisziplinären Dialog. | Foto: GO-EAST

Während dieser Sommerschule haben die Teilnehmer sowohl theoretische als auch praktische Erfahrungen gesammelt. Eine Vertreterin der Organisation für Gehörlose und zwei Vertreterinnen der NGO „Umet“ haben ihre Tätigkeit vorgestellt. Außerdem haben die Teilnehmer eine inklusive Schule besucht und haben mit eigenen Augen gesehen, wie Kinder mit Behinderung in der inklusiven Schule unterrichtet werden. „Ich hatte keine Ahnung über Inklusion, bevor ich zu dieser Sommerschule gekommen bin, da ich selbst Maschinenbau studiert habe. Ich bin gekommen, um etwas Neues zu lernen. Wir hatten die Möglichkeit, mehr über den Arbeits– und Wohnalltag von Menschen mit Behinderung zu erfahren. Nach meinen Erfahrungen würde ich gern weiter für mich untersuchen, wie diese Situation in Kirgisistan läuft, und gern noch an solchen Sommerschulen teilnehmen“, äußert Teilnehmer Aytmirza Turapow aus Kirgisistan seine Meinung.

Während Medizin und Heilpädagogik in den EU-Ländern weit entwickelt sind, sind die Behinderungen wie Verhaltensauffälligkeiten und Lernbehinderung in zentralasiatischen Ländern wie Usbekistan, Kirgisistan und Kasachstan nicht immer identifiziert. Darüber hinaus sinkt die Anzahl von Menschen mit Behinderung in Usbekistan, während die Situation in Kasachstan umgekehrt ist. Der Hauptgrund dafür ist, dass Menschen mit Behinderung in Usbekistan neu eingestuft werden: Wer arbeiten kann, ist nicht mehr in der sogenannten zweiten Stufe, und für die dritte Stufe wird keine Behindertenrente mehr bezahlt.

Um solche Informationen zu bekommen, ist Christina, Teilnehmerin aus Deutschland, die Heilpädagogik in Berlin studiert, nach Karaganda gekommen: „Ich habe erwartet über die Region ganz viel Neues zu lernen, weil Zentralasien in Deutschland sehr wenig und schon gar nicht im Hinblick auf Behindertenpädagogik bekannt ist. Ich finde es super, dass wir nicht nur Deutsche, sondern auch Usbeken, Kirgisen und Menschen aus Kasachstan sind und mir gefällt das Programm sehr gut. Wir treffen Menschen und besichtigen Einrichtungen. Ich glaube, in Kasachstan kann noch viel gemacht werden, aber ich finde es gut, dass es in kurzer Zeit schon inklusive Schulen gibt. Das hat in Deutschland viel länger gedauert. Ich möchte gern in Zukunft in einer inklusiven Schule arbeiten.“

Allein mit der Behindertenrente kann man sein Leben in Zentralasien nicht vollständig finanzieren. Was für diese Länder leider oft zutrifft ist, dass für angeborene Behinderungen im Vergleich zu erworbenen fast nichts bezahlt wird. Hinzu kommt, dass die Infrastruktur umbaubedürftig ist. Die meisten Gebäude und Straßen sind nicht behindertengerecht. Um diese Ungerechtigkeiten zu beseitigen, ein barrierefreies Leben und eine solidarische Gesellschaft zu schaffen, finden sich meist Eltern, Familienmitglieder und Bekannte der Menschen mit Behinderungen zusammen. Anita Sägesser, aus der Schweiz bestätigt diese Beobachtung: „Inklusion ist heutzutage ein sehr kontroverses Thema, auch in der Schweiz. Wir haben auch das Gesetz, dass Kinder mit Behinderung normale Schulen besuchen dürfen. Ich denke, dass Bevölkerung und Elterninitiative bei der Bewegung der Menschen mit Behinderung in der Gesellschaft eine wichtige Rolle spielt. Ich komme selbst aus einem Land, wo vieles von unten gewachsen ist. Ich bin für Inklusion, aber sie darf nicht militant vertreten werden.“

Im Programm waren für die Teilnehmer auch Ausflüge nach Astana und das Karlag eingeplant. „Das Ziel der Sommerschule war, die Teilnehmer für das Leben der Menschen mit Behinderung in Zentralasien zu sensibilisieren. Sie können vielleicht in sozialen Projekten aktiv werden. Natürlich war auch interkultureller Austausch ein wichtiges Ziel, die Menschen in Deutschland oder in der Schweiz wissen wenig über die Menschen in Zentralasien, vielleicht entstehen Kontakte und Freundschaft, die über die Sommerschule hinausdauern“, sagt Stephan Kehl zum Abschluss.

Außerdem verrät Kehl seine zukünftige Pläne: Er würde gerne im Bereich Inklusion an einer deutschen Universität unterrichten, oder sich für eine der internationalen Organisationen, wie zum Beispiel UNICEF, in der GUS-Region oder in Zentralasien zum Thema Kinder und Menschen mit Behinderung engagieren.

Navruz Jabbarov, Akmal Cholmuminow

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