Lucas Niggli, Schweizer Perkussionist und Schlagzeuger, spielte am 27. April beim 5. Almatyer Jazzfestival. Über seine Musik, das Tourleben, seine Familie und warum er nicht mit seinem Partner Wu Wei in der Schambyl-Philharmonie auftrat, erzählte er vor dem Konzert der DAZ-Autorin Eva Hotz.

Einen Profi-Schlagzeuger stellt man sich als imposante Figur vor. Vielleicht sogar als muskulösen Mann, schließlich ist am Schlagzeug Kraft und Ausdauer gefragt. In der Lobby des Hotels „Kasachstan“ in Almaty sitzt Lucas Niggli mit markanter eckiger Brille, Pferdeschwanz und ist, wider Erwarten, von kleiner Statur. Der Schweizer, obwohl nachts in Almaty angekommen und nur fünf Stunden geschlafen, schaut mit wachen Augen um sich. Er habe heute gleich einen Erkundungsspaziergang in der Stadt gemacht, klar, denn er sei sowieso ein Typ, der auf Abenteuer stehe. „Ich will immer Kontakt zu den einheimischen Menschen. Schade, dass ich nicht mehr Zeit hier habe! Eine Tour in die Berge hätte ich schon gemacht“, bedauert der 38-Jährige gleich zu Anfang des Gesprächs.

Schweizer Talent aus Kamerun

Lucas Niggli wurde in West-Kamerun geboren und lebte dort mit seinen Eltern bis er sechs Jahre alt war: „An diesen Lebensabschnitt kann ich mich noch gut erinnern. Als mein eigener Sohn sechs war, habe ich realisiert, wie sehr mich diese Zeit geprägt hat“, schildert der sonst quirlige Schweizer nachdenklich. Die afrikanischen Trommeln, die bei seinen Eltern in der Wohnung standen, entdeckte er schnell für sich, und so begann seine Liebe zur Musik. Als Elfjähriger nahm er klassischen Schlagzeugunterricht und war Mitglied in einer Schulband. „Ich habe sehr früh in eigenen Bands gespielt, viel `rumgebastelt` und selbst komponiert, was riesigen Spaß gemacht hat“, erklärt der Musiker den Beginn seiner Karriere. Mit einem Grinsen fügt Niggli hinzu: „Meine er-ste Band hat irgendwie solche Furore gemacht, und dann, keine Ahnung, dann ging`s eben los mit dem Erfolg.“ Der talentierte Autodidakt nimmt zwar von 1989 bis 1991 an Seminaren in Sienna und Darmstadt teil, lernt von Pierre Favre, einem bekannten Schweizer Schlagzeugvirtuosen, bringt sich aber ansonsten eigenständig das Musikhandwerk bei. 1992 nimmt er seine zweite CD mit der Band „Kieloor Entartet“ auf und gibt auch Konzerte in Russland. Sein Projekt, die drei „Working Bands“, gründet Niggli in den darauf folgenden Jahren. Mit den Gruppen spielt der Künstler auf allen wichtigen Jazzfestivals in Europa. Außerdem beteiligt er sich an diversen anderen musikalischen Projekten und mehreren Musikgruppen.

Nichts „Verpopptes“

„Mit konservativem, klassischem Jazz kann ich mich nicht identifizieren. Jazz vermählt sich immer mit neuen Einflüssen und Stilrichtungen. Das ist sein Charakter. Unsere Musik hat einen zeitgenössischen Touch. Ich und mein Partner machen aber auch keine Allerweltsmusik, nichts `Verpopptes´“, beschreibt der jugendliche Schweizer begeistert seine Musik. Nach einem Schluck von der zweiten Kanne grünen Tees fügt er hinzu, dass Jazz immer eine Suche nach Neuem und somit auch ein gewisses Risiko sei. „Ich will abstrakte, spannende Musik machen und improvisieren. Improvisation ist Voraussetzung, um überhaupt Jazz spielen zu können.“

Eigentlich sollte Lucas Niggli auf dem Jazzfestival zusammen mit seinem Partner Wu Wei auftreten. Der verpasste aber den Flieger nach Almaty. „Wu Wei ist eben nicht hier. Well, that`s the Jazz. Ich spiele auch gerne solo“, gibt sich der erfahrene Musiker gelassen. „Das Duo Niggli und Wei gibt es erst seit einem Jahr. Wir haben uns zufällig auf einem Konzert getroffen. Wei sagte, nachdem er mich spielen hörte: `Mit dir will ich zusammenarbeiten!`. Zwei Wochen später hat er mir einen Auftritt in Taiwan angeboten. Wir haben einen Tag gemeinsam geprobt.“

Wu Wei ist ein klassischer chinesischer Musiker, der auf der Sheng, einem alten traditionellen Instrument ähnlich einer Mundorgel, spielt. „Alter, Herkunft und welches Instrument meine Partner spielen sind Nebensache. Bedingung für gemeinsames Musizieren ist gegenseitige Sympathie, wir müssen auch einen lockeren Abend bei einem Bier zusammen verbringen können. Dann kann sich auch eine eigene Sprache während dem Spielen entwickeln. Das ist bei Wei und mir der Fall“, erläutert der Musiker als Beispiel für seine vielen Arbeiten mit anderen Künstlern.

Montag und Dienstag: Hausmann

Der polyglotte Schweizer ist trotz seines Erfolges „nicht abgehoben“: „Ich würde lieber privat hier in der Stadt, als in einem Hotel wohnen, mir die Menschen und Natur anschauen.“ Diese Bodenständigkeit findet sich auch in seinem Familienleben wieder: „Meine Frau und ich machen Arbeitsteilung. Wenn ich nicht auf Tour bin, bin ich Montag und Dienstag Hausmann und kümmere mich um unsere drei Kinder. Donnerstag und Freitag arbeite ich, übe und komponiere“, schildert der Vater seinen Alltag. Er sei zwar viel unterwegs, aber wenn er daheim im schweizerischen Uster sei, sei er dafür ein `qualitativ` umso besserer Papa. Die Balance zwischen Tourneezeit und Familie scheint ihm zu gelingen: „Das Jetzt ist extrem toll“, sagt Lucas Niggli zufrieden.

Für die Zukunft wünscht er sich, weiterhin gerade wegen seiner nicht alltäglichen Musik eingeladen zu werden, lobt Institutionen wie das Goethe-Institut, die Nischenmusikern Möglichkeiten geben, vor größerem Publikum aufzutreten. Dabei trommelt er mit den Fingern auf der Tischplatte und fügt hinzu: „Trotz allem muß man sich selbst gegenüber kritisch bleiben. Ich weiß vor allem, was ich nicht kann. Und daran kann ich weiterarbeiten.“

Von Eva Hotz

05/05/06

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