Dieser Tage werde ich 35. Jetzt wird’s ernst. Denn mit Mitte Dreißig endet die Narrenfreiheit. Die Zeit, in der man sich noch ausprobieren konnte, sich vergreifen durfte – im Lebenspartner, im Beruf, im Kleiderschrank.

Bis hierin waren es noch Ungestüm, Unwissen oder Unerfahrenheit, wenn man aus der Reihe tanzte. Es wirkte charmant. Von nun an wirkt es, als wolle man einfach nicht erwachsen werden. Jetzt ist es vorbei mit den Allüren, „noch mal etwas ganz anderes“ machen zu wollen. Die berufliche Umschulung müsste jetzt spätestens abgeschlossen sein. Bis hierhin war es noch mutig, ab jetzt weiß man nicht, was man will oder hat kein Durchhaltevermögen. Wer sich weiterbilden will, soll dies gerne tun, aber bitte nur auf Schmalspur, Sprach- und Computerkurse an der Volkshochschule, notfalls auch Mal- oder Tanzkurse, auf dass man sich bis Mitte Vierzig zu den Bildungsgruppenreisen hocharbeite. Mit der Selbstfindung und erneuten Talentsuche kann man noch getrost ein paar Jährchen warten. Erstmal die Routine leben. Das gilt auch für die Beziehungskisten. Denn kleinere Abenteuer in Sachen Liebe und Leidenschaft werden einem nicht so großzügig verziehen. Mit der ausreichenden Lebensreife weiß man, was man will und wer zu einem passt. Mit Romantik hat das wenig zu tun, wer noch vom Prinzen träumt, hat etwas ganz und gar nicht verstanden.

Es geht in diesem Lebensabschnitt um besseres Wissen, um Ernsthaftigkeit und Selbstdisziplin. Und es geht vor allem um eines – Bewusstsein. Gefühle dürfen noch stattfinden, aber sie „passieren“ nicht mehr. Sie werden analysiert, kanalisiert, gefiltert. Und als wär´ das alles nicht schrecklich genug, wird’s jetzt auch noch schwierig mit dem Ausgehen. Die Stätten unserer Jugend sind nun wirklich zu jugendlich, hier zählt man zu dem alten Eisen und fällt sofort auf, man trägt andere Kleidung, man trinkt anders, man tanzt anders – kurzum, man lässt es besser bleiben. Besser, man tröstet sich mit einem Philharmonie- oder Theater-Abonnement. Und passend zu dem kultivierteren Lebensabschnitt ist es auch höchste Zeit, den Kleiderschrank auszumisten. Raus mit den grellen Farben und zerrissenen Jeans. Die passen bald sowieso nicht mehr. Denn ab Mitte 30 gewinnen die Pfunde. Und damit sind wir auch gleich beim Thema Gesundheit und bewusste Ernährung. Wer mit Mitte 30 noch raucht, Nutella-Toast isst und Kaffee literweise in sich reinschüttet, ist nicht mehr cool, sondern unvernünftig. Wer weise reift, trinkt Kräutertee, isst Müsli und treibt regelmäßig Sport. Aber da wir – gesunde Lebensweise hin oder her – sowieso alle lange leben werden, tippt uns auch schon das Thema Altersversorgung beharrlich auf die Schulter. Noch nicht darum gekümmert? Dann aber schnell!

Mann, ist das ein Stress und gar nicht lustig! Anstatt einer Geburtstagsparty werde ich eine Trauerfeier veranstalten. Und ich freue mich schon auf meinen 70. Geburtstag, wenn ich wieder tun und lassen kann, was ich will, weil ich eh nicht mehr ernst genommen werde.

Von Julia Siebert

15/09/06

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