Eigentlich kommt man ja mit wenig Sprache aus. Also, mit wenig Wörtern. Man kann mit Händen und Füßen reden,  mit den Augen rollen, den Armen rudern und notfalls die Zunge rausstrecken. Und man erkennt am Tonfall, ob man befreundet sein will oder sich lieber aus dem Wege gehen sollte.

Zu Beginn meiner Zeit in Russland habe ich mit „Wot“, „Wsjo“, „Uch-ty“ und „Och“ ganze Bahnfahrten lang Gespräche geführt. Und in dem Pflegeheim, in dem ich arbeite, können viele Menschen nur mit den Augen sprechen. „Möchten Sie noch einen Schokoladenpudding?“ – Funkeln in den Augen. „Und einen Rollmops?“ – Entsetzter Blick.

Aber natürlich ist es schön, wenn man die ganze breite Vielfalt des Wortschatzes ausschöpfen kann. Wörter gibt es ja genug, die Gesamtgröße des deutschen Wortschatzes umfasst je nach Quelle und Zählweise 300.000 bis 500.000 Wörter, sagt Wikipedia. Nur, man benutzt sie natürlich nicht alle. Der Wortschatz der deutschen Standardsprache zählt 75.000 Wörter. Immerhin. Aber damit sind auch alle Themen umfasst, die das Leben so bietet. Da sich aber niemand mit allen Themen befassen kann und möchte, bedient sich ein durchschnittlicher Sprecher nur mit 8.000 bis 10.000 Wörtern. Im Alltag reduziert sich der Wortgebrauch nochmals auf 400 bis 800 Wörter. Man kann vermuten, dass die Zahl 800 durch die Geschwätzigkeit der Frauen zustande kommt und Männer mit eher bis zu 400 Begriffen auskommen, wenn man auch solche Ausdrücke wie „Hmhm“, „Jo“, „Nee“ oder „Tja“ hinzurechnet.

Auf der Hand liegt – je breiter der Wortschatz, desto präziser kann man sich ausdrücken. Einverstanden. Ich bin gewillt, meinen aktiven Wortschatz zu vergrößern, und schnappe mir sogleich den DUDEN. Für den Anfang sollte es reichen, vier neue Wörter zu integrieren. Nach dem Zufallsprinzip lande ich mitten im Buchstaben P. Mal sehen – Pendant, Pendel, penetrant, penibel… sind alle schon drin in meinem Sprachgebrauch. Was gibt es noch? Pentameter. Perchten. Persiflieren. Pentagonal. Sehr schön. Diese Begriffe habe ich noch nie in meinem Leben verwendet. Und rein vom Klang gefallen mir meine neuen Wörter auch sehr gut. Ich will gleich mal testen, wie sie sich in meinen Wortschatz einfügen. Pentameter. Tja, wann hat man es schon mal mit einem fünffüßigen daktylischen Vers zu tun? (Was nämlich ein Pentameter ist). Mit einem Satz wie „Goethe hat ja in keinem seiner Gedichte einen Pentameter verwendet“ steht man schnell als Angeber da, und außerdem weiß ich gar nicht, ob das stimmt. Und für Perchten fällt mir auch keine alltägliche Verwendung ein. Allenfalls könnte ich sagen: „Oho, es ist ein Sturm, als würden die Perchten (umherziehende Geister der Verstorbenen) einen wilden Tanz aufführen!“ Und ob mich jemand versteht, wenn ich sage: „Also, bitte, persiflieren Sie mich nicht!“ Persiflieren klingt eher nach einer Anwendung im Frisiersalon. Und was ist mit pentagonal? So oft hat man es ja auch nicht mit Fünfecken zu tun. Und wenn ich mal jemanden auf ein Fünfeck aufmerksam machen will, erscheint es mir einfacher, auch Fünfeck zu sagen und nicht pentagonal. Vielleicht finde ich noch etwas nützlicheres. Pergamentpapier. Wortbedeutung: Butterbrotpapier. Das geht schon eher. Vom Begriff her. Aber was die praktische Verwendung angeht, benutzt heute kein Mensch mehr Butterbrotpapier. Tupperdosen aus Plastik in allen Formen, Farben und Größen sind angesagt. Und wenn ich recht überlege – bin ich mit meinem bisherigen Wortschatz eigentlich sehr gut ausgekommen.

Von Julia Seibert

08/09/06

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