Unsere beiden Autorinnen haben sich Gedanken über die Begrüßungsformeln im Kasachischen und Deutschen gemacht. Große Unterschiede treten dabei zutage – die auch viel über die Mentalitätsunterschiede verraten.

Aizere Malaisarova

Wenn man in Kasachstan jemand anderen begrüßt, geht es immer um Respekt, Gesundheit und Ordentlichkeit. Es gibt sogar einen kasachischen Spruch „Sälem sözdıñ anasy“ (Der Gruß ist die Mutter der Worte). Zuerst begrüßen immer die Jüngeren aus Respekt die Älteren. Die Frage „Sälemetsız be?“ gilt als Begrüßung und bedeutet wörtlich „Sind Sie bei guter Gesundheit?“. Eine andere Art „Sälemetsız be?“ zu sagen, ist „Salamatsyz ba?“ oder „Amansyz ba?“ – „Sind Sie gesund?“. In der Regel antwortet man darauf „Amanmyn, esen-saumyn. Özderıñız aman-saumysyz?“ – „Ich bin gesund, und Sie?“ Früher, als Kasachen Nomaden waren und von der Überwinterung zurückkehrten, fragten sie immer „Mal-jan aman ba?“, „Ist das Vieh am Leben? Sind Ihre Verwandten am Leben?“ Ohne nach der Gesundheit des Anderen und seinen Familienangehörigen nachzufragen, setzt man das Gespräch nicht fort.

„Guten Morgen/Tag/Abend!“ und „Schönen Tag noch!“ finden immer mehr Eingang in den Dienstleistungsbereich in Kasachstan, in der Alltagssprache werden diese Begrüßungsformeln selten benutzt. Auf Russisch sagt man einfach „Sdrawstwujte“. Wenn man versucht, die typische Begrüßungsformel „Sdrawstwujte“ aus dem Russischen ins Deutsche zu übersetzen, ist das Ergebnis „Guten Tag“. Eigentlich ist „Sdrawstwujte“ kaum übersetzbar und bedeutet nicht „Guten Tag“. Wörtlich bedeutet es „Ich wünsche Ihnen Gesundheit“ oder „Seien Sie gesund“. Genauso begrüßen Soldaten den Ranghöheren in der Armee oder auf der Militärparade: „Gesundheit wünschen wir Ihnen, Genosse Verteidigungsminister!“.

Seit jeher sind Ehre und Ordentlichkeit die wichtigsten Tugenden für Kasachen. Laut einer Theorie begrüßten die Vorfahren der Kasachen einander mit „Armysyz!“, „Bist du ein ehrlicher Mensch?“, ohne dies in Frage zu stellen. „Barmysyz“ lautete die Antwort, „ich bin ehrlich, und du?“, wieder ohne die Ordentlichkeit des Anderen in Frage zu stellen. Eine Freundin von mir, die kasachische Sprache und Literatur studierte, erklärte mir, dass die Theorie umstritten ist und diese Begrüßung heute ihre ursprüngliche Bedeutung verloren hat. In der Regel spricht man so die Gäste an und braucht keine Antwort darauf.
Eine muslimische Begrüßung „As-salamu alaykum“ ist auch unter Kasachen verbreitet. Diese bedeutet „ Friede über Euch! Friede sei mit dir!“ Darauf wünscht man auch dem anderen Frieden: „Wa alaykum salam“.

Das „Sie“ macht groß und erwachsen

Außer dem konstanten Wunsch, einen schönen Tag oder ein schönes Wochenende zu haben, erstaunt mich die Geschwindigkeit, mit der die Deutschen zu duzen anfangen. Bei uns ist diese Grenze zwischen duzen und siezen kaum zu spüren. Wir siezen immer die Älteren, die Fremden auf der Straße und die Lehrer, klar, aber was ist zu tun, wenn ihre Beziehungen eng genug sind und keine Hierarchie mehr zum Unterordnen? Es entsteht immer diese Peinlichkeit, wenn einer den anderen duzt, der Andere aber weiter siezt, und eine Weile später unsicher fragt: „Darf ich dich duzen?“. Die Deutschen duzen schon in der Antwort-Mail oder im ersten persönlichen Treffen, egal, ob es ein Interviewpartner oder ein Chef ist. Als ich in Deutschland war, sagten mir die Eltern meiner Mitbewohnerin auf mein „Sie“ ihnen gegenüber: „Ach du kannst mich ruhig duzen“. Nein, kann ich nicht!

Das „Sie“ hat im 18. Jahrhundert aus dem Deutschen und Französischen Eingang in die russische Sprache gefunden. Wie es im „Bedeutungswörterbuch der lebendigen großrussischen Sprache” von Wladimir Dal steht, „duzte (früher) ein gewöhnlicher Mensch jeden, sowohl Gott als auch den Souverän“. Im 19. Jahrhundert ist die „Sie“-Anrede für einen gebildeten Menschen zur Gewohnheit und Pflicht geworden.

Viele Kasachen siezen ihre Eltern bis heute. So zeigen sie ihren Respekt. Ich bin russischsprachig aufgewachsen und duze sowohl meine Eltern als auch meine Großeltern. Trotzdem bedeutet „Sie“ viel für mich. An meiner Uni wurden alle Studierenden gesiezt. Das machte mich groß, erwachsen und bedeutend. Man schätzte meine Meinung und ging mit mir respektvoll um. Dieses Gefühl hätte ich gerne öfter. Manchmal kann es stören, wenn man in einer gelassenen Atmosphäre arbeitet, wo alle gleich sind. Vielleicht sollten wir diese Gewohnheit von den Deutschen übernehmen, zu sagen, „Du kannst mich ruhig duzen“?

Annabel Rosin

Anders als in Kasachstan sind die Deutschen bei ihren Begrüßungsformen eher bequem. Die höflicheren Begrüßungen wie „Guten Tag!“ oder „Guten Abend!“ benutzt man, wie mir bei meinen Gedanken zu diesem Thema erst bewusst geworden ist, kaum bis gar nicht. „Hallo!“ bekommt man dabei meist von seinem Gegenüber zu hören. Dabei macht es keinen Unterschied, ob man seine Freunde und Bekannten begrüßt, oder die Person gegenüber eigentlich überhaupt nicht kennt. Spannend sind auch die unterschiedlichen Begrüßungen, je nachdem, wo in Deutschland man sich gerade befindet. „Moin!“ begrüßen sich die Menschen beispielsweise in Hamburg untereinander, „Servus!“ oder „Grüß Gott!“ würde man in Süddeutschland zu hören bekommen. Das Duzen oder Siezen spielt bei diesen Begrüßungen keine Rolle. Aber sich dabei gegenseitig die Hand zu geben, gehört für den Deutschen immer dazu. Ob nun Mann und Frau oder beide Geschlechter sich untereinander begrüßen; ein freundlicher, leichter Händedruck ist unumgänglich.

Seine Freunde, Bekannten, oder auch Familienmitglieder begrüßen viele mit einem einfachen „Hi!“ oder „Hey!“. „Wie geht’s?“ ist dabei meist die im Anschluss gestellte Frage. „Gut, und selbst?“ lautet dann die Gegenfrage – „danke, mir auch“ fällt dabei in der Regel die Antwort aus. Anschließend wird das eigentliche Gespräch fortgeführt. Jugendliche sind mittlerweile untereinander schon auf den vereinfachten Mix aus Begrüßung und Frage „Was geht?“ umgestiegen, und lassen dabei die Frage nach dem Wohlbefinden aus. Vergleichbar ist dies mit dem Englischen „What‘s up?“.

Hierarchien oft nicht von langer Dauer

Eine der interessantesten Begrüßungen ist das zur Mittagszeit verwendete „Mahlzeit!“. Dies hört man überwiegend zwischen 12 und 13 Uhr, meist am Arbeitsplatz. Dabei ist es auch nicht wichtig, ob man es gerade mit seinem Lieblingskollegen oder dem Chef der Firma zu tun hat. Die erwartete Antwort darauf ist auch stets „Mahlzeit!“. Mit einem Lächeln verbunden symbolisiert man sich gegenseitig die wohlverdiente Mittagspause.

Möchte man im Deutschen eine E-Mail oder einen Brief verfassen, sieht die Wichtigkeit der Formalitäten schon ganz anders aus: „Sehr geehrte(r) Herr/ Frau …“ lautet dabei die durchgehende Begrüßung während der ganzen Konversation, solange der Gesprächspartner einem nicht das Duzen, und somit eine vereinfachte Anrede anbietet. Möglich ist auch, „Liebe(r) Herr/ Frau/ Vorname“ zu benutzen. Das erscheint dann schon eher persönlicher, ja sogar herzlich. Auch bei meinem Bewerbungsschreiben an die DAZ wurde mir mit dieser Anrede geantwortet, was bei mir einen sehr positiven Eindruck hinterließ. Hat man zunächst keinen konkreten Ansprechpartner, verwendet man „Sehr geehrte Damen und Herren“.

Wir Deutschen sind wirklich sehr zügig, was den Umschwung vom Siezen zum Duzen betrifft. Mir gefällt das, denn es zeigt, wie offen wir sind, wenn es darum geht, mit unserem Gegenüber eine persönliche Beziehung aufbauen. Hierarchien sind in Deutschland oft nicht von langer Dauer. Es kommt sogar sehr oft vor, dass dein Chef dir das Du anbietet, um eine familiäre Atmosphäre am Arbeitsplatz zu erschaffen; so etwas würde in Kasachstan wahrscheinlich eher weniger stattfinden.

Beendet man eine Konversation, wünschen wir in Deutschland uns gegenseitig einen „Schönen Tag!“ oder freitags sogar ein „Schönes Wochenende!“. Egal ob man sich dabei auf der Arbeit, im Supermarkt oder anderswo befindet – diese konstanten Wünsche gehören, meist anstelle einer Verabschiedung, dazu.

Aizere Malaisarova

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