Am 16. Oktober 1918 erließ das Komitee für Volksbildung die Resolution „Über Schulen der zahlenmäßig kleinen Völker“. Die Resolution sah unter anderem die Gründung einer Gemeindeschule – des kasachisch-kirgisischen Abai-Kinderhauses vor. In die Einrichtung wurden Waisenkinder im Alter von 8 bis 16 Jahren aufgenommen. Im Haus des Kaufmanns Pugassow, auf einer Apfelplantage im oberen Teil der Stadt gelegen, befanden sich ein Wohnheim, eine Werkstatt, Sanitäreinheiten und die Schule. Am 24. März 1925 wurde das Waisenhaus Nr. 8 von Alma-Ata in die neunjährige kasachisch-kirgisische experimentelle Demonstrationsschule umgewandelt, die Schule zog in das Gebäude des Frauengymnasiums der Stadt.

1934 besuchte Sergej Mironowitsch Kirow die neunjährige Demonstrationsschule Nr. 8 in Alma-Ata und schlug den Bau eines neuen Gebäudes für sie vor. Im selben Jahr entschied das Bildungsministerium Alma-Ata, neue Nummern an die Schulen zu verteilen. Die Schule Nr. 8 wurde zur Schule Nr. 12 und zur vollständigen Sekundarstufe umgewandelt. Sergej Kirow war ein bedeutender und äußerst brutaler Gefolgsmann Josef Stalins. Er stieg in die höchsten Reihen der Kommunistischen Partei auf, und machte in den frühen 1930er Jahren Stalin den ersten Platz im Staate streitig. Am 1. Dezember 1934 wurde er von einem gewissen Leonid Nikolajew an seinem Arbeitsplatz im Smolny-Institut in Leningrad durch einen Kopfschuss ermordet.

Die Hintergründe dieser Tat sind bis heute umstritten. Die Tat selbst führte aber auf direktem Wege zu den ersten Schauprozessen und Stalinschen Säuberungen zwischen 1936 und 1939. Vermutungen legen nahe, Stalin persönlich könnte hinter der Ermordung gesteckt haben, um die darauffolgenden Säuberungsaktionen unter den Parteifunktionären zu rechtfertigen. Eine Theorie, die bis heute nicht eindeutig bewiesen oder widerlegt werden kann. Noch im Januar 1936 erhielt die Schule Nr. 12 in Alma-Ata ein neues Schulgebäude sowie den Namen S. M. Kirows verliehen.

Russifizierung in der „Nomadenschule“

Zu Beginn der 1940er Jahre existierten in Alma-Ata 93 Schulen. Die Schule Nr. 12 war von all diesen die einzige, auf der in kasachischer Sprache unterrichtet wurde. Im Nachkriegsjahrgang 1948/49 lernten 765 Kinder in den 25 Klassen der Schule Nr. 12. In 12 Klassen wurde auf Kasachisch unterrichtet, in 13 auf Russisch. Und dies war bezeichnend für den weiteren Verlauf des Schullebens. Zum einen fehlte es in den Nachkriegsjahren an geeignetem Lehrmaterial in kasachischer Sprache, zum anderen waren viele der Lehrkräfte zu dieser Zeit noch kasachische Muttersprachler und dem Russischen nicht in der Art und Weise mächtig, um den russischsprachigen Stoff adäquat zu vermitteln.

Die Schule selbst verlor in dieser Zeit mehrmals sein Gebäude und musste umziehen, auch fand eine Russifizierung des Unterrichts statt. Sie war bald als die „Nomadenschule“ in der Stadt bekannt. Zwischen 1967 und 1970 wurde der Schulbetrieb fast komplett eingestellt. Doch es war der Druck vieler Eltern und insbesondere der kasachischen Intelligenz von Alma-Ata, der es bewirkte, dass der Schule zum Schuljahr 1970/71 ihr vorheriger Status zurückgegeben und der Unterricht wieder aufgenommen wurde. Dies ist die Wiedergeburt der Schule Nr. 12.

Das Gymnasium brachte viele Berühmtheiten hervor

Rabiga Nurtasina, Heldin der sozialistischen Arbeit, wurde zur neuen Direktorin der Schule ernannt, und mit ihr hielten bedeutende Neuerungen Einzug. Erstmals in Kasachstan wurde an der Schule Nr. 12 ab 1972 die englische Sprache unterrichtet. Ebenfalls auf Initiative der Direktorin Nurtasina kehrte die Schule 1975 wieder in das historische Gebäude an der Kreuzung Kunajew-/ Bogenbay-Batyr-Straße zurück, wo sie sich bis heute befindet.

Viele berühmte Menschen erhielten an dieser Schule ihre erste Ausbildung, wie die kasachische Opernsängerin Kuljasch Baiseitowa, die als eine unter den ersten überhaupt den Titel Volkskünstlerin der UdSSR 1936 erhielt, der erste kasachische Berufskünstler und Bildhauer Abilchan Kastejew, oder der berühmte Komponist und Dirigent Nurgisa Tlendijew, der seine letzten Lebensjahre in einem Apartment auf der gegenüberliegenden Straßenseite verbrachte. Die Schule Nr. 12 hat ihrem Ruf als Kaderschmiede der kasachischen Intelligenz von Alma-Ata in ihrer langen Geschichte bereits alle Ehre gemacht.

Freundschaft mit Dostojewski

Heute heißt die Schule Tschokan-Walichanow-Gymnasium Nr. 12. Tschokan Walichanow wurde im November 1835 im Distrikt Aman-Karagai, heute Gebiet Kostanai, geboren. Er war ein Nachkomme des berühmten Ablai-Chans, einer der Herrscher der sogenannten Mittleren Horde und seinerseits Nachfahre der ersten Gründer eines kasachischen Staates im 15. Jahrhundert. Die Familie Walichanow war im Russischen Reich hoch angesehen, trotzdem wuchs Tschokan traditionell in der Jurte seines Vaters auf und erlernte die kasachische Schriftsprache in der seinerzeit üblichen arabischen Schreibweise. Er wurde in das sibirische Kadettenkorps eingeschrieben und trat im Jahr 1847 in die Militärakademie Omsk ein.

In den späten 1850er Jahren unternahm Walichanow häufige Expeditionen durch Zentralasien. Seine Expedition in die Region Issyk-Kul zwischen 1855 und 1856 erregte im damaligen St. Petersburg großes Aufsehen. Aufgrund seines Reiseberichts über diese Expedition 1857 wurde Tschokan Walichanow in die Russische Geografische Gesellschaft aufgenommen. Walichanow, der seine Leidenschaft für die Geographie mit seiner militärischen Erfahrung verband, wurde Teil des intellektuellen und kulturellen Lebens St. Petersburgs. Er trat für die Verwestlichung des Russischen Reiches ein und sah den Einfluss des Islam in seiner Heimat Zentralasien sehr kritisch.

Walichanow, der in St. Petersburg an Tuberkulose erkrankte, musste die Stadt krankheitsbedingt verlassen und kehrte in seine Heimat zurück. Er starb am 10. April 1865 mit nur 29 Jahren an seiner Krankheit in dem kleinen Dörfchen Kochen-Torgan im heutigen Gebiet Almaty. Bemerkenswert ist auch das Treffen in Omsk und die daraus folgende Freundschaft Walichanows mit dem russischen Nationaldichter Fjodor Dostojewski. An ein weiteres Treffen zwischen Walichanow und Dostojewski, der in ihm einen brillanten Ethnographen und talentierten Folkloristen sah, erinnert heute eine Statue in Semipalatinsk. Tschokan Walichanow gilt heute als der Begründer der modernen kasachischen Historiographie und Ethnographie. Neben dem Gymnasium Nr. 12 trägt heute auch die Kasachische Akademie der Wissenschaften seinen Namen.

Das traurige Schicksal des Tschechen Ivan Vahek

Hinter dem Hauptgebäude der Schule Nr. 12 aus dem Jahr 1936 steckt auch die traurige Geschichte des jungen tschechischen Panslawisten und Bildhauers Iwan Bogumilowitsch Wahek (Ivan Vahek), der einst aus dem habsburgischen Vielvölkerstaat in das Russische Zarenreich übergesiedelt war. Im Zuge der Stalinschen Säuberungen musste Vahek ins Exil nach Alma-Ata, wo er 1932 ankam und für die Regierung der Kasachischen SSR als Bildhauer arbeiten durfte.

In dieser Funktion gestaltete er auch die drei Reliefs im Stile von Stalins sozialistischem Realismus, die sich über dem Hauptgebäude der Schule Nr. 12 aus dem Jahre 1936 befinden. Sie zeigen junge Schüler beim Lernen und bei Freizeitaktivitäten. Vahek war damit einer der ersten Künstler Alma-Atas, die sich der neuen Kunst- und Kulturlinie Josef Stalins völlig unterwarfen. Doch der Stalinsche Terror fand in den Jahren 1936 bis 1938 seinen Höhepunkt und konnte nun grundlos jeden treffen. Ivan Vahek wurde am 5. Februar 1938 wegen „Antisowjetischer Verschwörung“ abermals verhaftet, wurde am 2. September 1938 zum Tod durch Erschießen verurteilt, und das Urteil wurde noch am selben Tag vollstreckt.

Philipp Dippl

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