Am Sonntag, den 06. Oktober entschied Kasachstan in einem Volksentscheid über den Bau eines Atomkraftwerks, um dem Energiedefizit des Landes entgegenzuwirken. Das zentralasiatische Land hat sich vorgenommen, bis 2060 CO2-neutral zu sein, obwohl es doch eines der größten Kohle-Länder der Welt ist. Wie passt das zusammen?

Nachbesserungsbedarf bei der Energieversorgung

Die Diskussion um ein eigenes Atomkraftwert in Kasachstan ist kein neues Thema. Kasachstan wird eine marode Energieinfrastruktur attestiert, wodurch es wiederholt zu Stromausfällen in einigen Regionen kommt. Die vornehmlich in der Zeit der Sowjetunion gebauten Wärmekraftwerke sind veraltet. Darüber hinaus ist Kasachstan in drei, nur mangelhaft miteinander verbundene Energiezonen geteilt, durch die die Übertragung der Stromflüsse über größere Distanzen nur eingeschränkt vonstattengeht. Der Ausbau und die Entwicklung des Energienetzwerks werden daher vielerorts brisant diskutiert.

Die reichlich vorhandene und preiswerte Kohle der größten Volkswirtschaft Zentralasiens ist derzeit mit einem Anteil von etwa 70 Prozent der wichtigste Brennstoff für die Stromerzeugung. Kasachstans Regierung greift zu Gunsten von Kohlestrom intensiv in den Energiepreismarkt ein, was die Anreize für Investitionen in erneuerbare Technologien schwächt. Infolgedessen gehört Kasachstan gegenwärtig zu den kohlenstoffintensivsten Volkswirtschaften weltweit. Zusätzlich ist Kasachstan eines der wenigen Länder der Welt, das die durch Kohle gewonnene Energie weiterhin fördert.

Im April 2024 unterzeichneten es mit Russland ein Kooperationsabkommen über den Bau von drei weiteren Wärmekraftwerken in Kasachstan. 2021 haben die Ministerpräsidenten Russlands und Kasachstans mehrere Abkommen für die Zusammenarbeit bei der Gewinnung und Produktion von für den Energiesektor genutzten Ressourcen, vornehmlich Kohlenwasserstoffe, mit einer Laufzeit bis 2025, geschlossen.

Internationale Zusammenarbeit im Energiesektor

Bei der Generalkonferenz der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) im vergangenen Monat hat der Generaldirektor Rafael Grossi die Schlüsselrolle Kasachstans bei den weltweiten Bemühungen um die Entwicklung der Kernenergie betont. Weiterhin benannte er das Referendum in Kasachstan als „entscheidend für die zukünftige Entwicklung der Kernenergie“. Die Teilnehmer der Veranstaltung haben sich über Möglichkeiten zum friedlichen Einsatz von Atomenergie abgestimmt. Kernenergie sei als eine saubere und sichere Energiequelle anerkannt. Kasachstan fördere aktiv Initiativen zur Entwicklung von Atomkraft für friedliebende Zwecke. „Wir sorgen für eine stabile Versorgung des Weltmarktes mit Uran, und die Zusammenarbeit mit der IAEO besteht seit vielen Jahren. […] Kasachstan rüstet auch Forschungsreaktoren um und führt Technologien für die sichere Entsorgung bestrahlter Brennelemente ein“, sagte der kasachische Energieminister Almasadam Satkalijew.

Atomenergie in Kasachstan

Das staatlich geleitete Energieunternehmen Kazatomprom ist das nationale Atomunternehmen. Es hat die Kontrolle über jegliche Nuklearfragen sowie den Abbau von Uran. Kasachstan verfügt über rund 12% aller Uranvorkommen auf der Welt und hatte 2022 mit 43% den größten Teil an der weltweiten Produktion von Kernbrennstoff. 1999 wurde der einzige russische Atomreaktor aus der Sowjetzeit in Aktau an der Küste zum Kaspischen Meer stillgelegt. Im Ulba-TVS-Werk werden Kernbrennstoffpellets hergestellt, die wiederum in Atomkraftwerken zur Nutzung kommen. Kasachstan zieht in Erwägung, in Zukunft angereicherten Kernbrennstoff zu exportieren, statt allein Rohmaterialien, wie es jetzt geschieht. Seit 1948 wird in Kasachstan Uran abgebaut. 2022 betrugen die hinreichend gesicherten Uranressourcen 367.800 tU (“tonnes of elemental uranium“).

Das Metallurgische Werk Ulba (UMP) ist seit Ende der 1940er Jahre in Betrieb und nimmt mehrere Aufgaben in der Metallproduktion und -verarbeitung wahr. Das für die internationale Zusammenarbeit wichtige Werk stellte seine Arbeit über die Jahre häufiger um. Heute ist es insbesondere für die Herstellung von Uran-Hexafluoriden in Zusammenarbeit mit Kanada bekannt.

Die Regierung billigte im April 2015 den Entwurf eines Abkommens mit der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) über die Einrichtung einer „Brennstoffbank“ für schwach angereichertes Uran (LEU) in Kasachstan. Das Abkommen zielt darauf ab, Kasachstan zu einem internationalen Partner für Brennstoff-Produzenten und -Kosumenten zu machen. Demzufolge könnte sich jeder Staat bei Kasachstan um die Lieferung von Uranbrennstoff bewerben.

Im November 2018 ist Kazatomprom an die Börse gegangen, wobei 15 % der Aktien an der Astana International Exchange und der London Stock Exchange platziert wurden. Das staatliche Unternehmen Kazatomprom wurde 1996 bzw. 1997 gegründet, um den Anteil der Regierung am Uranbergbau und an der Kernbrennstoffproduktion sowie an der Ein- und Ausfuhr von Kernmaterial zu verwalten. Noch vor dem Abschalten des einzigen Reaktors in Kasachstan wurde über den Bau weiterer Kraftwerke gesprochen. 2014 wurde ein Abkommen über den Bau eines Atomkraftwerks in Kurtschatow mit dem russischen Rosatom unterschrieben. Jedoch verschob sich die Realisierung dieser Vorhaben mangels eines unmittelbar nachgewiesenen Energiebedarfs.

Das Unternehmen pflegt enge Verbindungen insbesondere mit China, Japan, Russland, Frankreich und Kanada bei der Uranschöpfung und weiteren Verarbeitungsprozessen.

Entwicklung des Energiesektors

Mit der Einführung von Einspeisevergütungen in Zusammenarbeit mit der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung im Jahr 2014, also der gezielten Förderung bestimmter Arten von Energien, kam erhöhte Planungssicherheit für großflächig angelegte Investitionen in den Energiesektor des Landes. Diese Maßnahme hatte zum Zweck, den Markt für erneuerbare Energien, wie Solar- und Windenergie, auf dem internationalen Energiemarkt wettbewerbsfähiger zu machen. 2023 machten erneuerbare Energien jedoch nur knapp 6% der kasachischen Energieproduktion aus.

Seit dem Jahr 2018 wurde die transkaspische internationale Transportroute entwickelt, da der Hafen von St. Petersburg vorübergehend nicht für Kernmaterial der Klasse 7 zur Verfügung stand. Die Route, die nicht durch russisches Hoheitsgebiet führt, wurde seitdem von Kazatomprom beibehalten, um eine alternative Uranlieferroute anzubieten. Diese bietet eine Chance für Europa und weitere westliche Staaten, die händeringend nach Wegen sucht, ihre Emissionsziele zu erreichen. Im Umkehrschluss gewinnt Kasachstan an geopolitischer Bedeutung und kann seine internationale Stellung zu Gunsten von Investoren ausbauen.

Öffentliche Meinung und das sowjetische Erbe

Die Folgen von über 450 Atomwaffentests der Sowjetunion, insbesondere auf dem Semipalatinsk-Testgelände im Nordosten des Landes, und die schädlichen Langzeitfolgen für Mensch und Natur sind in Kasachstan noch immer präsent und rufen in der Öffentlichkeit berechtigte Sicherheitsbedenken hervor. Darüber hinaus sind Erdbeben keine Seltenheit in Kasachstan. Die von der Regierung angekündigte Bauregion des Kraftwerks, Ulken, etwa 360 Kilometer entfernt von Almaty, ist besonders bekannt für eine erhöhte Erdbebenrate. Allein im Januar dieses Jahres gab es im Großraum Almaty ein Erdbeben der Stärke 6,7 zu spüren.

Im Allgemeinen unterstützt die Mehrheit der Befragten – 72,9 % – dennoch die Idee des Baus eines Atomkraftwerks. Diese Zahl stieg im Verlauf mehrerer Telefonumfragen stetig, wie Kazinform berichtet. Trotz all der potenziellen Gefahren birgt sich in dem Ausbau nuklearer Energie in Kasachstan eine Chance für die Gesamtbevölkerung. Kasachstans Energiebeauftragte prognostizieren, dass sich die Stromversorgungsengpässe in den nächsten zwei Jahren verschärfen werden, wobei mit einem Defizit von 2,4 Milliarden Kilowattstunden im Jahr 2024 und 3,3 Milliarden Kilowattstunden im Jahr 2025 gerechnet wird.

So haben die Bürgerinnen und Bürger entschieden

Bei der Volksabstimmung haben am Sonntag 63,87 Prozent (in Zahlen: 7 820 018 Personen) der Wahlberechtigten ihre Meinung kundgetan. Darunter stimmten 5 561 937 der Stimmberechtigten bzw. 71,12 Prozent für den Bau des Kernkraftwerkes. 2.045.271 Personen stimmten dagegen. Die übrigen Stimmen wurden für ungültig erklärt. Die höchste Wahlbeteiligung konnte in der Region Qysylorda im Süden Kasachstans verzeichnet werden, dort lag diese bei beachtlichen 82,48 Prozent. Die geringste Beteiligung gab es in der Stadt Almaty, dort gaben nur 25,39 Prozent der Wählerinnen und Wähler ihre Stimme ab.

Anton Genza

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