Julia Zimmermann ist seit September 2011 „Kulturweit“-Praktikantin an der DSD-Schule Nr. 18 in Almaty. DSD-Schulen sind Sprachgymnasien, an denen Muttersprachler Deutsch unterrichten und Schüler das „Deutsche Sprachdiplom“ absolvieren können. DAZ fragte Julia nach ihren interkulturellen Erfahrungen und dem Deutschunterricht an der DSD-Schule in Almaty.
DAZ: Julia, warum sind Sie für Ihr Praktikum gerade nach Kasachstan gekommen?
Julia Zimmermann: Als ich gehört habe, dass mich mein „Kulturweit“-Praktikum nach Kasachstan führt, habe ich mich, ehrlich gesagt, etwas erschrocken, da ich mich mit dem Land noch nicht beschäftigt hatte. Dann sagte ich mir, dass diese Erfahrung eigentlich gar nicht so schlecht ist. Denn ein „Kulturweit“-Praktikum in Amerika, Kanada oder Australien kann eigentlich jeder machen.
Die Programme von Au-Pair und Work und Travel sind interessant, aber ich empfinde sie als sehr alltäglich. Mir fehlte da die kulturelle Erfahrung. Denn meiner Meinung nach ist es eher ein wirklich kulturelles Erlebnis und eine bereicherndere Erfahrung, nach Kasachstan zu gehen, als nach Amerika. Genau das war für mich auch die Herausforderung dabei.
Können Sie etwas mehr zum Konzept von „Kulturweit“ sagen? Wen spricht das Programm in erster Linie an?
„Kulturweit“ spricht vor allem junge Leute an, die entweder ihr Studium beendet haben oder Praxiserfahrung sammeln wollen. Manche möchten auch eine Auszeit nehmen oder nach der Schule ihr Freiwilliges Soziales Jahr machen. Einige wissen vielleicht noch nicht genau, was sie studieren wollen und nutzen diese Zeit zur Berufsorientierung.
„Kulturweit“ verteilt uns Bewerber und Freiwillige über die ganze Welt an interessierte Schulen. Alle Interessierten reichen ihre Bewerbungen ein und durchlaufen das Bewerbungsverfahren in verschiedenen Etappen, wozu auch Bewerbungsgespräche gehören. Danach wird man von den Schulen und den Goethe-Instituten weltweit ausgewählt. Das können Schulen in Amerika, Osteuropa, Afrika oder Asien sein. „Kulturweit“-Praktika sind nur in Entwicklungs- und Schwellenländern vorgesehen, nicht in Industrieländern.
Was erwarten Sie von Ihrem Praktikum in Kasachstan?
Vor allem möchte ich interkulturelle Erfahrungen sammeln. Freiwilligendienst heißt auch immer, dass man hilft, wenn Not am Mann ist. Man leistet Entwicklungshilfe. Nicht in dem Sinne, dass man ein Dorf und einen Brunnen aufbaut, sondern kleine alltägliche Hilfen gibt und zur sozialen Entwicklung der Schule beiträgt.
Welche Aufgaben nehmen Sie als Praktikantin an der Weltsprachen-Universität wahr?
Ich helfe überall, wo es nötig ist, bin sozusagen Mädchen für alles. Ich helfe im Unterricht aus, wenn es zu Krankheitsausfällen kommt, ich hospitiere, zur Not bin ich auch das lebende Wörterbuch… Zur Unterstützung gehört auch Büroarbeit, wie Dokumente einordnen und abheften. Daneben korrigiere ich Arbeiten, wenn die Lehrer eine zweite Meinung hören möchten, um eine Leistung beurteilen zu können.
In diesem Fall vertrete ich die sogenannte deutsche Meinung zu einem Standpunkt. Frischen Wind und Kreativität in den Unterricht zu bringen ist das Wichtigste.
Allerdings bekomme ich keine festen Stunden zugeteilt, sondern unterrichte nur, wenn es nötig ist. Das ist auch nicht der Sinn vom „Kulturweit“-Praktikum. Wir sollen keine Ersatzlehrer sein, da ich ja auch keine pädagogische Ausbildung habe.
Welche Materialien nutzen Sie hauptsächlich für Ihren Unterricht?
Ich nutze alles, was ich bekommen kann. Vor dem Unterricht schaue ich mir die Räumlichkeiten an, eventuell haben wir Computertechnik und Internet zur Verfügung oder einen Fernseher, Laptop oder CD-Player. Im Lehrbuch suche ich bestimmte Themen aus, die für Prüfungen relevant sein können. Vokabeltraining ist ebenfalls wichtig.
Welchen Eindruck haben Sie vom Deutsch-Unterricht und den Schülern?
Die Schüler sind alle hochmotiviert, extrem diszipliniert und ehrgeizig. Jeder Einzelne ist anders motiviert, und es sind in meinen Augen alles Musterschüler. Normalerweise gibt es laut meiner Erfahrung Abstufungen in den Leistungen und in der Motivation. Aber hier in Almaty an der DSD-Schule habe ich das Gefühl, nur mit sehr ambitionierten Schülern zusammenzuarbeiten. Für den Lehrer ist das wunderbar, weil es sich dadurch sehr gut arbeiten lässt. Aber ich finde, manchmal fehlt ein wenig die Lockerheit, der Witz und auch der Spaß im Unterricht.
Inwiefern unterscheidet sich der Deutschunterricht generell von dem in Deutschland?
Ich kenne den Sprachunterricht mit eindeutig weniger Fokus auf dem Vokabelpauken. Hier liegt der Schwerpunkt nur auf den Vokabeln: neue Wörter werden dauernd überprüft und für weitere Unterrichtsstunden benötigt. Dasselbe gilt für die Grammatik: Ich habe Zehntklässler vor mir sitzen, die mir die Grammatik meiner Muttersprache dreimal besser erklären können als ich selbst. Das ist ein großer Unterschied. Ich habe drei Fremdsprachen gelernt – neben Englisch eben auch Französisch und Russisch. Bei mir entscheidet sich das alles nach Gefühl, wie ich die Grammatik einsetze. Hier scheint es mir, dass die Schüler über zehn verschiedene Dinge gleichzeitig nachdenken können, bevor sie einen Satz sagen.
Sie hatten Musterschüler angesprochen. Gibt es neben den ehrgeizigen Schülern auch Herausforderungen?
Es ist natürlich manchmal eine angestrengte Atmosphäre, und es gibt auch Schwierigkeiten. Die Schüler werden sehr stark im Unterricht gefordert und beansprucht, sie erhalten viele Hausaufgaben und sind wahrscheinlich am Ende eines Tages fix und fertig. Sie werden durchaus gut auf das Leben vorbereitet, wobei ich denke, dass es ein sehr arbeitsreiches Leben sein wird. Schwierigkeiten selbst kommen überall vor, überall wo es Menschen gibt.
Auch hier gibt es Schüler, die bestimmend sein wollen und in Konflikt mit anderen geraten.
Welchen Stellenwert hat Deutsch als Fremdsprache in Ihrer DSD-Schule?
Ich persönlich habe den Eindruck, dass Deutsch an der Schule Nr. 18 einen sehr hohen Stellenwert hat. Ich habe nicht das Gefühl, dass es an irgendwelchen Unterrichtsmaterialien mangelt. Alles steht zur Verfügung, von Büchern bis zu multimedialen Mitteln. Die deutsche Abteilung hat auch generell an der Schule einen sehr guten Ruf, da die Schule ja als deutsches Spezialgymnasium bekannt ist.
Außerdem kommt es mir so vor, als ob jeder in Kasachstan mindestens drei, vier Worte Deutsch sprechen kann. Angefangen beim Taxifahrer bis hin zu den Menschen auf der Straße, alle können ein paar Brocken Deutsch und haben irgendwo in Deutschland Verwandte oder Freunde. Ich habe sogar das Gefühl, dass ich von der deutschen Sprache hier verfolgt werde, seit ich hier bin. Das liegt wahrscheinlich an dem überaus positiven Deutschlandbild in Kasachstan. Viele versuchen, nach Deutschland zu fahren und dorthin zu ziehen.
Ein Leben in Deutschland wird allgemein als wirtschaftlich effektiver angesehen. Alle stellen sich das sehr schön und rosig vor, als wenn sie vom Paradies reden. Vielleicht ist das der Grund, der Traum vom verheißungsvollen Land…?
Können Sie mit drei Schlagworten Ihr „Kulturweit“-Praktikum beschreiben?
Das erste, was mir dazu einfällt, ist „Herausforderung“, dann „Spaß“ bei der Arbeit, und als letztes Wort „neue Kultur“, oder besser „Multi-Kulti“.
Das muss ich vielleicht erklären. Ich finde es fantastisch, mich in einer fremden Kultur gut oder halbwegs zurechtzufinden. Ich treffe auf viele neue Dinge, Erfahrungen, die mich verwundern. Warum macht man dieses so und jenes so…
Man fühlt, dass kasachische oder – teilweise damit verbunden – auch russische Kulturelemente in einen übergehen. Ich komme zwar aus einer europäischen Kultur, habe aber die deutsche Kultur in meinem Herzen. Trotzdem ist die kasachische Kultur eine Bereicherung für mich.
Das stelle ich an Kleinigkeiten fest: Ich stelle die Handtasche nicht auf den Boden, weil sonst das „Geld herausfließen“ kann.
Was wünschen Sie zukünftigen „Kulturweit“-Praktikanten“ an den DSD-Schulen?
Ich möchte allen zukünftigen Praktikanten raten: Lasst euch nicht erschrecken! Kasachstan ist nicht das, was ihr zuerst denkt. Aber auch nicht das, was ihr vielleicht zuallererst erblickt. Es ist viel schöner, vielseitiger und reicher, manches liegt auch im Verborgenen. Kasachstans Natur ist unglaublich schön, sie ist einfach unbeschreiblich!
Ich empfehle jedem, den ersten großen Heimweh-Schub zu überstehen, wenn man den überhaupt hat. Denn es lohnt sich, durchzuhalten! Ein Jahr in Kasachstan ist unglaublich bereichernd, diese Erfahrung kann dir keiner nehmen. Das ist eine Sache, auf die man stolz sein kann, eine besondere Erfahrung!
Vielen Dank für das Gespräch!
Mit Julia Zimmermann sprach Malina Weindl.
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„Kulturweit“ ist der kulturelle Freiwilligendienst des Auswärtigen Amts. Er wird in Kooperation mit der Deutschen UNESCO-Kommission durchgeführt. Partner sind unter anderem das Goethe-Institut, der Deutsche Akademische Austauschdienst und der Pädagogische Austauschdienst.
„Kulturweit“ versteht sich als aktiver Beitrag zur Völkerverständigung. Im Rahmen ihres Dienstes begegnen die Freiwilligen Menschen aus anderen Ländern und lernen ihre Kulturen kennen. Sie erweitern ihren Horizont und stärken ihre interkulturelle Kompetenz.
„Kulturweit“ verbindet Menschen.