Bodo Lochmann ist im Rahmen einer Langzeitdozentur des DAAD in Almaty. Der in Moskau ausgebildete Wirtschaftswissenschaftler (Dr.oec.habil) ist Rektor der DKU.
Seit ich in Kasachstan arbeite, bereits acht Jahre, wird hierzulande allgemein der Zustand des Wertpapiermarktes öffentlich beklagt. Das Angebot an Aktien und Obligationen ist viel zu gering, die Nachfrage übertrifft das Angebot bei weitem. Vor allem die Pensionsfonds, aber bei weitem nicht nur diese, wissen nicht so recht, wohin mit dem vielen Geld, das die Versicherten meist zwangsweise bei ihnen abliefern müssen. Infolge der noch nicht gegebenen vollen Konvertierbarkeit des Tenge und anderer Begrenzungen der Anlagemöglichkeiten im Ausland sind die Renditen der hier angelegten Mittel real, also in Kaufkraft gemessen, negativ. Bei weiterem Andauern dieses Zustandes wird sich dadurch die Rentenversorgung eines großen Teiles der heutigen Beitragszahler als unzureichend herausstellen.
Doch es gibt noch einen wesentlichen anderen Aspekt dieses Wertpapiermangels. Für die allermeisten Bürger Kasachstans sind sowohl theoretisch als auch praktisch Aktien und Unternehmensanleihen Fremdwörter. Der einzelne Bürger bekommt so etwas gar nicht erst zu Gesicht, er kann sie eh nicht kaufen. Dadurch regeneriert sich nicht nur die aus Sowjetzeiten immer noch anzutreffende Abneigung gegen die „Kapitalisten“ und gegen Unternehmen, die ordentlich Gewinne machen. Letzteres ist vielen besonders verdächtig. Dabei sind es gerade gewinnstarke Unternehmen, die Investitionen tätigen, den notwendigen Strukturwandel voranbringen und Arbeitsplätze schaffen oder zumindest erhalten können.
Wäre ein größerer Teil der Bürger Besitzer von Aktien, also kleine „Kapitalisten“, wäre das für die Wirtschaft des Landes insgesamt sehr positiv. Zum einen würde neben der klassischen Kreditfinanzierung eine weitere Form der Finanzierung der Tätigkeit der Unternehmen stimuliert. Zum anderen wäre vor allem aber das Verständnis für die wirtschaftlichen Zusammenhänge größer, weil sich der größte Teil der Besitzer dieser Wertpapiere natürlich dafür interessiert, weshalb der Wert seiner Aktien steigt oder fällt. Damit ist er natürlich mitten drin in der Wirtschaft. Und die ist nun mal spannend. Auch die Akzeptanz der Marktwirtschaft wäre sicher größer, weil man besser verstehen würde, warum bestimmte Dinge so und nicht anders funktionieren. Und nicht zuletzt würde sicher auch die Bereitschaft steigen, sich um seine Zukunftsvorsorge stärker selbst in Eigenverantwortung zu kümmern, statt sich mehr oder weniger stark auf den Staat zu verlassen.
Mehr Kapitalisten braucht also das Land. Dieser fast schon Losungsverdächtige Satz gilt nicht nur für Kasachstan, auch Deutschland ist nicht unbedingt ein Land der Aktionäre, dort allerdings aus anderen Gründen als hierzulande.
Bodo Lochmann
31/03/06