Maria Gliem aus Frauenwaldau, dem heutigen Bukowice in Polen, hat einen Teil ihrer Kindheit als Vertriebene verbracht. Ihre Flucht führte sie nach Hessen, wo vor 70 Jahren die ersten Heimatvertriebenen ankamen. In ihrer heutigen Heimat trägt Gliem dazu bei, dass ihre Erinnerungen an die Zeit in Polen und die Flucht nicht in Vergessenheit geraten. Aus diesem Grund hat sie ihre Geschichte aufgeschrieben. Die DAZ veröffentlicht mit ihrer Erlaubnis Auszüge aus der Niederschrift.

Die Fahrt ging weiter nach Cottbus. Dort hieß es, auf Marken gibt es noch Brot zu kaufen. Ich bin sofort allein los und habe auch zwei Brote erhalten. Als ich zurückkam, ergriff mich die Panik. 20 lange Züge standen auf dem Bahnhof und in welchen gehörte ich? Nach ewig langem Suchen fand ich endlich den richtigen Zug und Waggon wieder und fünf Minuten später fuhr der Zug ab. Da glaubt man doch an Gottes Fügung. Die Fahrt ging weiter über Sagan nach Liegnitz (Legnica).

16 Tage waren wir in diesem Waggon unterwegs. Als wir in Liegnitz ankamen, hieß es, alles aussteigen, weiter in Richtung Osten waren die Schienen zerstört. So mussten wir zu Fuß weiter. Der Bahnhof war fürchterlich, alle Abflussrohre geplatzt, die Unterführung zum Ausgang stand knöcheltief voll mit Exkrementen, und alle Leute mussten dadurch laufen. Es regnete, und so hatten wir eine Möglichkeit, uns notdürftig zu reinigen. Der Gestank war unerträglich. Vor dem Bahnhof fanden wir einen alten Pferdewagen. Alle Familien aus Frauenwaldau luden ihr Gepäck auf und wir zogen und schoben diesen schweren Wagen in Richtung Heimat. Das Ehepaar Kruppe, beide zirka 80 Jahre alt, blieb einfach am Strassenrand sitzen, sie konnten und wollten nicht mehr. Später hörten wir, sie ist dort verstorben, er hat es aber noch geschafft, bis nach Frauenwaldau zu kommen, wie, weiß ich nicht. Nach 66 km, laut Straßenschildern, kamen wir in das Dorf Wilschkau (Wichrow).

Unser Opa und auch Opa Frenzel waren sehr krank. Da nahmen wir unser und Familie Frenzels Gepäck vom Wagen und die anderen fuhren weiter. Wir suchten uns ein leer stehendes Haus, in dem wir ein paar Tage bleiben wollten, bis es den Opas wieder besser ging. Alle Häuser hatten weder Fenster noch Türen. Zum Glück war es nicht mehr so kalt, aber in dem Dorf war eine russische Kommandantur, wir haben tausend Ängste ausgestanden, aber wir konnten nicht weiter mit den Kranken und sind geblieben.

Frenzels waren fünf Personen – Frau Frenzel, drei Mädchen in unserem Alter und der Opa. Wir Kinder sind sofort los, um etwas Essbares zu suchen. Die Tage mit dem Pferdewagen gab es nur das, was am Strassenrand zu finden war, Sauerampfer oder Ähnliches oder Kartoffeln, die schon jemand gesteckt hatte – gruben wir die wieder aus. In Wilschkau gab es eine Gärtnerei mit vielen Gewächshäusern voller Tomaten. Da es Ende Juni war, waren einige schon reif. Kartoffeln waren noch im Keller des Hauses, in dem wir uns niedergelassen haben. Zum Frühstück gab es Pellkartoffeln, zum Mittagessen Klöße und abends Suppe oder Kartoffelpuffer und alles ohne Salz, aber wir wurden satt. Das kann man sich heute gar nicht vorstellen, aber das fehlende Salz war ganz schlimm. Wir wurden in dieser Zeit alle krank, aber Opa konnte wieder aufstehen und kochte für uns, so gut es ging. Nach drei Wochen wollten wir weiter. Ich wollte bei den Russen einen Munitionswagen stehlen für unser Gepäck oder wenn einer nicht mehr gehen konnte, aber sie haben mich erwischt. Doch ich konnte ihnen klarmachen, wozu wir den brauchten, und ich durfte ihn mitnehmen. Sie haben sich krumm gelacht, als ich mit meinen zehn Jahren den schweren Karren wegzog.

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