Alexej Barchewitsch spielte beim Konzert zur Eröffnung des deutschen Generalkonsulats in Almaty den Solopart aus Mozarts Violinkonzert KV 219. Der seit 2005 beim Königlichen Flandrischen Philharmonischen Orchester Antwerpen als Konzertmeister wirkende Violinist erlangte erste Preise bei „Jugend musiziert“, dem Pariser Concours Pierre-Lantier und anderen Wettbewerben. Im Interview mit der DAZ sprach er über sein musikalisches Credo.

/Bild: Ulrich Steffen Eck. ‚Der Deutsche Alexej Barchewitsch wurde 1976 in einer Sankt Petersburger Musikerfamilie geboren.’/

Welche Vorbilder unter den Violinisten haben Sie?

Wenn Sie damit Verehrung meinen und nicht, dass ich so sein wollte, hatte ich sehr viele Vorbilder. Es gab verschiedene Phasen: Eine Heifetz-Phase, eine Oistrach-Phase – also Perioden, in denen ich nur noch Aufnahmen oder – sofern derjenige noch gelebt hat – auch Konzerte dieser Leute besucht habe. Ich kann niemanden konkret benennen. Es waren einfach sehr viele. Auch Milstein und natürlich die mystischen Gestalten wie Paganini oder Sarasate. Von Sarasate gibt es noch ein paar Aufnahmen, aber die sind am Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden, so dass man da nicht mehr so viel hören kann. Es gibt aber sehr viel Literatur über diesen Menschen.

Akzeptable Neue Musik ist für Sie, wenn ich Sie richtig verstehe, vor allem die mittlerweile schon „traditionelle“ Neue Musik – Schnittke, Schostakowitsch. Bei Kagel hört es dann schon auf?

Nein, ich finde ihn durchaus interessant. Wir haben zum Beispiel ein Stück von Kagel gespielt, bei dem der Schlagzeuger auf einen Stuhl steigen und in einem bestimmten Rhythmus Wasser in einen Eimer gießen musste.

Ich glaube, dass er vieles nicht so ernst gemeint hat. Musik muss nicht immer ernst sein, das ist doch bei Mozart nicht anders als bei moderner Musik. Es gibt – ich weiß nicht von wem – ein Konzert für Staubsauger und Orchester. Das ist als Provokation gedacht.

Yehudi Menuhin hat ein Buch mit „Kunst als Hoffnung für die Menschheit“ betitelt. Würden Sie sich einer solchen Aussage anschließen?

Ja, Musik als Kunst kann Hoffnung, aber auch das Gegenteil davon sein. Das hängt davon ab, wer etwas spielt, was er spielt und warum er es spielt. Musik kann sowohl Positives als auch Negatives bewirken oder transportieren. Die Musik ist ein Ausdrucksmittel für Gedanken, Gefühle oder was auch immer.

Nun hat Strawinsky gesagt, Musik könne außer sich selbst nichts anderes darstellen.

Das ist sein Recht. Aber mit Strawinsky bin ich nicht immer einverstanden, obwohl ich ihn für einen genialen Komponisten halte. Im Orchester haben wir den „Feuervogel“, „Sacre du Printemps“, und kürzlich seine „Sinfonie in drei Sätzen“ gespielt.

Strawinsky hat auch behauptet, dass man seine Musik nicht interpretieren, sondern einfach nur spielen solle. Im Prinzip weiß ich, was er meint, aber wenn man es wörtlich nimmt, dann geht das gar nicht. Es gibt auch einen schönen Aufsatz von ihm über die Dirigenten. Da bin ich seiner Meinung. Da schreibt er Sachen wie etwa, dass der Dirigent meist der schwächste Musiker des Orchesters ist. Ich glaube, er hat das ernst gemeint. Möglicherweise hatte er auch einen konkreten Dirigenten vor Augen.

Möglicherweise ist das  aber auch seine Reaktion auf den Dirigentenkult. Im Barock wurde noch vom Cembalo aus dirigiert.

Auch später noch. Der erste Dirigent im heutigen Sinne war Hans von Bülow. Das war ja schon in Brahms’ Zeit. Aber wie dem auch sei: Ich kenne Orchester, die unter schlechten Dirigenten gute Musik liefern. Es gibt aber keinen Dirigenten, der mit einem schlechten Orchester gute Musik machen könnte. Nichts ist natürlich hoffnungsloser als ein schlechtes Orchester mit einem schlechten Dirigenten. Und aufgrund der massiven Streichungen in dem Bereich wird es davon in Deutschland künftig mehr geben.

Ein verbeamteter Orchestermusiker in Deutschland verdient nicht schlecht. Im Vergleich dazu bekommt ein Tänzer weniger, und der hat naturgemäß eine kürzere Karriere.

Das mag bei Rundfunkorchestern so sein. Generell möchte ich das so nicht bestätigen. Nehmen Sie mal ein B oder C-Orchester in Ostdeutschland. Die verdienen bestimmt nicht mehr als die Tänzer. Ich habe vier Jahre lang bei einem B-Orchester in Meiningen gearbeitet. Wir hatten dort auch ein Ballett, das mittlerweile geschlossen ist. Ich hatte einen Konzertmeistervertrag, der ist natürlich etwas lukrativer. Aber ein normaler Orchestermusiker hatte dort etwa 1.500 Euro auf die Hand. Das ist nicht viel für ein Opernorchester, bei dem man sehr viel und sehr harten Dienst hat. Wir haben zum Beispiel Wagners kompletten „Ring“ gespielt, an vier Tagen.

Das ist ja schon Schwerstarbeit für den Zuhörer.

Es waren zwei Orchester. Die Meininger haben „Rheingold“, „Walküre“ und „Götterdämmerung“ gespielt, und die anderen „Siegfried“. „Götterdämmerung“ geht sieben Stunden, „Walküre“ sechs, und „Rheingold“ ist zwar mit zweieinhalb Stunden kürzer, hat aber keine Pause.

Wie wichtig ist Ihnen die Publikumsmeinung?

Musik ist etwas sehr Subjektives. Natürlich sind mehr Menschen von Wucht und Stärke beeindruckt als von Zartheit und Sublimität. Hier trennen sich die Wege verschiedener Publikumsgruppen. Ich spiele zunächst für mich, aus ganz egoistischen Gründen. Mir ist es erst mal egal, ob und vor allem wie viele Menschen ich beeindrucke oder nicht. Wenn jemand sagt, dass es ihm nicht gefallen hat, wäre es mir allerdings wichtig zu wissen, warum. Wenn er es begründen kann, ist es interessant für mich, sonst eher unwichtig. Ich kann mich nicht von der Meinung des Publikums abhängig machen. Anerkennung brauche ich von mir selbst. Und da bin ich nie zufrieden. Ich bin in einer Musikerfamilie aufgewachsen. Wenn ich meine Eltern anrufe, sind sie ständig beim Üben oder beim Streiten über Musik. Daher ist mir dieser nie endende Prozess wohl vertraut.

Würden Sie sagen, dass es in der Musik wichtig ist, mit wenig Aufwand viel Effekt zu erzeugen oder umgekehrt, hohen Aufwand zu betreiben, ohne dass der Effekt eine Rolle spielt?

Das ist eigentlich eine Frage, die ich nicht beantworten kann. Ich betreibe doch immer einen gewissen Aufwand. Ein Mozart-Adagio ist nicht leichter zu spielen als eine Mahler-Sinfonie. Es geht nicht darum, eine möglichst große Anzahl von Noten zu spielen, sondern darum, etwas zu sagen. Wenn Sie das schaffen, mit Beethoven, Schostakowitsch, Mozart, Bach oder wem auch immer, dann ist es doch das, worum es geht. Hauptsache ist, Sie haben etwas rübergebracht. Ich kann Ihnen nicht sagen, ob das Schostakowitsch-Konzert mit seinen 50 Minuten schwerer oder leichter als das Mozart-Konzert war. Da werden dem Solisten völlig verschiedene Sachen abverlangt.

Kommen wir zum Thema Interpretation: Wie stark interpretieren Sie?

Die Ehrfurcht vor dem Werk ist schon sehr groß. Solange das Stück, das man spielt, nicht von einem selbst stammt, sollte man sich an den Text halten. Das Geschriebene darf man nicht verändern. Aber gleichzeitig muss man versuchen, etwas zu sagen. Sonst wäre das wie ein Vorlesen der Noten. So, als würde ein Schauspieler Goethes Faust vorlesen. Das würde niemandem etwas geben.

Glenn Gould hat zum Thema Interpretation in Bezug auf Bach gesagt, dieser hätte ihn gelehrt, dass es möglich ist, ein Argument und sein Gegenargument gleichermaßen überzeugend zu vertreten.

Natürlich gibt es absolut gegenteilige Interpretationen, die alle legitim sind, solange sie überzeugen. Mein Recht ist es, anders zu interpretieren. Wenn Sie allerdings heutzutage zu einem Wettbewerb fahren, müssen Sie auf eine ganz bestimmte Art, die meist der gerade herrschenden Lehrmeinung entspricht, spielen. Sonst können Sie gleich zu Hause bleiben. Das ist so eine Art Sport.

Woher wissen Sie, wie Sie ein Werk interpretieren wollen?

Das ergibt sich eigentlich von selbst. Sie müssen zuerst versuchen, den Text zu verstehen: die Phrasierung, die Artikulation, dann die Harmonie. Bei Bach sind natürlich die Polyphonie und ihre harmonischen Zusammenhänge sehr wichtig. Die Harmonik zeigt natürlich auch da, wohin es geht: Die Dominante will auch da in die Tonika.

Sie spielen eine Landolfi-Geige. War das eine bewusste Wahl und wenn ja, warum?

Zuvor habe ich die Guadagnini-Geige von Louis Spohr gespielt. Die hat einen Wert von zwei Millionen Euro und gehörte der Musikhochschule Weimar. Als ich mit dem Studium fertig war, musste ich sie zurückgeben. So ein Instrument kann ich mir natürlich nicht leisten. Ich musste etwas klanglich Äquivalentes finden. Wichtig ist die Stärke der Violine. Die muss man im großen Saal testen. Viele Geigen klingen am Ohr sehr gut, im Saal aber gar nicht. Meine Geige hat so einen laserartigen Ton. Sie ist nicht sehr laut, aber man versteht auch in den hinteren Ecken jeden Ton. Daneben gibt es den Faktor der Schönheit. Der ist natürlich nicht objektiv, mir aber auch wichtig.

Das wichtigste aber ist der Klang. Und da gibt es auch gute moderne Geigen. Christian Tetzlaff hat zum Beispiel eine Stradivari zu Hause, spielt aber eine fantastische moderne Geige von einem Bonner Geigenbauer. Aber natürlich ist das Geschmackssache: So ein Instrument klingt eben modern. Es gibt jetzt auch Karbonviolinen und -bögen. Die Bögen begeistern mich nicht. Man kann mit ihnen alle Stricharten spielen. Die gehen praktisch von allein. Aber sie klingen nicht so gut.

Wie kommt man an ein Instrument wie das Ihre heran?

Ich bin zu einem Geigenbauer in Meiningen gegangen. Die Geige kommt aus Kopenhagen, wo sie der Konzertmeister des dortigen Orchesters gespielt hat, bevor er sich eine Del-Gesu-Geige gekauft hat. Der war übrigens ziemlich kriminell und hat viele seiner Geigen im Gefängnis gebaut.

Das Interview führte Ulrich Steffen Eck.

28/11/08

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