Wie die zentralasiatischen Länder vom Konflikt zwischen der Ukraine und Russland betroffen sind

Über Monate hat die Welt angesichts einer drohenden Eskalation des Ukrainekonflikts die Luft angehalten. Am späten Montagabend war es dann so weit: Pünktlich einen Tag nach der Abschlussfeier der Olympischen Winterspiele in Peking erkannte Kreml-Chef Wladimir Putin die beiden selbsternannten „Volksrepubliken“ in Donezk und Luhansk als unabhängig an – und beendete damit de facto den Minsker Friedensprozess. Wenig später – Putin hatte hierzu den Befehl gegeben – wurden bereits russische Panzerkolonnen nahe Donezk gefilmt. Die USA, Großbritannien und die EU kündigten umgehend Sanktionen an.

Auch in den zentralasiatischen Ländern dürfte man die Ereignisse in Osteuropa bei aller geographischen Ferne aufmerksam verfolgen. Schließlich sind fast alle Länder der Region in irgendeiner Weise eng mit Russland verbandelt: Kasachstan und Kirgisistan sind Mitglieder in der russisch dominierten Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU), Usbekistan hat dort Beobachterstatus. Usbekistan, Tadschikistan und Kirgisistan haben zudem eine erhebliche Anzahl von Landsleuten, die regelmäßig als Gastarbeiter aus Russland Geld in die Heimat überweisen.

2019, im letzten Jahr vor den Corona-bedingten Grenzschließungen, betrug die Gesamtsumme der Rücküberweisungen von Arbeitsmigranten aus Russland laut Weltbank 22,2 Milliarden US-Dollar. Wenn man bedenkt, dass etwa 40 Prozent der Arbeiter aus Usbekistan, 20 Prozent aus Tadschikistan und 8 Prozent aus Kirgisistan stammen, stellt man fest, dass diese Geldsendungen einen nicht unerheblichen Anteil am Bruttoinlandsprodukt der Länder haben.

Moody’s: Zentralasiatische Länder „verwundbar“

Es überrascht daher nicht, dass die Ratingagentur Moody’s bereits vor drei Tagen Tadschikistan und Kirgisistan als zwei der „verwundbarsten Länder“ im Falle von harten Wirtschaftssanktionen des Westens gegen Russland nannte. Zum einen besteht die Gefahr einer Abschwächung des russischen Wirtschaftswachstums, wodurch weniger Arbeitskräfte benötigt würden. Zum anderen bedeutet eine Abwertung des Rubels, dass die Arbeitsmigranten aus Zentralasien weniger von ihrem Einkommen in die Heimat schicken können.

Einen Vorgeschmack darauf gab es bereits in den vergangenen Tagen, als eine Eskalation des Konflikts um die Ukraine sich immer deutlicher abzeichnete. Kostete ein US-Dollar am vergangenen Mittwoch noch etwa 75 Rubel, waren es am Montag bereits über 80 Rubel. Im Oktober noch waren knapp über 70 Rubel pro Dollar zu zahlen gewesen. Neben dieser Geldentwertung fürchten zentralasiatische Arbeitsmigranten zudem häufigere und strengere Kontrollen von Ausländern aus Furcht der russischen Behörden vor feindlicher Spionage.

Ölfirmen verdienen mehr

Anders als seine Nachbarn ist Kasachstan von dieser Problematik wenig betroffen. Nichtsdestotrotz widmet man dem Konflikt in Europa auch hier große Aufmerksamkeit. Im Fokus vor allem: der mögliche Preisanstieg bei Öl, Gas und anderen Rohstoffen als Folge von Sanktionen und Gegensanktionen. Insbesondere in Europa, das stark von fossilen Energieträgern aus dem Osten abhängig ist, wuchs zuletzt die Sorge, dass Russland harte Strafmaßnahmen mit einem Lieferstopp kontern könnte. Dass am Dienstag die Bundesregierung selbst unter Kanzler Scholz die Zertifizierung der neuen Gas-Pipeline „Nord Stream 2“ stoppte, dürfte die Sorgen vor Engpässen nicht gerade lindern.

Öl der Sorte Brent kostete bereits am Morgen nach der Eskalation vom Montagabend über 97 US-Dollar pro Barrel – so viel wie zuletzt 2014. Als Exporteur verdient Kasachstan gut an den steigenden Preisen. Allerdings kann der Preisanstieg auch ein zweischneidiges Schwert sein, wenn sich zugleich Materialien verteuern, die kasachische Ölfirmen für die Förderung des schwarzen Goldes benötigen. Der kasachische Tenge profitierte jedenfalls nicht von der Aussicht auf sprudelnde Ölgewinne – ganz im Gegenteil: Im Sog des russischen Rubels geriet auch die kasachische Landeswährung am Dienstag unter Druck. Experten führen das unter anderem auf den hohen Anteil (40 Prozent) von Importen aus Russland an den kasachischen Gesamtimporten zurück.

Unabsehbare Folgen könnten für alle zentralasiatischen Länder mit starken Handelsbeziehungen nach Moskau harte Sanktionen gegen den russischen Finanzsektor haben – allen voran die sogenannte „nukleare Option“, also der Ausschluss russischer Banken aus dem SWIFT-System. Da hiervon jedoch auch die westlichen Länder selbst in erheblichem Maße betroffen wären, gilt diese Variante bislang als wenig wahrscheinlich. Eher denkbar sind gezielte Strafmaßnahmen gegen das Umfeld von Präsident Putin, dessen Oligarchen-Verbündete große Besitztümer vor allem in Großbritannien haben.

Verschiedene Sanktions-Szenarien

Welches Ausmaß westliche Sanktionen gegen Russland annehmen und wie stark die zentralasiatischen Länder hiervon am Ende betroffen sein könnten, hängt natürlich allein davon ab, wie stark sich die Situation in und um die Ukraine zuspitzen wird. Eine vollumfassende Invasion, vor der amerikanische Spitzenpolitiker unter Berufung auf Geheimdiensterkenntnisse zuletzt immer wieder warnten, ist längst nicht die einzige mögliche Entwicklung des Konflikts.

Wegen des zu erwartenden Widerstands der ukrainischen Armee, die wesentlich schlagkräftiger ist als noch vor acht Jahren, müsste Putin daheim vermutlich eine hohe Opferzahl unter seinen Soldaten erklären. Zudem ist fraglich, wie Russland ein Land von der Fläche der Ukraine mit einer überwiegend feindseligen Bevölkerung dauerhaft besetzen will. Denkbar sind daher auch ein begrenzter militärischer Einsatz mit dem Ziel, eine Landbrücke zur Krim zu schaffen, oder ein Verbleiben der russischen Truppen in den Separatistengebieten. Auch eine diplomatische Lösung ist nach wie vor nicht vom Tisch, wie das geplante Treffen zwischen Russlands Außenminister Sergej Lawrow und seinem Amtskollegen Antony Blinken am Donnerstag zeigt, an dem beide Seiten festhalten.

Die Position Kasachstans zum Konflikt um die Ukraine machte am Dienstag Außenminister Mukhtar Tleuberdi deutlich. Gefragt nach einer möglichen Anerkennung der selbsternannten Volksrepubliken in der Ostukraine, antwortete Tleuberdi, dass diese Frage nicht im Raum stehe. „Wir unterstützen internationales Recht und die Prinzipien der UN“, so der Minister. Auch ein Einsatz von Friedenstruppen im Rahmen eines OVKS-Kontingents sei „praktisch unmöglich“. Hintergrund ist der Einsatz von Truppen der Organisation in Kasachstan Anfang Januar, als blutige Aufstände das Land erschütterten.

Christoph Strauch

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