Dagmar Schreiber arbeitet als Expertin für Tourismusentwicklung seit Juli 2008 in Almaty. Sie betreut im Informations- und Ressourcenzentrum Ökotourismus ein Netzwerk von ländlichen Gästehäusern in den schönsten Regionen Kasachstans. In ihrer DAZ-Serie stellt die bekennende Kasachstanfreundin lohnenswerte Reiseziele vor – dieses Mal das Naturschutzgebiet Talgar bei Almaty.
/Bild: Dagmar Schreiber. ‚In Talgar wird versucht, Naturschutz ganz plastisch zu vermitteln.’/
Die ausgestopfte Bärin sieht verblüffend lebendig aus. Das Gesicht scheint zu lächeln, fast möchte man sie streicheln. Die linke Vorderpfote ist erhoben, und angesichts der langen Krallen verebbt der Streichelwunsch dann doch. Selten kommt es vor, erzählt Alexandra Wischnjewskaja, dass Bären sich nahe der Siedlung an Vieh vergreifen. Dieses Exemplar hier versuchte es erfolgreich und wollte danach nicht wieder zur kombinierten Wildapfel-Kleinsäugerdiät zurückkehren. Man musste das Tier erschießen, nun ist es hier inmitten anderer ausgestopfter Vertreter des Tierreiches im Museum des Naturschutzgebietes Linker Talgar zu besichtigen. Das Gebiet ist die Kernzone des Nationalparks Almaty, der mit 71.700 Hektar zu den kleineren Schutzgebieten Kasachstans zählt. Es ist das Schutzgebiet mit der stärksten menschlichen Nutzung, die Belastung der Natur durch den Wochenendverkehr der Großstädter ist immens. In der Kernzone jedoch wird die Anzahl der Besucher streng limitiert. Es gilt, selten gewordene Tierarten wie Schneeleopard, Tienschan-Braunbär, Stachelschwein, Argali und Steinbock, aber auch eine einzigartige Pflanzenwelt vor übermäßigen Eingriffen in ihren Lebensraum zu schützen.
In Akku, einem Vorort von Talgar, hat die Nationalparkverwaltung ihren Sitz. Das Museum mit der gründlich und liebevoll zusammengestellten Sammlung wird uns von Irina Chomullo gezeigt. Eben waren wir in ihrem Haus in der Nachbarschaft und haben uns das winzige, gemütliche, bis unter die Decke mit Büchern, Steinen, Federn und anderen Waldmitbringseln vollgestopfte Gästezimmer angesehen. Das Zimmer ist in gedämpftes grünes Licht getaucht, das ganze Haus ist von Weinreben zugewachsen, die Ranken hängen draußen vor den Fenstern girlandengleich herab. Am liebsten wäre ich gleich eingezogen. Aber wir haben zu tun. Irina stopft uns ein paar ihrer Gartenäpfel in die Tasche und geleitet uns zu Fuß zum nächsten Gästehaus, gleich um die Ecke. In der Nachbarschaft gibt es noch eine dritte gastliche Herberge für Touristen, insgesamt können zwölf Personen in den drei Häusern übernachten, und oben im Tal des Rechten Talgar steht im Sommer noch ein kleines Jurtencamp für zwölf bis sechzehn Personen.
40 Tonnen Müll im Naturschutzgebiet
Alles steht erst am Anfang. Irina redet von „Remont“, auch im Nachbarhaus von Alexandras Sohn ist noch nicht alles fertig. Unerschrockene können jetzt schon kommen, für zwei bis vier Personen ist schon Platz. Irinas Mann Oleg war viele Jahre lang Direktor des Nationalparks, er freut sich auf Gäste und brennt darauf, ihnen sein Revier zu zeigen. Er kennt es besser als jeder andere, ist auch heute, nach der Pensionierung, ständig draußen unterwegs und wird nicht müde, Schülergruppen und andere Gäste für den Naturschutz zu begeistern.
Wir machen mit Alexandra einen Ausflug ins Tal des Rechten Talgar. Hinter dem unlängst fertig gestellten Murenschutzwall müssen wir am Schlagbaum an der Grenze des Nationalparks unser Anliegen erklären und werden dann freundlich durchgelassen. Alexandra ist unser Joker. Normalerweise müssen vor dem Besuch im Gebäude der Verwaltung ein Ticket erworben und einen Führer angeheuert werden. Man nimmt es ernst mit dem Naturschutz: Die Wege dürfen nicht verlassen werden, Feuer machen ist verboten – zu viele Waldbrände hat es in den letzten Jahren gegeben. Der Verein „Kok Dala“ hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, die Touristen durch geduldige Aufklärungsarbeit zum Einhalten der grundlegenden Naturschutzregeln zu bewegen. Nicht vom Weg abkommen, nichts abreißen, nichts wegschmeißen. Das scheint am schwersten vermittelbar zu sein, immer wieder finden wir Müll, klauben ihn auf und nehmen ihn in einer Plastiktüte mit. 40 Tonnen haben Alexandra, Irina und andere Enthusiasten vom Verein im Frühjahr am Rande der Anfahrtsstrecke zum Nationalpark gesammelt und mit LKWs abtransportieren lassen.
Après-Ski mit Apfelwein
Nach ein paar Kilometern lassen wir das Auto auf dem Gelände eines verwaisten Kinderferienlagers stehen und gehen zu Fuß flussaufwärts. Der Rechte Talgar donnert uns entgegen. Feine Tröpfchen hängen in der Luft. Wenn wir Zeit hätten, könnten wir bis zur Baumgrenze wandern und von dort einen Blick über die Matten zum Massiv des Pik Talgar werfen. Der höchste Berg des Trans-Ili-Alatau ist mit seinen Gletschern der Anfangspunkt aller Flüsse auf dieser Seite des Naturschutzgebietes. Aber wir müssen leider heute noch nach Almaty zurück und bleiben in der Mischwaldzone.
Dass Bären hier so nah an die Siedlung herankommen, hat einen guten Grund. In den Tälern wachsen noch zahlreiche Wildobstarten, darunter der seltene Siewers-Apfel. Die kleinen goldgelben und roten Früchte liegen zentnerweise unter den Bäumen, ideale Kost für die Vollfresszeit vor dem Winterschlaf der Bären. Ich finde, dass die Bären so viel gar nicht aufessen können, und stehle ihnen ein paar der winzigen Falläpfel. Sie schmecken ziemlich herb, ich verwerfe den Gedanken an einen längeren Winterschlaf auf Apfelbasis. Lieber quartiere ich mich bei Irina ein, erkunde die Talgar-Täler auf Skiern und trinke abends Apfelwein.
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Zentrale des Zentrums für Ökotourismus: Ecotourism Information Ressource Center, Almaty, Scheltoksan-Str. 71 / Ecke Gogol-Str. Tel.: +7 (727) 2 78 02 89, Fax: +7 (727) 2 79 81 46, e-mail: ecotourism.kz@mail.kz, web-site: www.eco-tourism.kz., Öffnungszeiten: Mo-Fr 09.00 – 18.00 Uhr
Dagmar Schreiber unterstützt hier im Auftrag des deutschen Centrums für internationale Migration und Entwicklung (CIM) den Aufbau von Ökotourismus-Angeboten.
Gästehäuser in Talgar: Alexandra Wischnjewskaja Tel.: +7 705 196 60 24, +7 7274 23656 oder 31050, e-mail: muflon_87@mail.ru, zapoved.68_68@mail.ru
Anreise aus Almaty: Mit dem Auto oder Vorortbus 202 vom Busbahnhof „Sajachat“ sind es nach Talgar nur ca. 25 km. Hinter dem Ortseingang die Moschee (rechterhand) passieren und dann an der ersten Ampelkreuzung nach rechts abbiegen, cirka zwei Kilometer bis Akku fahren. Das zweistöckige Gebäude der Schutzgebietsverwaltung auf der rechten Seite, wo auch Museum und Verein ihren Sitz haben, ist wegen seiner rosa Farbe nicht zu übersehen. Irina und Alexandra findet man in der zweiten Etage. Anruf vorher empfohlen.
Allgemeine Reiseinformationen: Ende Oktober 2008 ist die 3. Auflage von Dagmar Schreibers Reiseführer „Kasachstan entdecken“ erschienen.
27/02/09