Die Massenmedien der Republik berichteten schon ausführlich über den in dieser Woche stattgefunden offiziellen Besuch einer deutschen Regierungsdelegation unter der Leitung des Bundesinnenministers Jürgen Möllemann in Alma-Ata. Unsere Reportage über den Aufenthalt der hohen Repräsentanten aus Deutschland, die erst am Samstag veröffentlich wird, ist, glauben wir, nicht weniger interessant, denn wir haben zu diesem Ereignis etwa hinzuzufügen.

Der zweitätige kurzfristige Besuch der deutschen Delegation begann am 4. Februar. Im Aufenthaltsprogramm für diesen Tag standen die Verhandlungen des Bundesministers J. Möllemann mit dem Regierungschef der Republik Kasachstan, dem Ministerpräsidenten Sergej Tereschtschenko. Das Ergebnis dieses Treffens war die Unterzeichnung des Regierungsabkommens zur Entwicklung der Handels– und Wirtschaftszusammenarbeit zwischen unseren Staaten. Am Morgen des nächsten Tages besuchte Möllermann die Redaktion der „Deutschen Allgemeinen Zeitung“. Ihn begleiteten dabei der Ministerpräsident Dr. Ernst Albrecht, das Mitglied des Vorstandes der Dresdener Bank-Aktiengesellschaft Bernhard Walter, das Mitglied des Vorstandes der IWKA-Aktiengesellschaft Ernst-Ulrich Matz, der Ehrenpräsident des Bundesverbandes des deutschen Groß– und Außenhandels (BGA) Klaus Richter.

Die deutschen Gäste machten sich mit den thematischen Hauptrichtungen der Zeitung und den Arbeitsbedingungen des Kollektivs bekannt. Die DAZ befindet sich zur Zeit gleich anderen Massenmedien in einer schweren finanziellen Lage, die mit den wirtschaftlichen Reformen verbunden ist. Wenn die Frage der finanziellen Unterstützung der Zeitung im Ministerkabinett der Republik nicht positiv gelöst wird, droht der „DAZ“ eine Schließung. Um weiter zu erscheinen, braucht die Redaktion der Zeitung etwa 3,5 Millionen Rubel. Auf dem Kalender steht schon Februar, aber das Kollektiv der „DAZ“ hat bisher keine Antwort vom Ministerkabinett erhalten. Ungelöst bleibt auch die Frage der Entlohnung der Redaktionsmitarbeiter.

Eine Zeitung war und ist ein wichtiges Medium, das zur Erhaltung der Kultur, der Muttersprache, der Sitten und Gebräuche dient. In diesem Sinne bleibt die „DAZ“ eine der wenigen Quellen für die Russlanddeutschen. Mit dem Verlust der Zeitung kann das zweimillionenstarke Volk eine seiner wenigen Tribünen verlieren. Und dies kann den Glauben Tausender Russlanddeutschen an eine positive Lösung ihres Schicksals auf dem Territorium der ehemaligen UdSSR noch mehr zerstören. Dann werden immer neue und neue Vertreter dieses Volkes ihren einzigen Ausweg in der Ausreise sehen. Alle diese Besorgnisse äußerten die Mitarbeiter der Zeitung im Gespräch mit ihren Gästen aus Deutschland. Ehrlich gesagt, war das ein aufrichtiges Gespräch. In letzter Zeit besuchen die Redaktion viele Delegationen und hohe Persönlichkeiten aus Deutschland.

Sie machen sich mit unseren Problemen bekannt, versprechen jedesmal Unterstützung, aber bisher sind das nur Worte geblieben. Wir hoffen, dass der Bundesminister für Wirtschaft und die ihn begleitenden Personen unserer schwierigen Lage mehr Aufmerksamkeit schenken werden. Selbstverständlich ging es in diesem Gespräch nicht nur um unsere eigenen Probleme. Am Treffen beteiligten sich auch viele Journalisten aus Deutschland, und sie zeigten großes Interesse für das Leben und die Lebensbedingungen der Russlanddeutschen in Kasachstan und anderen Staaten der Gemeinschaft.

Der Auftritt Boris Jetzins in Saratow, die jüngsten Vorschläge des Präsidenten der Ukraine, die Ausreise der Russlanddeutschen in die BRD – all diese Fragen wurden während des 2-stündigen Gesprächs In der Redaktion behandelt. Der Bundesminister versicherte nocheinmal, dass die Grenze Deutschlands für diejenigen Russlanddeutschen, die ausreisen möchten, nie geschlossen wird. Aber die Regierung der Bundesrepublik ist gegenwärtig dazu interessiert, gute Lebensbedingungen für die Deutschen hier zu schaffen, denn in Deutschland ist wegen der zunehmenden Immigration eine gespannte soziale Lage entstanden. Während des Gesprächs mit unseren Kollegen aus Deutschland entfaltete sich eine scharfe Diskussion.

Leider mussten wir feststellen, dass die Vertreter der Massenmedien Deutschlands in ihrer Mehrheit über die Probleme der Russlanddeutschen wenig informiert sind. Sie verstehen nicht, warum viele Deutsche heute ausreisen. Wozu brauchen Sie unbedingt eine Autonomie, fragten sie uns immer. Die Kollegen sind der Meinung, dass man um die Muttersprache, die Kultur und die Gebräuche zu erhalten, nicht unbedingt eine Staatlichkeit haben muss. Warum haben die Deutschen hier so eine große Angst vor Assimilation, wollten sie wissen. Tausende Deutsche leben in Amerika, Argentinien usw. und machen daraus keine Probleme, war ihr Argument. Auf alle diese und andere Fragen haben die Mitarbeiter der Zeitung möglichst ausführlich geantwortet. An vielen Beispielen aus der Geschichte der Deutschen in der Sowjetunion, aus ihrem schweren Schicksal heraus versuchten sie, ihren Kollegen zu erklären, dass die Ursachen viel tiefer liegen.

Das Problem der Assimilierung verbinden die Journalisten Deutschlands nur mit der Bildung von Mischehen. Das sei keine schlechte Sache, meinen sie. Wir finden auch nichts Schlechtes in der Entstehung der internationalen Ehen. Aber die Kollegen können nicht begreifen, dass es sich in der Frage der Russlanddeutschen um eine ganz andere Assimilation handelt, die nicht nur infolge der Mischehen geschieht. Die Deutschen in der ehemaligen UdSSR haben bis heute keine nationalen Schulen, Hochschulen oder andere Lehr– und Kulturanstalten. Immer weniger Vertreter dieses Volkes, besonders unter den Jugendlichen, beherrschen die deutsche Sprache.

(Auszug) Deutsche Allgemeine, Nr. 6,
8. Februar 1992

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