Der Klang der deutschen Sprache in all ihrer Reinheit und Schönheit, vereint mit wehmütigen Melodien, die der russischen Seele so eigen sind – Oleg von Riesen versteht es, diese Elemente meisterhaft in seinen selbstgeschriebenen Liedern zu vereinen.

Der Musiker aus Köln schreibt und interpretiert seine Lieder aber auch auf Russisch, denn beide Sprachen existieren in seiner musikalischen Künstlerseele auf einer gleichberechtigten Ebene. Dadurch gelingt es Oleg von Riesen nicht nur, eine musikalische Liebesbrücke zwischen den beiden Sprachen und Kulturen zu schlagen, sondern auch eine Verständigungsbrücke zwischen den Menschen. Denn mit seiner Musik berührt er die Herzen der Deutschen aus Russland, die sich selbst, ihre Lebenswege und Lebenswelten in seinen Liedern erkennen, und bringt Menschen, die keine Verbindung zu unserer Kultur oder Geschichte haben, die russlanddeutsche Seele näher.

Über die Rolle der Musik in seinem Leben, sein musikalisches Schaffen und darüber, wie ihn sein Geburtsland Kasachstan prägte, erzählte Oleg von Riesen unserer DAZ-Reporterin Katharina Martin-Virolainen in einem Interview.

Oleg von Riesen
Oleg von Riesen

Herr von Riesen, welche Erinnerungen verbinden Sie mit ihrer ersten Begegnung mit Musik?

Die Musik umgab mich seit meiner Geburt. Die ersten fünf Lebensjahre verbrachte ich überwiegend bei meinen Großeltern. Sie lebten damals in Kiz, einem kleinen Ort in der Nähe von Almaty. Meine Großeltern waren sehr musikalisch und beide Musik- und Deutschlehrer von Beruf. Also war die Musik in meiner Familie stets präsent.

Die allererste Erinnerung an meine ersten Musikversuche geht in die frühe Kindheit zurück: Meine Großeltern und ich waren bei Freunden in Almaty zu Besuch. Nachdem die Erwachsenen sich genug ausgetauscht hatten, wurde gemeinsam musiziert. Meine Großeltern drückten mir eine Mandoline in die Hand, und in meiner kindlichen Euphorie versuchte ich mitzuspielen, den Takt zu treffen und mit ihnen im Einklang zu sein. Es kann viel bewirken, wenn man Kinder am Schaffen von Musik beteiligt, ihnen die Möglichkeit gibt, sich auszuprobieren, und sie an die Musik heranführt.

Sie spielen Gitarre und Klavier: Welches Instrument haben Sie zuerst gelernt?

Nachdem ich eingeschult worden war, wurde ich parallel an der örtlichen Musikschule für die Klavierklasse angemeldet. Das war in meiner Heimatstadt Schtschutschinsk, im Norden Kasachstans. Bei der Anmeldung wurden alle Kinder geprüft: Ob sie den Takt fühlten, diesen nachklatschen konnten, ob sie überhaupt ein musikalisches Gehör hatten. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ich sehr geweint habe. Aus irgendeinem Grund dachte ich, ich hätte die Aufnahmeprüfung nicht bestanden. Doch ich wurde angenommen!

Eines Tages bekamen wir die Aufgabe, eine Melodie zu komponieren. Ich war zunächst entsetzt, denn damals galt für mich das Beherrschen eines Instruments bereits als die höchste Stufe, und nun musste ich auch noch komponieren! Aber ich habe diese Aufgabe gemeistert. Dieses Erfolgserlebnis sorgte bei mir für einen Aha!-Effekt: „Wenn ich es versuche, kann ich es schaffen!“

Daher denke ich, dass es für die Entwicklung eines Kindes sehr wichtig ist, seine Talente zu erkennen, diese zu fördern, und das Kind auch mal herauszufordern, damit es selbst seine Stärken erkennt.

Haben Sie also bereits als Kind komponiert?

Diese Aha!-Erlebnisse, die meine Großeltern und meine Musiklehrer in mir erzeugten, hatten eine lange Zeit in mir geschlafen. Ich durchlief unterschiedliche Entwicklungsphasen. In der Kindheit und Jugend ist man viel mit Schule und Freunden beschäftigt. Erst in Deutschland habe ich mit dem Komponieren begonnen.

Wie alt waren Sie da?

Wir kamen nach Deutschland am 3. September 1993. Am 4. September wurde ich 19 Jahre alt. Schnell stellte ich fest, wie sehr mir das Gitarrenspiel fehlte. In Kasachstan empfand ich das Gitarrenspiel meiner Freunde als etwas Selbstverständliches und hatte nie den Drang verspürt, es selbst zu lernen. Es genügte mir, ihnen zuzuhören. Doch in Deutschland fehlte es mir plötzlich sehr, also beschloss ich, Gitarre zu lernen. Der Klang und die Spieltechnik sind zwar anders als beim Klavier, doch da ich etwas von Musiktheorie verstand, erleichterte es mir den Lernprozess. Das theoretische Wissen aus der Musikschule war für mich sozusagen der Schlüssel zum Erlernen des Gitarrenspiels.

Sie schreiben in beiden Sprachen. Wann haben Sie angefangen, auf Deutsch zu schreiben? Und gibt es für Sie persönlich einen Unterschied, wenn sie auf Deutsch oder auf Russisch schreiben und interpretieren?

Anfangs dominierte die russische Sprache. Als ich zum Literaturkreis der Deutschen aus Russland kam, lernte ich viele neue Menschen kennen und war sehr angetan davon, dass sie auf Deutsch schrieben. Also habe ich mich selbst dazu bewegt, Texte in deutscher Sprache zu verfassen. Anfangs verhielten sich die russischen Texte zu deutschen etwa 80 zu 20. Doch mittlerweile bin ich soweit gereift, dass beide Sprachen in meiner Musik gleichberechtigt existieren.

Letztens kam jemand auf mich zu und sagte: „Sogar wenn du auf Deutsch singst, hört es sich so an, als würdest du auf Russisch singen!“ Vielleicht liegt es daran, dass ich versuche, diese Emotionalität und all das, was die sogenannte russische Seele ausmacht, in deutschsprachige Lieder zu integrieren. Die deutschen, allgemein die westlichen Melodien, klingen etwas anders als die russischen. Vermutlich macht es sich in meinen Liedern bemerkbar: Sie sind etwas „russisch angehaucht“, denn meine musikalischen Wurzeln liegen in der russischen Musiktradition. In letzter Zeit singe ich sehr viel auf Deutsch, doch es fühlt sich für mich genauso an, wie wenn ich auf Russisch singen würde.

Gibt es eine Botschaft, die Sie durch Ihre Musik vermitteln möchten?

Die heutige Welt ist sehr materialistisch geprägt. Wir sind ständig von Werbung umgeben und somit findet leider eine Verschiebung der Werte statt: Eine teure Uhr oder ein schickes Auto werden höher gestellt, als zum Beispiel die Fähigkeit, ein Instrument spielen oder Gedichte rezitieren zu können. Wenn wir unsere Schätze nur in dem Materiellen sehen, wo kommen wir dann hin? Was ist mit unserer Kultur, mit der Kunst, mit der Musik? Das Schöne im Leben des Menschen beflügelt. Wir sollten uns immer wieder vor Augen halten, was unsere menschlichen Werte ausmacht. Das ist etwas, was ich in meinen Texten ansprechen möchte: Die menschlichen Werte, die seelische Tiefe und das wirklich Schöne am Leben.

Welche Rolle spielt Ihr Geburtsland Kasachstan für Sie als Mensch und Künstler?

Wie ich bereits erwähnt habe, verbrachte ich die ersten Lebensjahre überwiegend bei meinen Großeltern in Kiz. Dort haben sie diverse Theatergruppen, Chöre und Ensembles geleitet. Sie waren immer mit Leidenschaft bei dieser Aufgabe dabei, haben viel für die musikalische Entwicklung der Kinder geleistet, und waren immer bestrebt, ihnen das Beste zu geben. Ich habe ihr Engagement mit meinen kindlichen Augen beobachtet und begeistert aufgenommen.

Doch mich haben nicht nur die Erlebnisse und die Menschen geprägt, sondern alles, was mich umgab: Die traumhafte Umgebung von Kiz, die faszinierende Bergkulisse von Almaty, die betörenden Düfte, die Wärme Kasachstans, der Geschmack der Obstfrüchte. Aber auch meine Heimatstadt Schtschutschinsk und der Kurort Borowoje samt den Legenden, die mich als Kind und Jugendlichen faszinierten, haben einen festen Platz in meinem Herzen. Dort entstand eine tiefe Verbindung zu dieser atemberaubenden Natur, umwogen von Sagen und Mythen. Deutschland hat ebenfalls sehr schöne Ecken, doch vielleicht fehlt mir hier ausgerechnet diese einzigartige Schönheit der Landschaft. Kasachstan bleibt immer ein Teil von mir, denn dort wurde der Grundstein für mein Bewusstsein und meine Entwicklung als Mensch und Musiker gelegt.

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