Osch ist die zweitgrößte Stadt Kirgisistans. Einst Knotenpunkt der alten Seidenstraße machte der Ort zuletzt im Jahr 2010 aufgrund der ethnischen Zusammenstöße zwischen Usbeken und Kirgisen Schlagzeilen. Unseren Autor hat es aber vor allem den größten Basar Zentralasiens gezogen – und ist dessen Charme verfallen.
Es ist ein kühler, grauer Herbstabend, Schneefall ist angekündigt. Ich sitze am Flughafen von Bischkek und warte auf den Einstieg. Die Fluglinie trägt, ebenso wie der Flughafen, den Namen des kirgisischen Volkshelden Manas, dessen Taten in einem gleichnamigen Epos mit über 500.000 Versen besungen werden. „Air Manas“ fliegt allerdings lediglich ein einziges Flugziel an: Osch am östlichen Ende des Ferghanatals. Einige alte Kirgisen mit Kalpaks, den hochstehenden kirgisischen Filzmützen, warten mit mir.
Es gibt einige Turbulenzen auf dem nicht einmal 45-minütigen Flug. Ich fliege in der Nacht und kann nicht erkennen, wie sich unter mir hohe, wilde, schneebedeckte Gebirgspässe und tiefe Schluchten auftun. Es gibt zwischen der kirgisischen Hauptstadt und dem Ferghanatal lediglich eine einzige Straßenverbindung, für die selbst bei guten Verhältnissen kaum weniger als 12 Stunden Fahrt nötig sind. Im Winter allerdings ist die 600 Kilometer lange Strecke in das abgelegene, zerklüftete Tal unvergleichlich schwerer und gefährlicher zu passieren. Die Passstraße wird bei starkem Schneefall gesperrt, dann ist Osch vom Norden Kirgisistans abgeschnitten und auf dem Landweg nur noch von der usbekischen oder tadschikischen Seite des Tals erreichbar.
Am nächsten Morgen erblicke ich im kalten grauen Morgennebel den Suleiman-Too. Es nieselt leicht. Es ist ein mystischer Anblick, die schroffen, groben Felswände entlang. Die Stadt Osch hat sich am Fuße des Suleiman-Berges ausgebreitet. Der Ort ist geografisch und religiös von großer Bedeutung für die Region, Menschen siedelten hier schon vor 3000 Jahren. Angeblich markiert der schroffe Felsen im Zentrum der Stadt die geographische Mitte der legendären Seidenstraße von Europa nach China. Daneben ist der Berg für zahlreiche Rituale bekannt: Steinzeitliche Petroglyphen und kultische Stätten finden sich auf seinen Hängen ebenso wie islamische Pilgerplätze, Moscheen und Mausoleen. Die Lage der Stadt auf den Handelsrouten der Seidenstraßen brachten allerlei verschiedene Kulturen, aber auch geheimnisvolle Geschichten und Legenden zu diesem Berg.
Denkt man an die Seidenstraße, kommen einem allerhand exotische Bilder in den Kopf – von Minaretten, blauen Kuppeln, Kamelen oder dem bunten Chaos aus Kunst und Kultur aus aller Welt auf orientalischen Marktplätzen. Seidenstraßen-Folklore, die heute die alten Karawanenstädte wie Samarkand, Buchara oder auch Istanbul für den westlichen Reisenden bedienen. Osch allerdings ist auch aufgrund seiner Abgeschiedenheit kaum touristisch erschlossen. Ich will den Basar besichtigen, es soll der größte in Zentralasien sein.
Der Markt wirkt wild zusammengewürfelt, aus einer Unzahl von improvisierten Bretterbuden. Es herrscht Lärm und Hektik. Zahlreiche Händler preisen reich verzierte usbekische Brote, frisch zerhacktes Fleisch, Klamottenimitate, bunte Süßigkeiten oder Zigarettenstangen an. Ein Fleischhändler lächelt freundlich und streckt den Daumen nach oben, als ich die rohen Fleischbrocken fotografiere, die vor seiner kleinen, verrosteten Bude am Haken hängen. Direkt um die Ecke bietet mir eine junge Frau unzählige Wodkasorten an und will mich überreden, in ihren Laden zu kommen. Ich allerdings bleibe an einer kleinen Imbissstube hängen. Von dem wackeligen Schaschlikgrill vor der Türe steigen Rauchschwaden nach oben, daneben klatscht ein faltiger Mann gekonnt Teigfladen an die Innenwände eines schweren, runden Holzofens. Ich beschließe, mich hier zu stärken.
Ich bestelle zwei Spieße Ljulja-Kebab (Schaschlik aus Hammel-Hackfleisch), und frische Samsa (mit Fleisch gefüllte Teigtaschen) aus dem runden Tandyr-Ofen vor der Türe. Straßenlärm und Geschrei dringen von draußen durch die Türe in die kleine Stube, in der es fürchterlich zieht. In der Ecke sitzen zwei Kirgisen mit Kalpaks auf klapprigen Hockern. Wir beobachten uns gegenseitig, während ich mein Schaschlik aufesse.
Es ist Nacht geworden, starker Schneefall hat eingesetzt. Ich sitze wieder in der kleinen Maschine der „Air Manas“ zurück nach Bischkek. Mir flimmern die bunten Bilder des Basars und der Anblick des in grauen Wolken gehüllten, mystischen Suleiman-Too vor den Augen, der Geruch des Schaschlikgrills liegt noch in der Nase und der Geschmack des Hammelfleischs auf der Zunge. Ich habe den Eindruck, dass ich gerade eben hier in diesem abgeschiedenen, fremden Osch, in der Mitte der Seidenstraße, so etwas wie das echte Zentralasien gesehen habe.