Die kasachische Sprache ist eine der ältesten Turksprachen mit einer reichen Geschichte und einem vielfältigen kulturellen Erbe. Im Laufe der Jahrhunderte hat sie sich unter dem Einfluss verschiedener Faktoren, wie der nomadischen Lebensweise der Kasachinnen und Kasachen, ihren Kontakten mit Nachbarvölkern und regionalen Besonderheiten, entwickelt. Dies hat zur Entstehung zahlreicher Dialekte geführt, die sich in Phonetik, Wortschatz und Grammatik voneinander unterscheiden.
Traditionell gibt es in Kasachstan drei große Dialekte: den westlichen, den südlichen und den nordöstlichen. Diese Dialekte haben sich unter dem Einfluss der Migration, der wirtschaftlichen Beziehungen und der historischen Interaktion mit den Nachbarvölkern gebildet. So hat beispielsweise der westliche Dialekt Elemente des Nogai-Kiptschakischen und des Tatarischen aufgenommen, der südliche Dialekt wurde vom Usbekischen beeinflusst, und der nordöstliche Dialekt hat Verbindungen zum Karakalpakischen und Kirgisischen behalten.
Beispiele für lexikalische Unterschiede:
• „Zucker“ wird in der Literaturnorm „kant“ genannt, in den westlichen Regionen wird dieses Wort jedoch durch „sheker“ ersetzt.
• „Sonnenblumenkerne“ heißen in der Mitte des Landes „shemishke“, aber in den südlichen Regionen wird das Wort „piste“ verwendet und im Westen „shemeki“.
• eine traditionell aus Holz gefertigte „Schöpfkelle“ kann in einem Teil des Landes „ozhau“ heißen, in einem anderen „shemish“ oder sogar „bakyrash“ im Norden.
Drei große Dialekte
Der westliche Dialekt, der unter den Kasachen des Jüngeren Juz weit verbreitet ist, zeichnet sich durch Besonderheiten bei der Aussprache von Konsonanten und der Verwendung bestimmter Wörter aus. So hat dieser Dialekt oft eine „härtere“ Sprechweise. In den westlichen Regionen sagt man zum Beispiel statt des üblichen „qazir“ (jetzt) oft „әzir“. Es gibt auch Wörter, die in der Schriftsprache praktisch nicht verwendet werden, wie z. B. „shayit“ anstelle von „shay“.
Interessanterweise sind viele Wörter des westlichen Dialekts alten Ursprungs und haben Formen beibehalten, die dem Alttürkischen nahestehen. Aufgrund der Nähe zu Russland ist jedoch auch in den westlichen Regionen eine erhebliche Anzahl von Russizismen zu beobachten. So kann beispielsweise das Wort „kolik“ (Transport) durch das russische entlehnte Wort „maschina“ ersetzt werden.
Der südliche Dialekt ist unter dem Einfluss enger Kontakte mit Usbeken, Tadschiken und anderen zentralasiatischen Völkern entstanden. Daher sind Entlehnungen aus dem Usbekischen und dem Tadschikischen in ihm weit verbreitet. Zum Beispiel sagt man statt „apa“ (Mutter) oft „ona“, was eine Entlehnung aus dem Usbekischen ist.
Eine Besonderheit des südlichen Dialekts ist auch die Verwendung von archaischen Wörtern und Ausdrücken, die in der Schriftsprache längst nicht mehr gebräuchlich sind. In den südlichen Regionen hört man häufig Wörter wie „sarpai“ (Geschenk) und „mazir“ (Essen), die in anderen Regionen entweder nicht verwendet werden oder eine andere Bedeutung haben.
Der nordöstliche Dialekt ist der kasachischen Schriftsprache am nächsten. Das liegt daran, dass sich die literarische Norm auf der Grundlage der Sprache der Kasachen des mittleren Juz gebildet hat. Allerdings gibt es auch hier Eigenheiten. So hört man in den nördlichen Regionen oft Russizismen wie „oklad“ statt „zhalaky“ (Gehalt) oder „pilit‘“ statt „aralau“ (Holz sägen).
Kasachisch außerhalb Kasachstans
Die außerhalb Kasachstans lebende kasachische Diaspora spielt eine wichtige Rolle bei der Erhaltung und Verbreitung der Sprache. Die größten kasachischen Gemeinschaften gibt es in China, der Mongolei, Russland und Usbekistan. In jeder dieser Regionen hat sich die Sprache unter anderen Bedingungen als in Kasachstan entwickelt, was zur Herausbildung einer lokalen Umgangssprache mit einzigartigen Merkmalen geführt hat.
Die Kasachen in China, die hauptsächlich in der autonomen Region Xinjiang, die dort gemeinsam mit der turksprachigen Minderheit der Uiguren leben, haben alte Formen der kasachischen Sprache bewahrt. Im Gegensatz zum literarischen Kasachisch findet man in ihrer Sprache Archaismen, die in Kasachstan längst nicht mehr gebräuchlich sind. Außerdem wurde die kasachische Sprache in China stark von der uigurischen Sprache beeinflusst, was sich auf den Wortschatz und die Aussprache ausgewirkt hat.
Die Kasachen in der Mongolei leben hauptsächlich in der Region Bayan-Өlgyi. Ihre Sprache zeichnet sich durch eine große Anzahl von Lehnwörtern aus der mongolischen Sprache aus. Interessanterweise verwenden die Kasachen in der Mongolei das kyrillische Alphabet, aber das Alphabet, in dem sie schreiben, hat seine eigenen Besonderheiten. So enthält ihr Alphabet beispielsweise Buchstaben, die im kasachischen kyrillischen Alphabet nicht vorkommen.
Die in Russland lebenden Kasachen, vor allem in den Regionen Astrachan, Omsk und Orenburg, haben den westlichen Dialekt der kasachischen Sprache bewahrt, der sich im Zusammenspiel mit der russischen Sprache gebildet hat. In der Sprache der Astrachan-Kasachen findet man viele Russizismen und einige Wörter haben neue Bedeutungen erhalten, die sich von ihrem Gebrauch in Kasachstan unterscheiden.
In Usbekistan, insbesondere in den Grenzgebieten zu Kasachstan, lebt eine große Zahl von Kasachen. Ihre Sprache wurde stark vom Usbekischen beeinflusst, was sich in Entlehnungen und phonetischen Merkmalen niederschlägt. Usbekische Wörter und Ausdrücke des täglichen Lebens finden sich häufig in der Sprache der Kasachen Usbekistans wieder.
Ähnlichkeiten zu deutschen Dialekten sichtbar
Es ist interessant festzustellen, dass die Situation der Dialekte der kasachischen Sprache in vielerlei Hinsicht der Dialektvielfalt der deutschen Sprache ähnelt. Ähnlich wie in Kasachstan haben sich die Dialekte aufgrund der unterschiedlichen germanischen Stämme herausgebildet. Damals kam es zu sogenannten „Lautverschiebungen“, die die Regionalsprachen in unterschiedlichem Maße erfassten und veränderten. Daher haben heute Dialekte wie Bairisch, Sächsisch, Schwäbisch und andere ihre eigenen Besonderheiten, die sich teilweise erheblich vom Hochdeutschen unterscheiden können.
Wie in Kasachstan haben sich auch in Deutschland die Dialekte aufgrund lokaler Traditionen und kultureller Besonderheiten der Regionen erhalten. In einigen Fällen können Sprecher von Dialekten aus verschiedenen Regionen Schwierigkeiten bei der gegenseitigen Verständigung haben, obwohl die Standardsprache die Kommunikation auf nationaler Ebene gewährleistet.
Eine weitere wichtige Gemeinsamkeit ist der Einfluss der Nachbarsprachen auf die Dialekte. In den südlichen Regionen Deutschlands, die an Österreich und die Schweiz grenzen, wurden die Dialekte beispielsweise durch österreichische und schweizerische Varianten des Deutschen beeinflusst, was dem Einfluss von Usbekisch und Russisch auf die kasachischen Dialekte in den Grenzregionen Kasachstans ähnelt.
Dialekte als wichtiger Teil des kulturellen Erbes
Die dialektale Vielfalt der kasachischen Sprache ist ein wichtiger Teil des kulturellen Erbes des Landes. Sie spiegelt die reiche Geschichte des kasachischen Volkes, die geografische Lage der kasachischen Siedlungsräume und die vielfältigen Beziehungen der Kasachen zu anderen Völkern und Nationen wider. Die Erhaltung und Erforschung der Dialekte ist von großer Bedeutung für die Wahrung der nationalen Identität und die Weitergabe kultureller Werte an künftige Generationen.
Darüber hinaus spielen die Dialekte eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung der Sprache und bereichern sie mit neuen Wörtern, Ausdrücken und Formen. Dies macht das Kasachische zu einer lebendigen und sich weiterentwickelnden Sprache, was im Kontext der Globalisierung besonders wichtig ist. Der Vergleich mit dem Deutschen zeigt, dass die Dialektvielfalt ein weltweites Phänomen ist, das für viele Sprachen charakteristisch ist, und dass ihre Erhaltung zur kulturellen Vielfalt und zum gegenseitigen Verständnis zwischen den Völkern beiträgt.
Ruslan Mussirep
Übersetzung: Annabel Rosin.