Es ist Mitte August, die sommerlichen Temperaturen erreichen inzwischen jeden Tag Höchstwerte in Westeuropa. In Zentralasien ist man an Temperaturen jenseits der 35 Grad eher gewöhnt, aber auch hier genießt man die lauen Sommerabende, wenn die Hitze etwas nachlässt. Wer diese Tage entweder im Büro unter der Klimaanlage, oder noch schlimmer, in einem Beruf draußen auf der Straße verbringen muss, freut sich darauf, sich zu später Stunde noch einmal mit Familie und Freunden zu treffen, zusammen unter freiem Himmel zu essen und zu trinken. In Amerika nennt man diesen Anlass zum geselligen Beisammensein Barbecue, die Deutschen jedoch gelten als die heimlichen Könige des Grills. Das Grillen in freundschaftlicher Runde von Bratwurst, Steaks und Fleischspießen scheint in der DNA der Deutschen zu stecken.

Als Nationalgericht der Kasachen wiederum gilt Beschbarmak, traditionell im großen Topf gegartes Hammel- oder Pferdefleisch auf gekochten Nudelteigplatten, Kartoffeln, Karotten und Zwiebeln. Auch usbekischer Plow, uigurisches Lagman oder diverse andere zentralasiatische oder chinesische Speisen werden in Almaty gerne und oft gegessen. Doch vermutlich wird man auf den Straßen Almatys und in den Imbissbuden anderer Städte Kasachstans nichts so oft finden wie Schaschlik. Die Schaschlikgrills brennen bis spät in die Nacht, Schwaden aus aromatischem, rauchigem Grilldunst hängen über den Vierteln der Stadt, an gefühlt jeder Ecke wird man fündig nach den beliebten Fleischspießen. Der Kartendienst 2Gis spuckt nach der Suchanfrage für Schaschlik alleine für die Stadt Almaty ganze 790 Suchergebnisse mit Einkehrmöglichkeiten aus. Doch auch dieses Ergebnis dürfte noch weit unter den tatsächlich existierenden Schaschliklokalen in und rund um die Stadt liegen. Gerade an den Ausfallstraßen, auf den Basaren und Märkten, an den verschiedenen Bahnhöfen und Busstationen der Stadt findet man zahlreiche kleine, unscheinbare Grillbuden, die Schaschlik für wenig Geld und als schnellen Snack für zwischendurch anbieten.

Siegeszug in der Sowjetunion

In den Turksprachen wird der Spieß „Schisch“ genannt, und in den Ländern des Mittelmeerraums ist das Schisch-Kebab damals wie heute ein bedeutender Teil der regionalen Küche. Vermutlich waren es die Zaporoscher und Krimtataren, die diese Form des Grillfleisches im 18. Jahrhundert mit in das Russische Reich brachten, wo es insbesondere im Kaukasus zum Teil der Esskultur wurde. Nach Moskau und Sankt Petersburg kamen die Fleischspieße erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts, bevor sie sich in den frühen Jahren der Sowjetunion bis in die 1920er Jahre in ganz Russland durchsetzen konnten. Die relativ einfache Zubereitungsart, bei der Lammfleisch mit Fettstücken in einer sauer-scharfen Marinade aus Gewürzen, Essig und Zwiebeln eingelegt und dann auf offener Flamme gegrillt wird, hat sicher zum Siegeszug in den Jahren der Sowjetunion beigetragen. Schaschlik konnte sich so allerdings auch in den muslimisch geprägten Teilen der Sowjetunion mit seinen speziellen lokalen Präferenzen etablieren.

Inzwischen bestehen die Schaschlikspieße nicht zwingendermaßen nur noch aus Lammfleisch. Es gibt heute eine gewaltige Vielzahl an unterschiedlichen Variationen. Beliebt ist Schaschlik aus Hühnerfilet oder Hühnerflügeln, Filet der Ente, verschiedenen Innereien oder das aus Aserbaidschan stammende Lulja-Kebab, eine Hackfleisch-Variation. Auch ganze Forellen am Spieß oder vegetarische Grillspieße sind je nach Region nicht selten. In Zentralasien seltener anzutreffen ist Schweinefleisch, was eher in Russland und dem Südkaukasus beliebt ist. Generell können die regionalen Unterschiede, was die Zubereitung angeht, groß sein. Im Kaukasus sind die Fleischwürfel am Spieß groß, saftig und sättigend, so dass man selbst mit gutem Hunger von maximal einem bis zwei Spießen satt wird. In Kasachstan haben die Fleischportionen eher durchschnittliche Größe. In Turkestan und den Ländern am südlichen Rand der ehemaligen Sowjetunion sind die Fleischspieße wiederum traditionell sehr klein und man kann durchaus gleich eine ganze Reihe der Spieße essen, um satt zu werden. Im Allgemeinen kennt allerdings jede Region und jeder Koch ein eigenes Rezept, welches oftmals über die Generationen weitergegeben wurde. Jedes Schaschlik schmeckt anders, einzigartig und für sich genommen lecker.

Ein Relikt aus alten Tagen

Überall gleich ist allerdings die Zubereitung der Spieße auf dem sogenannten Mangal-Grill. Das Wort „Manqal“ stammt aus dem Arabischen und bedeutet so viel wie „transportabel“. Beduinen haben auf ihren Reisen durch die Wüste transportable Mangals verwendet, um ihre Zelte an den kalten Wüstenabenden aufzuheizen. Die heutigen Mangal-Grills sind ebenso mobil, womit sie sich natürlich für Camping oder Picknick-Ausflüge in die Natur eignen. In den größeren Schaschlikrestaurants werden heute allerdings stationäre, weit größere Grills verwendet.

Noch bis vor einigen Jahren gab es aber zumindest in Kasachstan eine Besonderheit beim Grillen der Schaschlikspieße: Es wurde mit dem Holz des Saxaul-Strauches gegrillt. Dieser wild in sich verdrehte Strauch ist in den Steppen zwischen dem Kaspischen Meer in Westkasachstan und der Wüste Gobi in der Mongolei zu finden. Das Fleisch, welches darauf zubereitet wird, zeichnet sich durch eine besonders rauchige, würzige Note aus. Früher wurde jeder Grill in Almaty mit diesem Holz angeheizt und hüllte ganze Straßenzüge der Stadt in seinen ganz charakteristischen Dunst. Dies ist allerdings inzwischen Vergangenheit, Kasachstan hat die Abholzung des Saxaul und die Verwendung zum Grillen und Heizen verboten. Die Pflanze steht heute unter besonderem Naturschutz, da sie wesentlich zur Vegetation der Steppenregionen beiträgt. Saxaul tritt häufig in kleinen Wäldern auf und trägt durch seinen geringen Wasserverbrauch und sein Wurzelwerk wesentlich zur Bodenbefestigung und damit zum Kampf gegen die fortschreitende Desertifikation bei. Eine gute Sache für die Natur und Umwelt Kasachstans sowie im Kampf gegen den globalen Klimawandel. Dieser ganz besondere, eigene Geschmack des Schaschliks allerdings, der durch das Raucharoma des Saxaul ausgelöst wird, ist damit endgültig ein Relikt aus vergangenen Tagen.

Das kasachische Street-Food Nr. 1

Dem Siegeszug des Schaschliks in Almaty tut dies keinen Abbruch. Nicht umsonst ist jene Straße, die hoch zum Großen Almatiner See führt, in der Bevölkerung bereits seit langem als „Shashlyk Street“ bekannt. Auch wer sich aus dem Stadtzentrum heraustraut und sich jenseits der Rayimbek-Straße in Richtung des Bahnhofs Almaty-1 bewegt, wird verwundert sein, wie viele auf Schaschlik spezialisierte Lokalitäten sich hier aneinanderreihen. Dabei reicht die Bandbreite von einem einfachen Straßengrill an der Hausecke bis hin zu noblen, edel ausgestatteten Restaurants, in denen sich auch Hochzeiten und andere Jubiläen feiern lassen könnten. Dies allerdings wird dem Geist des Schaschliks nicht gerecht. Besser und authentischer lässt sich in den einfachen und günstigen Cafés speisen, die man über die ganze Stadt verteilt finden kann. Und am besten bleibt man auch beim Klassiker, dem Lammspieß. Als Beilage reicht frisches, zentralasiatisches Fladenbrot, Zwiebeln in rauen Mengen und georgische rote Schaschliksauce. Wer mag, kann sein Fleisch auch noch mit ein paar Tropfen scharf gewürztem Essig verfeinern, der auf jedem Tisch bereitsteht. Mehr braucht es nicht für eine schmackhafte und reichhaltige Mahlzeit.

Übrigens sind verschiedene Abwandlungen von gegrillten Fleischspießen in den Esskulturen weltweit von Südamerika bis Japan bekannt, eine südafrikanische Variante wird Sosatie genannt, das japanische Pendant heißt Yakitori. In Deutschland kennt man Schaschlik eher als Gericht der Russlanddeutschen und Spätaussiedler, die es in den 1990er Jahren auf ihrem Weg aus Russland oder Kasachstan mit nach Deutschland brachten. Auch wenn das Schaschlik ursprünglich keine zentralasiatische Spezialität ist und man definitiv in Almaty auch Beschbarmak, Lagman und Plow probieren muss, ist Schaschlik heute zu einem festen Bestandteil der zentralasiatischen Esskultur und des Almatiner Alltags geworden. Ohne die Fleischspieße hält es hier keiner lange aus. Und so ist vielleicht das eigentlich immer und überall verfügbare Schaschlik in seinen endlosen verschiedenen Variationen das eigentliche kasachische Street-Food Nr. 1. Ein Ende dieses Siegeszuges ist selbst trotz Burger, Pizza, Pasta und anderen westlichen Fast-Food-Trends bislang nicht abzusehen.

Philipp Dippl

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