Unter diesem Titel fand in der Bildungs- und Begegnungsstätte „Der Heiligenhof“ in Bad Kissingen eine dreitägige überregionale Fachtagung statt, die vom Bayerischen Kulturzentrums der Deutschen aus Russland (BKDR, Nürnberg) konzipiert und mitorganisiert wurde.

Die Bildungs- und Begegnungsstätte „Der Heiligenhof“ wird von der Stiftung Sudetendeutsches Sozial- und Bildungswerk getragen. Die kulturellen Beiträge der besagten Tagung wurden durch das Kulturzentrum BKDR gefördert und ermöglicht. Die Landsmannschaft der Deutschen aus Russland (LmDR) präsentierte in diesem Rahmen ihre Wanderausstellung über die Geschichte der Deutschen aus Russland und anderen Ländern der ehemaligen Sowjetunion.

Symbolischer Ort der Begegnung

Die weltbekannte bayerische Kurstadt Bad Kissingen mit ihren sieben Heilquellen für Trink- und Badekuren ist für viele Russlanddeutsche zur neuen Heimat geworden: Rund zehn Prozent der Bevölkerung sind hier Spätaussiedler.

Auch einige berühmte Künstler russlanddeutscher Herkunft waren in Bad Kissingen zu Gast oder haben hier gewirkt – darunter Swjatoslaw Richter, Alfred Schnittke und viele andere. Für Liebhaber klassischer Musik bietet die Stadt regelmäßig kulturelle Höhepunkte wie das Festival „Kissinger Sommer“.

Erster Abend – der Auftakt

Die Fachtagung war ein Ereignis von großer Bedeutung für die Deutschen aus dem postsowjetischen Raum – Teilnehmer waren aus dem gesamten Bundesgebiet angereist. Schon am ersten Abend füllte sich der Tagungsraum bis auf den letzten Platz; das Interesse war überwältigend.

„Im vergangenen Jahr widmeten wir uns den Wolgadeutschen, diesmal stehen die Schwarzmeerdeutschen im Mittelpunkt“, erklärte Waldemar Eisenbraun, Geschäftsleiter des BKDR. „Für unser Kulturzentrum war es wichtig, interessierte Menschen durch ein ansprechendes Programm zusammenzubringen.

Wir danken dem ,Heiligenhof‘ für die erneute Kooperation und die Bereitschaft, die von uns vorgeschlagenen Referenten einzubinden.“

Gustav Binder, Studienleiter am Heiligenhofs, eröffnete die Tagung mit einer Begrüßung und einer Kurzvorstellung der Bildungsstätte. In herbstlich geschmückter Atmosphäre hieß er über 60 Teilnehmende und Mitwirkende willkommen.

Die junge Schriftstellerin, Journalistin und Aktivistin Katharina Martin-Virolainen aus Eppingen erzählte, wie die Geschichte ihrer Familie – von Schytomyr bis in die kasachische Steppe – ihr literarisches Schaffen geprägt hat. In ihren Büchern bewahrt sie die Erinnerungen ihrer Vorfahren. Anschließend las sie Passagen aus ihrem Roman „Die Stille bei Neu-Landau“, begleitet vom Musiker Oleg von Riesen. Der Abend endete mit einer angeregten Diskussion und einem lebhaften Meinungsaustausch.

Ein Blick in die Geschichte

Die Schwarzmeerdeutschen bilden eine besondere Gruppe innerhalb der Russlanddeutschen, die sich in mehrfacher Hinsicht von den Wolgadeutschen unterscheidet. Dr. Viktor Krieger, Historiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter des BKDR mit Sitz Nürnberg, zeichnete in seinem Vortrag den Auswanderungsweg der deutschen Siedler von Süddeutschland bis nach Odessa nach.

Zwischen dem späten 18. und frühen

19. Jahrhundert ließen sich Deutsche – vor allem aus Süddeutschland – in den südlichen Regionen des Russischen Reiches nieder: in der heutigen Südukraine (Gebiete Odessa, Mykolajiw, Cherson), in Teilen Moldawiens und des Südens Russlands.

Nach den Siegen Russlands über das Osmanische Reich und der Eingliederung der Schwarzmeergebiete in das Zarenreich lud Katharina II. – später auch Alexander I. – europäische Siedler ein, um die eroberten Gebiete zu bewirtschaften und zu entwickeln. Die Kolonisten erhielten Land, Steuerbefreiungen und wurden vom Militärdienst befreit. Ziel war allerdings nicht nur der wirtschaftliche Aufbau, sondern auch die Sicherung der neuen Grenzen.

Die Deutschen gründeten zahlreiche Dörfer entlang des Dnipro, des Dnjestr, am Asowschen Meer und auf der Halbinsel Krim. Sie betrieben Landwirtschaft, Weinbau und Handwerk – und ihre Höfe galten als vorbildlich organisiert und ertragreich. Parallel dazu errichteten sie Schulen und Kirchen, vor allem evangelisch-lutherische und mennonitische, und pflegten die deutsche Sprache und Traditionen.

Politik und Identität

Über Totalitarismus, Identität und die Darstellung der Schwarzmeerdeutschen in der modernen Literatur sprach Edwin Warkentin, Kulturreferent für Russlanddeutsche am Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte in Detmold.

Peter Aifeld aus Bayreuth berichtete detailreich über deutsche Kolonien in der Region Mariupol. Johannes Dyck, ebenfalls aus Detmold, widmete sich in seinem Vortrag der religiösen Situation der Mennoniten in den ersten Jahren der Sowjetmacht.

Ebenfalls spannend war der Vortrag von Peter Harder aus Würzburg, der die Darstellung der Krimdeutschen in der Reiseliteratur des 19. Jahrhunderts untersuchte.

Nach der russischen Revolution von 1917 mussten die Schwarzmeerdeutschen schwere Zeiten durchstehen – Bürgerkrieg, Kollektivierung, Repressionen.

Mit der Ausweitung des Zweiten Weltkrieges auf die Sowjetunion wurden nahezu alle Deutschen der UdSSR – auch die Schwarzmeerdeutschen – als „unzuverlässige Elemente“ nach Sibirien und Kasachstan deportiert. Die meisten von ihnen durften später nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren. In den 1980er–1990er Jahren wanderten zahlreiche Familien nach Deutschland und Kanada aus.

Erinnerung über Kontinente hinweg

Wie bereits erwähnt, sind etwa zehn Prozent der Einwohner Bad Kissingens Spätaussiedler. Auch in ganz Deutschland leben heute viele Nachkommen russlanddeutscher Familien – ebenso in Kanada, den USA, Argentinien, der Ukraine, Russland und Kasachstan.

Dr. Tatjana Schell aus Bamberg sprach über nordamerikanische Vereine und das kulturelle Erbe der Schwarzmeerdeutschen.

Die Rolle der Gesellschaft „Wiedergeburt“

Von großer Bedeutung sind auch heute noch die Interessenvertretungen der Deutschen in den Nachfolgestatten der ehemaligen Sowjetunion, wie zum Beispiel die regionalen Gliederungen der Gesellschaft „Wiedergeburt“. Viktoria Brandt aus Odessa stellte die Arbeit der regionalen Gesellschaft der Ukrainedeutschen in ihrer Heimatstadt vor, wobei sie von Tetyana Schlepp aus Nürnberg unterstützt wurde.

Am Samstagabend las Markus Berges aus Köln aus seinem bereits viel beachteten Roman „Die Köchin von Bob Dylan“ und bildete damit einen Höhepunkt des kulturellen Programms.

Abschluss

Am letzten Tag führte Gustav Binder die Teilnehmer durch den historischen Stadtkern von Bad Kissingen, das einst beliebtes Reiseziel von Otto von Bismarck, Lew Tolstoi und vielen anderen Berühmtheiten war. Besichtigt wurden mehrere Kirchen, das Rathaus, der historische Wachturm, die Arkaden, das Ufer der Fränkischen Saale sowie die prachtvollen Kuranlagen.

Unter der Moderation des BKDR-Geschäftsleiters Waldemar Eisenbraun wurden zahlreiche Bücher aus dem BKDR Verlag unter den Teilnehmenden verlost. Die kulinarischen Präsente in Form von Fläschchen mit echt Bad Kissinger Senföl fanden besonders viel Anklang.

Abschließend dankte Waldemar Eisenbraun allen Beteiligten und bewertete die Fachtagung als einen wichtigen Beitrag zur Bewahrung und Popularisierung der Kultur und der Geschichte der Schwarzmeerdeutschen.

Elena Paschke

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