Wie gut, dass es manchmal anders kommt als geplant. Zum Beispiel war es von niemandem geplant, dass die Gastarbeiter, die Anfang der 60er Jahre kamen, heute immer noch in Deutschland leben.

Ein paar Jahre sollte ihr Aufenthalt dauern, so war es zwischen den Staaten in den Anwerbeabkommen vereinbart, um den Arbeitskräftebedarf in der Industrie zu decken. Und so sahen es auch die Gastarbeiter selbst, die mit dem gesparten Lohn nach ihrer Rückkehr in ihre Heimatländer eine neue Existenz aufbauen wollten. Doch die Ersparnisse wuchsen nur langsam und die Wirtschaftssituation in den Herkunftsländern veränderte sich in der Zwischenzeit. Die ursprünglichen Pläne konnten nicht realisiert werden, der Aufenthalt in Deutschland verlängerte sich, Jahr um Jahr verstrich. Schließlich holten die Arbeiter ihre Familienangehörigen nach. Damit wuchs auch der Bedarf nach heimischen Produkten. Die Zuwanderer eröffneten Kioske und kleine Läden. Mit den Massenentlassungen aus der Industrie verloren immer mehr Gastarbeiter ihre Arbeit und fanden schließlich im Handel und Reisegewerbe ihre Existenzgrundlage. Aus den kleinen Läden und Imbissbetrieben wurden mit der Zeit Supermärkte, Produktionsstätten, Reisebüros und Restaurants. Die nachwachsende Generation erfuhr in Deutschland ihre Sozialisation und hat eine Ausbildung durchlaufen, viele sind inzwischen eingebürgert. Heute sind die Menschen mit Migrationshintergrund Ärzte, Anwälte, Lehrer, auch Politiker und Künstler. Bedenkt man, dass seit den Anfängen der Gastarbeiterbewegung gerade mal 45 Jahre vergangen sind, wird die Dynamik der Migrationsgeschichte deutlich. Ohne die Zuwanderer würde vieles fehlen. Die Geschäfte und Gastronomiebetriebe sind zu einem festen Bestandteil der Angebotsstruktur geworden und heute aus dem Lebensalltag nicht mehr wegzudenken. Auch das Interesse an der Kultur wächst. Türkisch, Russisch und viele andere Sprachen können in den Volkshochschulen bei Muttersprachlern gelernt werden. Und wen das immer noch nicht überzeugt, dass die Zuwanderung eine Bereicherung bedeutet, der mache sich klar, dass Migrantenunternehmen Arbeitsplätze schaffen, zur Wirtschaftsleistung und internationalen Orientierung des Landes beitragen. Mehr noch, ohne die Zuwandererfamilien hätte Deutschland einen Bevölkerungsverlust und eine Überalterung der Gesellschaft zu erleiden. Sicherlich sind mit der Migration auch Probleme verbunden – die Lage auf dem Arbeitsmarkt, Angst vor Überfremdung usw. Aber in der Bilanz muss man sich doch fragen, was den größeren Verlust darstellt: eine Zuwanderung mit Integrationsproblemen oder eine Gesellschaft ohne Zuwanderung. Nun will es die Natur des Menschen so, dass er den Fokus lieber auf Probleme richtet. Hätte man seinerzeit zur Entscheidung gestellt, ob man die heutigen Probleme in Kauf nehmen wolle, hätte sich manch einer dagegen entschieden. Gott sei Dank wurde diese Frage nicht gestellt. Denn dann hätte diese unauffällige, beinahe heimliche, und doch dynamische Entwicklung nicht stattfinden können. Vielleicht sollte uns das eine Lehre sein, dass nämlich manchmal etwas besser entsteht und gedeiht, wenn man nicht steuernd eingreift.

Von Julia Siebert

27/01/06

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