Wenn man auf eines nie verzichten muss, dann sind es schlaue Ratschläge. Ob man sie braucht oder nicht. Und wenn man sich auf eines verlassen kann, dann darauf, dass sich immer irgendwer findet, der sich in Dinge einmischt, die gerade gut und glatt laufen, um diese Dinge komplizierter zu machen.

Wie jetzt beim Orgeln in der Kirche. Ich konnte mir schnell und ohne Federlesens bei der Pfarramtsfrau den Kirchenschlüssel holen. Ging in die Kirche, wann ich wollte. Spielte Orgel, wie ich wollte. Freute mich. Gab den Schlüssel wieder ab. Und wieder von vorn. Alles war bestens. Doch jetzt mischt sich der Pfarrer ein, und alles wird komplizierter.

Keinen Atemzug nach unserem ersten Hallo ermahnte er mich, immer schön das Licht auszumachen. Licht aus? Ja, klar! Immer! Doch ein Pfarrer lässt sich nicht so schnell überzeugen. Aber zuletzt nämlich hätte es gebrannt, das Licht, und er, der Pfarrer, hätte es ausknipsen müssen. Tja, kann sein, sagte ich, aber ich mache es immer aus. Und wollte gehen. Der Pfarrer war aber noch nicht fertig mit der Angelegenheit. Dann wird es wohl jemand anders gewesen sein, musterte er mich skeptisch über seine Brille hinweg. So nach dem Motto: Wenn man schon Fehler macht, sollte man sie wenigstens zugeben. Von wegen Beichte und so. Ich blieb dabei. Keine Tat. Kein Eingeständnis. Beim Rausgehen spürte ich noch seinen Blick in meinem Nacken.

Auch beim nächsten Mal kam ich nicht schnell genug durch die Tür. Welches Stück ich gerade üben würde. Immerhin keine Ermahnung. Die Toccata von Bach. Welche? Es gebe ja mehrere. Eigentlich eine einfache Frage, doch atmosphärisch spürte ich, dass dies KEIN Fachgespräch über die Musik im Allgemeinen, die Bach´sche Musik im Besonderen oder Toccaten als solche geben sollte. Wollte er mein Wissen testen oder mit seinem angeben? Ich stellte mich naiv und stimmte das Stück kurz an: Da da daaa! Da da da da daaa da!

Das Stück sei schwierig, ich solle beim Spielen nicht pfuschen. Aha, da kam sie also, die Ermahnung. Hatte ich es doch geahnt. Das Ganze musste von vornherein und für alle Ewigkeit abgekürzt werden, weil ich für Ermahnungen zu alt bin. „Ich sag´s Ihnen gleich, ich pfusche aber!“ Nein, das solle man aber nicht, lieber langsam spielen. Ich berief mich insgeheim auf die Freiheit, Ratschläge anzuhören, ohne sie anzunehmen, nickte nach außen hin ein kurzes Jaja, nahm die Klinke in die Hand und fühlte mich schon entkommen, da erwischte mich noch sein Nachsatz: Er käme mal hören.

Hilfe! Das heißt, die Diskussion darum, wie ich das Stück spielen soll, scheint nur aufgeschoben und an einem anderen Kriegsschauplatz, dem Ort des Geschehens, also an der Orgel selbst, ausgetragen zu werden. Och nöö, bisher hat mich das Gestümper auf der Orgel so glücklich gemacht. Um mir diese Freude zu erhalten, muss ich mir wohl erst den Pfarrer vom Hals wegdiskutieren. Meine Argumentationslinie: dass es sicher nicht in Gottes Sinne sei, sich dem Perfektionismus zu verschreiben und dabei verkniffen und verbissen zu sein, sondern lieber ein fröhliches Schäfchen, das sich mal im Ton vergreift, dabei aber Freude erlebt und verbreitet.

Ob ihn das überzeugt? Es bleibt die böse Vorahnung, jetzt alle Naselang den Pfarrer im Nacken sitzen zu haben, der mir ungebeten auf die Finger schaut und mich zu belehren versucht. Aber ach, wie ich eingangs schon bemerkte, kaum hat man Spaß, kommt von irgendwoher eine Spaßbremse, manchmal auch im schwarzen Gewand.

Julia Siebert

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