Wo trifft man die meisten Russen in Deutschland? Natürlich auf einer Russendisko! In eine der größten Deutschlands, der  „Rush Hour” in Dortmund, kommen jeden Samstag über 3000 Jugendliche und es wird ausgelassen getanzt und Wodka getrunken – und nicht nur russisch gesprochen.

Die blonde Tanja in kurzem Minirock steht vor dem Spiegel in der Toilette und schminkt sich die Lippen. „Der Typ da, der ist doch geil”, sagt sie zu ihrer Freundin. „Komm, lass uns doch tanzen, mein Lieblingslied „Natascha” wird gerade gespielt, das gefällt dir doch auch”, erwidert die Freundin, und die beiden gehen mit wackelnden Hüften auf die Tanzfläche.
Die Haupthalle der Russendisko „Rush Hour“ in Dortmund scheint ein bisschen wie der Laufsteg bei einer Modenschau. Mädchen, geschminkt wie für ein Fotoshooting, sind in Miniröcken und Blusen mit tiefem Ausschnitt unterwegs. Manche kommen sogar im Abendkleid, und alle laufen auf hohen Absätzen. Nach russischer Tradition muss eine Frau schick aussehen. Viele Jungs sehen aber dagegen typisch deutsch aus. Gelfrisuren, enge T-Shirts, solariengebräunte Gesichter und Oberarme. Solche Macho-Typen sind in Russland nicht so verbreitet.
Sonst ist hier alles genau wie in einer russischen Disko: Es gibt russische Musik, russisches Essen aus dem russischen Laden, russischen Wodka. Aber das allein macht auch die Dortmunder Russendisko nicht russisch. „Für mich ist eine Russendisko vor allem etwas, wo die Russen gern hingehen”, sagt die 19jährige Natascha aus Dortmund, die vor 13 Jahren mit ihren Eltern aus Kasachstan nach Deutschland gekommen ist. „Hier im „Rush Hour” ist die Atmosphäre ganz anders als in deutschen Klubs. Die Leute sind freundlicher und offener. Es ist so, als ob alle einander sehr gut kennen.“
Der 29jährige Milan, Halbserbe, ist Stammgast hier. Es macht ihm Spaß, hier tanzen zu gehen. Oft bringt er seine Freunde mit, damit sie sehen, dass Russen gar nicht so gefährlich sind. „Die sind nicht so, wie alle Deutschen sie sich vorstellen. Russen sind keine aggressiven Iwans mehr”, sagt er.
Raissa ist Mitte Dreißig und liebt die russische Musik der 80er und 90er Jahre, die in der „VIP”-Halle gespielt wird. „Es ist schwer zu erklären, warum ich jeden Samstag hier bin, es zieht mich einfach zu den Russen. Ich entspanne mich sehr, wenn ich mal wieder russisch sprechen kann”, erzählt sie.
Doch die russische Sprache fehlt dann später in der Nacht. Die meisten Besucher sind Kinder von Russlanddeutschen und leben schon über zehn Jahre in Deutschland. Je mehr getrunken wird, desto schwerer fällt es manchen, sich auf Russisch zu unterhalten. Lilja (18) hat heute schon etwas tiefer ins Glas geschaut. Auf Russisch stammelt sie: „Ich bin ja nicht so blöd und gehe in eine deutsche Disko”, das ist ihr einziger Kommentar. Dann bestellt sie noch 50 Gramm Wodka. Die Kellnerin stimmt zu, Wodka sei das Lieblingsgetränk der meisten Kunden hier, auch der Mädchen. Selbst die Deutschen bestellen hier Wodka, weil sie in der Russendisko sind. „Ich mag aber die russischen Kunden mehr. Das ist wie in Russland, die kommen zur Theke, um Bekanntschaften zu machen, sie reden viel, machen Witze, und die Deutschen bestellen einfach ihr Getränk und gehen”, erzählt die Frau hinter der Theke.
Die meisten Besucher sind Kinder der aus Russland eingewanderten Deutschstämmigen. Sie wurden in der Sowjetunion geboren, gingen da in die Schule, sprachen Russisch und hörten russische Lieder. Einen Teil der russischen Kultur haben sie verinnerlicht und nach Deutschland mitgebracht. Manches vermissen sie hier. So ist die Russendisko jeden Samstag auch eine Erinnerung an das Alte zu Hause. Thomas (23) aus Lennestadt-Altenhundem sagt: „Ich bin hier unter meinen Landsleuten. Alle sind genau so wie ich, haben einen ähnlichen Hintergrund und gleiche Erfahrungen gemacht. Es ist schwer für unsere Generation. Wir waren die Deutschen in Kasachstan, kamen in die Heimat unserer Ureltern und sind jetzt hier die Russen”, erzählt er. „Deswegen fühle ich mich hier in der Disko sehr wohl. Ich kann Späße machen, die die Deutschen nie verstehen würden. Sie haben ganz andere Einstellungen.”

02/12/05

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