Die „samtenen” Revolutionen der vergangenen Jahre sorgen dafür, dass jede Wahl in einem postsowjetischen Land argwöhnisch im In- und Ausland beäugt wird. Anfang Dezember finden in Kasachstan die Präsidentenwahlen statt, doch mit ähnlichen Ereignissen wie in der Ukraine oder Kirgisien ist nicht zu rechnen.

In Kasachstan finden am 4. Dezember Präsidentenwahlen statt. Schon diese Tatsache allein gibt Anlass zu Erwägungen in den Massenmedien über die Möglichkeit einer weiteren „samtenen” Revolution im postsowjetischen Raum.

Allerdings sind solche Diskussionen im Vorfeld der Wahlen das Einzige, was dieses Land mit der Ukraine, Georgien oder Kirgisien gemeinsam hat: In Kasachstan gibt es keinen politischen Willen, der fähig wäre, eine wirkliche Alternative zum jetzigen Präsidenten zu bilden.
Die Frage einer „samtenen Revolution” beginnt immer mit der Frage nach dem Zustand der Opposition. Damit diese handlungsfähig ist, sind drei Faktoren erforderlich: Die Schwächung der regierenden Elite in Bezug auf das Elektorat und die Machtressource, die Konsolidierung der Opposition mit einer gemeinsamen Führungsperson, und das Vorhandensein einer konkurrenzfähigen „nationalen” Idee bei ihr. Die Opposition in Kasachstan hat keinen dieser Faktoren. Am wichtigsten ist aber, dass die kasachische Opposition der Gesellschaft keinen eigenen „Juschtschenko” oder „Saakaschwili” anbieten kann.

Der Anfang war sehr vielversprechend. Im Oktober 2004 kam es zu einem symbolischen Ereignis in Kasachstan: Der Vorsitzende der Maschilis (Parlament), Scharmachan Tujakbai, Mitglied des Präsidententeams, wechselte ins Lager der Opposition über. All das war eine totale Überraschung für Beobachter: Er hatte bis zum Jahr 2000 das Amt des Generalstaatsanwalts von Kasachstan inne, dann nahm er an den Parlamentswahlen teil und wurde mit Unterstützung des Präsidenten zum Parlamentsvorsitzenden. Im Sommer 2004 stand sein Name an der Spitze der Liste der präsidententreuen Partei „Otan” für die für den 19. September ausgeschriebenen Wahlen zur Maschilis. Doch kurz nach der Auswertung der Wahlergebnisse hat Tujakbai seinen Rücktritt vom Amt des Parlamentsvorsitzenden, das Niederlegen seiner Vollmachten als Abgeordneter und den Austritt aus der Partei angekündigt.

Wechsel ins andere Lager

Diese so drastische Wende im Schicksal der drittwichtigsten Person im Machtsystem Kasachstans hatte einen durchaus banalen Grund: Angesichts des unklaren weiteren Schicksals von Nursultan Nasarbajew  hatte sich der Machtkampf innerhalb der regierenden Elite verschärft. Zu diesem Zeitpunkt dominierten Tujakbais politische Ambitionen. Die Rolle einer „Lokomotive” für die „Partei der Macht”, ohne die Perspektive, greifbare Dividenden nach den Wahlen zu bekommen, passte ihm nicht mehr. Wie bekannt wurde, wollte Nasarbajew Tujakbai nicht mehr als Vorsitzenden des neuen Parlaments sehen, und der künftige Oppositionsführer wurde einfach zu einem weiteren „gekränkten” Politiker, der unter den neuen Verhältnissen nicht mehr gefragt war.

Letzten Endes hat Tujakbai durch scharfe Kritik an der Macht sich selbst vor der Opposition präsentiert. In jenen Tagen Ende 2004 war in der Ukraine die „orangene Revolution” voll im Gange, vor diesem Hintergrund sah der Parlamentsvorsitzende dem ehemaligen Premier Viktor Juschtschenko sehr ähnlich. Tujakbai gestaltete seine eigene Kampagne ebenfalls auf der Grundlage der Fairness und der Notwendigkeit, das politische System zu demokratisieren, gleiche Bedingungen für alle politischen Kräfte zu schaffen usw.

Zu diesem Zeitpunkt entstand tatsächlich der Eindruck einer äußerlichen Ähnlichkeit der politischen Geschicke der Ukraine und Kasachstans. Es wurde sogar die effektvolle Idee hervorgebracht, im Land ukrainische Kastanien anzupflanzen, die zum Symbol der „Kastanienrevolution” auf kasachische Art werden sollten.

Aber schnell wurde klar, dass die kasachische Opposition keineswegs der Rolle einer „samtenen” Opposition gewachsen ist. Der gebildete Block der demokratischen Kräfte „Für das gerechte Kasachstan”, von dem Tujakbai als Präsidentschafts-Kandidat aufgestellt wurde, ist keine konsolidierte Opposition. Der Hauptkritiker der Macht, die Partei „Ak Schol”, gehörte von Anfang an dem Block an, aber dadurch wurde die Partei selbst gespalten. Ein Teil ihrer aktiven Mitglieder unter Leitung des Hauptoppositionellen Alichan Baimenow beschloss, an den Präsidentenwahlen selbständig teilzunehmen, während im Block ein Klon der Partei – der „Echte Ak Schol” – verblieb. Alle anderen Politiker, die bei den Präsidentenwahlen bereits registriert sind, kandidieren nach dem Prinzip der Selbstaufstellung und können keine wirkliche Konkurrenz gegen Nasarbajew bilden.

Opposition uneinig

Also: Die Opposition als solche ist zerstreut, und ihre Tätigkeit beruht auf den Ambitionen einzelner Figuren, die keinen Platz innerhalb der regierenden Elite finden konnten. Unter solchen Verhältnissen ist es für sie schwer, sich miteinander zu verständigen. Und das auch aus dem Grunde, weil die Opposition keine starke Idee hat, die der Gesellschaft eine alternative Entwicklung des Landes anbieten könnte, wie das beispielsweise in der Ukraine mit der Idee von Viktor Juschtschenko über die Eurointegration der Fall war.

Als Vertreter des älteren „Schus” (Süden des Landes) integriert Nursultan Nasarbajew harmonisch die Interessen des mittleren und des jüngeren „Schus“ (Osten und Westen) in die Macht und schafft dadurch ein stabiles Gleichgewicht.

Doch den Hauptausschlag gegen die Perspektiven einer „samtenen Revolution” in Kasachstan hat die Machtkrise in der Ukraine gegeben. Der erfolgreiche Fortgang der „Revolutionen” in Georgien und in der Ukraine hatte einen starken psychologischen Effekt. So entstand der Glauben, durch die „Straße” die Machtorgane unter Druck zu setzen und an die Macht zu kommen. Aber  sowohl in Kirgisien, wo die an die Macht getretene Gruppe am Rande der Spaltung steht, als auch in der Ukraine, wo die Spaltung schon eingetreten ist, sind die Früchte der „samtenenen Revolutionen“ noch unreif. (Ria Nowosti)

25/11/05

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