Fast jeder von uns hat morgens das gleiche Problem: Was soll ich heute anziehen? Diese Frage ist nicht nur für junge Damen existenziell, sondern ein Problem auf der ganzen Welt.
/Bild: Kristina Ogonjanz. ‚In den Spiegel schaut nicht jeder mit Vergnügen.’/
Die hektische Suche nach passender Kleidung und das kritische Selbstbeäugen im Spiegel verschlingen geschlechterübergreifend durchschnittlich 30 Minuten pro Tag. Aber das nur im besten Fall. Junge Frauen verbringen doppelt so lange, etwa 3 Jahre ihres Lebens, vor dem Spiegel. Was nun junge Menschen so lange vor den Spiegel zwingt, ist eine Frage, die an der Spitze vieler soziologischer Untersuchungen steht.
Dysmorphophobie – eine ernstzunehmende Krankheit
Im „Handbuch des Psychiaters“ findet sich der Begriff Dysmorphophobie, der aus dem Griechischen etwa so übersetzt wird: dys = schlecht, morph = Gestalt, phobos = Angst. Es handelt sich dabei um eine gestörte Wahrnehmung des eigenen Körpers, die sich nicht nur bei Teenagern im Altern von 14 bis 17 Jahren, sondern auch bei Leuten über 18 beobachten lässt. Nach Angaben der World Health Organization (WHO) leidet jeder fünfte Teenager an einer solchen Störung.
Hauptthema sind meist Mängel im Gesicht. Auch um zu große oder kleine Füße können sich Ängste ranken. Aber die Unzufriedenheit beschränkt sich oft nicht nur auf das Äußere. Aggression, Depression und andere Folgen sind ständige Satelliten der betroffenen Jugendlichen. Bis zu mehreren Stunden täglich können die Opfer von zwanghaften Gedanken geplagt werden. Etwa ein Drittel träumt von einem neuen Gesicht oder einer Schönheitsoperation. Auch Furcht vor Kontakt mit anderen Menschen, sei es nur beim Einkaufen oder im Park, gehört zum Erscheinungsbild der Dysmorphophobie. Aber wo liegen ihre Wurzeln?
Die meisten Wissenschaftler glauben, dass nicht Selbstgefälligkeit oder Eitelkeit, sondern Angst Jugendliche so viel Zeit vor dem Spiegel verbringen lässt. Viele erklären die Situation mit Besonderheiten der Körperwachstumsperiode und der sich dabei verändernden Körperwahrnehmung. Wenn keine objektiven Ursachen, wie zum Beispiel Behinderungen, Entstellungen oder Verletzungen vorliegen, geht man von einem Ungleichgewicht zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung aus.
Die größte Einigkeit besteht in dem Punkt, dass die Ursachen in der Familie und dem sozialen Umfeld der Jugendlichen zu suchen sind. Oft sind es an die Erwachsenen gerichtete Hilferufe: „Ich bin meiner selbst nicht sicher, ich brauche Bestätigung“. Dabei ist es egal, ob es sich um kommunikationsfreudige Jungen und Mädchen oder Einzelkämpfer handelt.
Das Äußere ist gar nicht so wichtig
Es ist anzuzweifeln, dass wirklich jeder, der als Teenager viel Zeit vor dem Spiegel verbringt oder sich hässlich fühlt, an echter Dysmorphophobie leidet. Die meisten Symptome verfliegen mit zunehmender Reife und dem Verständnis dafür, dass das Äußere gar nicht so furchtbar wichtig ist. Das Aussehen ist auch ein Mittel, eigene Gefühle auszudrücken. Die Erwachsenen sollten Teens sein lassen, wie sie sind und ihnen nichts einreden. Und junge Leute müssen sich ihres Äußeren nicht schämen und sollten aufpassen, dass sie ihr Leben nicht nur in der Welt der Spiegel verbringen. Wenn das Aussehen zum alles beherrschenden Thema wird, könnte das böse Folgen haben. Man denke nur an Schneewittchen.
Von Kristina Ogonjanz
24/10/08