Kasachstan will bis 2050 zu den 30 höchstentwickelten Staaten auf der Welt gehören. Um dieses Ziel zu erreichen, muss Kasachstans Ökonomie diversifiziert werden. Doch wie kann die auf Ressourcen basierende Wirtschaft in eine moderne, industrielle umgewandelt werden? Mit dieser Frage beschäftigt sich die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in ihrer Publikation „Transformation der Wirtschaft Kasachstans“.
„Kasachstan muss wirtschaftlich seinen eigenen Weg gehen. Kopiert nicht Russland oder China!“, mahnt Thomas Helm, Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Astana. Deutsche Firmen orientieren sich an den größeren Märkten. Mit dem flächenmäßig größten Land und dem einwohnerreichsten Land der Erde als Nachbarn könne Kasachstan nicht konkurrieren.
Bereits zum zweiten Mal präsentiert die KAS den Sammelband „Transformation der Wirtschaft Kasachstans“. Seit der Erstauflage 2017 hat sich viel getan. Ein Grund, weshalb das Buch dieses Mal mehr als doppelt so dick wie sein Vorgänger ist. Vor allem die Rahmenbedingungen für Kasachstans Wirtschaft haben sich geändert und zeigen auf: Die Regierung muss handeln.
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Das Grundproblem der Wirtschaft Kasachstans ist nach wie vor deren Ressourcenabhängigkeit. 2017 machte der Gas– und Ölsektor 18 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus. Deutlich zu erkennen ist dabei: Wuchs das BIP 2014 noch um 4,1 Prozent, betrug das Wachstum nach dem Preiseinbruch im Jahr 2015 nur noch
1,2 Prozent. Der Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) fällt es derweil immer schwerer, die Ölpreise festzulegen – auch weil sich Nicht-OPEC-Mitglieder wie Kasachstan nicht an die vereinbarten Fördermengen halten.
In unmittelbarer Nachbarschaft ist Usbekistan „aufgewacht“, wie Helm es formuliert. Die wirtschaftlichen Reformen machen das Land wieder attraktiver für Investoren – auch für deutsche Unternehmen. Dass Usbekistan wirtschaftlich zulegt, eröffnet für Kasachstan neue Möglichkeiten. Allerdings ist es auch ein „Weckruf“, denn mit seinen mehr als 30 Millionen Einwohnern hat Usbekistan einen größeren Markt und ist somit eine nicht zu unterschätzende Konkurrenz in der Region.
Innerstaatliche Probleme seien weiterhin die grassierende Korruption, gegen die nur langsam angegangen werde, so Helm. Am Ende stimmte der KAS-Leiter aber positiv: Kasachstan habe eine junge Bevölkerung, die bereit ist, zu arbeiten. Eine große Chance sieht er zudem in der Digitalisierung, die nicht nur möglich ist, sondern „möglich sein muss“.
Der Politikwissenschaftler Dossym Satpajew wies in der Diskussion darauf hin, dass Kasachstan aufgrund seiner wirtschaftlichen Abhängigkeit nicht Subjekt, sondern Objekt internationaler Politik sei. Das betreffe die Ölpreise, aber beispielsweise auch die Sanktionen gegen Russland, von denen Kasachstan als Teil der Eurasischen Wirtschaftsunion indirekt betroffen sei. Und auch eine Rezession der chinesischen Wirtschaft hätte unmittelbare Folgen für Kasachstan, das viel Hoffnung in das Seidenstraßenprojekt steckt.
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Spitz formulierend, sprach Satpajew wichtige Punkte an, die die Entwicklung Kasachstans hemmen: Es fehle an ausreichend guten Bildungsmöglichkeiten für die Mittelklasse. Die Jugend verlasse das Land, die zunehmende Nationalisierung schüre Misstrauen. Außerdem verstünden es die Kasachstaner nicht, mit Geld umzugehen. Es sei eben leichter, einen Kredit aufzunehmen, anstatt zu sparen.
Politisch fehle es an Wettbewerb, meint der Politikwissenschaftler. Manche Entscheidungen verzögerten sich grundlos. „Schon in den 90er Jahren haben wir über ein wirtschaftliches Fundament gesprochen, das bis heute nicht geschaffen wurde“, so Satpajew. Und manche Entscheidungen seien wirtschaftlich einfach unsinnig, wie die Förderung der Urbanisierung. „Wir können nicht alle in zwei Zentren [Almaty und Astana] leben, während die Regionen ausbluten.“ Auch deshalb gebe es kein Vertrauen in staatliche Institutionen. „Die Elite vertraut der Regierung nicht und schickt ihre Kinder lieber ins Ausland.“
Unter den externen Akteuren sei vor allem China nicht zu unterschätzen, warnt Adil Kaukenow. Das Reich der Mitte hat sich in den vergangenen Jahrzehnten zu Kasachstans zweitgrößtem Handelspartner nach der Europäischen Union gemausert. 2017 betrug das Handelsvolumen 11,7 Milliarden US-Dollar. Und es investiere nicht nur in die Wirtschaft und Infrastruktur Kasachstans, sondern auch in Menschen, so der China-Experte. 25.000 Stipendien stellt China für Studenten aus Zentralasien zur Verfügung, den Großteil davon in Kasachstan. Derzeit studieren etwa 18.000 Kasachstaner in China. Doch während der Einfluss Chinas in Kasachstan wächst, fehlt es hierzulande an einer entsprechenden Expertise, da an den Universitäten kaum Sinologie unterrichtet werde, so Kaukenow.
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Momentan gehört Kasachstan zu den Ländern mit einem „höheren mittleren Pro-Kopf-Einkommen“. Allerdings muss es aufpassen, nicht dort hängen zu bleiben, wie es Brasilien und Südafrika ergangen ist, die seit Jahrzehnten auf diesem Wirtschafslevel stagnieren. Um aus der sogenannten Middle-Income-Trap herauszukommen, muss die Wirtschaft um mindestens fünf Prozent pro Jahr wachsen. Aufgrund der niedrigen Ölpreise und angesichts der fortschreitenden Devaluierung des Tenge sieht es danach momentan eher nicht aus.
Perspektivisch muss Kasachstan seine Wirtschaft transformieren, wenn es die selbst gesteckten Ziele erreichen will. Darüber sind sich alle Experten einig: weg von einer ressourcenbasierten Wirtschaft, hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft. Als Land auf zwei Kontinenten und zwischen zwei Großmächten gelegen, hat es beste Voraussetzungen, ein Transitland zu werden und davon zu profitieren. Im Wettbewerb um Einfluss könnte es sowohl das Interesse Russlands als auch Chinas für sich nutzen.