Fastenzeit hat eigentlich mit Verzicht zu tun. Doch in Bayern gilt sie traditionell auch als die Zeit der Starkbierfeste.

Der oberbayrische Wallfahrtsort Mindelstetten liegt idyllisch zwischen den Feldern. Die nächste große Stadt ist 25 km entfernt. Es scheint, als würde es nicht viele Möglichkeiten zur Abendgestaltung geben. Gerade war noch Fasching, jeder kleine Verein hat ein Fest abgehalten (eines zum Tanzen und Feiern, ohne politischen Hintergrund). Nun ist Fastenzeit. Und tatsächlich halten sich auch viele daran und verzichten vorübergehend auf eines ihrer Laster: Fleisch, Süßigkeiten, Tabak oder Alkohol. Umso seltsamer muss es einem Außenstehenden vorkommen, dass sich bereits am Aschermittwoch, dem letzten Faschingstag, Jung und Alt auf den Starkbieranstich freut – der Moment, an dem das erste Fass geöffnet wird.

Das Starkbierfest in Mindelstetten wurde vor Kurzem vom eigens dafür gegründeten Kulurverein organisiert. Es ist eine Tradition, die lange Zeit vergessen war und nun bereits zum neunten Mal wieder abgehalten wurde. „Als wir mal am Stammtisch saßen, haben die Älteren vom früheren Starkbierfest erzählt, und wir fanden es schade, dass es das nicht mehr gab“, sagt Stephan Wibmer, der Vorsitzende des Vereins. Heute steht der Verein für den Erhalt und die Wiederbelebung von altem Brauchtum. Denn Starkbier hat eine lange Tradition:

Starkes Bier in der Fastenzeit

Der Legende nach schickte ein münchener Mönch dem Papst Starkbier nach Rom, um sicherzustellen, dass man es in der Fastenzeit trinken dürfe. Als es nach langer Reise ankam, war es fast ungenießbar. Der Papst fand schließlich, dass es kein Problem sei, wenn seine Mönche sich freiwillig so etwas auferlegten. Starkbier ist ein Bier mit einem Stammwürzgehalt, dem Anteil an Malz und Hopfen vor der Gärung, von mehr als 18%, wodurch es im Geschmack würziger und im Alkoholgehalt stärker wird. Zu erkennen ist es meist an humorvollen Namen mit der Endung „-ator“:  Multiplikator, Bambergator (Bamberger Tor), Aloisiator (nach dem Bier-

engel Aloisius), um nur einige zu nennen. Erstmals gebraut wurde es wohl von den aus Italien stammenden Paulanermönchen, die etwas suchten, um die Fastenzeit im kälteren Deutschland zu überstehen und so das einheimische Bockbierrezept vom Hofbräuhaus verstärkten.

Das Paulaner Starkbierfest am Nockherberg in München ist auch heute noch das bekannteste. Das Highlight der Veranstaltung ist, neben der Bierprobe, das „Dablecka“ der „Grouskopfertn“. Das ist Bayrisch und bedeutet so viel wie „sich ordentlich über die Obrigkeit lustig machen“. Geleitet wird die Veranstaltung traditionell von einem Kabarettisten als „Bruder Barnabas“ (dem ersten Festredner) oder, seit neuestem, als die „Mama Bavaria“ (die bayrische Version der Germania). Die bekanntesten von ihnen sind wohl Bruno Jonas und Django Asül. Der Nockherberg ist also ein politisches Ereignis, das auch Spaß machen soll.

Gleichzeitig scheinen solche Veranstaltungen auch der Völkerverständigung zu dienen: „Wir waren mit unserem Verein auch schon ein paarmal am Nockherberg zu Besuch und waren alle fasziniert, wie viele Kulturen sich bei so einem Starkbierfest treffen!“, schwärmt Herr Wibmer.

Alte Bräuche in moderner Gesellschaft

In kleinen Dörfern ist der Hauptzweck dieser Feste das gemütliche Beisammen Sitzen der Einwohner. Dort wird man keine namhaften Politiker antreffen, und die bösen Witze, die sich meist auf Regionalpolitik beschränken, sind zwar lustig, aber werden keinen bayernweiten Skandal verursachen. So ist es auch in Mindelstetten.

Trotzdem hat das Dorffest besondere Eigenarten: Gleich fällt die Natürlichkeit auf, mit der die Leute ihre Tracht tragen – es ist keine folkloristische Verkleidung, wie für die Besucher des Nockherbergs. Fragt man die Leute, warum sie das tun, sind sich alle einig: „Ja mei, des ghead si hoid.“ – Das gehört sich einfach. Man trägt Lederhosen und Dirndl aus Überzeugung, kombiniert sie aber oft mit T-Shirts oder Turnschuhen – ein Modefehltritt? Ein Mädchen mit einem schicken, glitzernden Hut zum Dirndl erklärt, dass sie eben gerne traditionell auf Feste geht, aber gleichzeitig modern aussehen möchte.

Es gibt eine ganze Philosophie zum Trachtentragen. Zum Beispiel sieht man immer mehr Frauen in Lederhosen: „Dirndl trägt man, wenn man schön sein muss. Lederhosen, wenn man Spaß haben will.“ – Die bequemen Lederhosen gehen nämlich nicht kaputt und dürfen nicht gereinigt werden: Je dreckiger sie sind, desto mehr Geschichten erzählen sie.

Bei spaßigen Spielen wie Baumstammsägen, einem Wettbewerb bei dem man mit einer alten Säge möglichst schnell eine Scheibe von einem Stamm absägen muss, oder dem Maßkrugstemmen, kann man dann nochmal seine Bodenständigkeit unter Beweis stellen. Das mag sich vielleicht albern anhören, ist es aber nicht: Es pflegt ein regionales Identitätsverständnis und ist kein Ausdruck von Rückständigkeit, sondern ein Zeichen dafür, dass man auch alte Werte in eine moderne Gesellschaft einbauen kann.

Und es wird Ernst genommen: Nicht nur ist das Fest immer gut besucht; seit man die regionale Biermarke Nordbräu ausschenkt, kommt sogar Besuch aus der Stadt: Brauereichefin Frau Wittman Ott kam persönlich in das 1.700-Seelen-Dorf, um an der Verköstigung Teilzunehmen – auch ein Zeichen dafür, wie wichtig sie die Wiederein-geführte regionale Tradition nimmt.

Von Emilie Caissier

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