Als Resultat der Kampfhandlungen in der Ukraine haben unzählige deutsche Unternehmen Russland den Rücken gekehrt oder bereiten Exit-Strategien vor. Um weiterhin auf dem EAWU-Markt aktiv zu bleiben, erwägen einige von ihnen, ihre Geschäftsaktivitäten nach Zentralasien zu verlagern. In unserem monatlichen Q&A gibt Michael Quiring von Rödl & Partner Einblicke in die aktuelle Lage und beantwortet Fragen über…

…die Delegationsreise, die der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft Mitte Mai nach Nur-Sultan organisierte, und ihre Bedeutung für Kasachstan:

„Es war mit über 60 Teilnehmern die größte Delegation seit Jahren, und das zeigt, dass die Attraktivität Kasachstans zunimmt. Zwar gibt es noch keine großangelegte Strategie, Russland in Richtung Kasachstan zu verlassen. Aber deutsche Unternehmen dort schauen durchaus, welche Vorteile das Land bietet – Stichwort Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der EAWU.

Manche deutsche Firmen in Russland suchen nach einem Ausweichmarkt, andere verlagern ihren Schwerpunkt. Denn für viele wird es kaum noch möglich sein, ihre Geschäftsaktivitäten in der Region Zentralasien von Moskau aus zu steuern, wie sie es vorher taten.“

…die Zahl der Firmen, die an einer Geschäftsverlagerung nach Kasachstan oder gar Usbekistan interessiert sind:

„Wir selbst beraten mehr als zehn Unternehmen mit entsprechenden Plänen. Insgesamt dürften es aber deutlich mehr sein, und das branchenübergreifend. Aus Usbekistan haben wir weniger Anfragen. Wir sehen aber, dass auch dorthin viele Russen gehen. Das Interesse der Deutschen, aber auch der Österreicher an dem Land ist groß. Dass sowohl Kasachstan als auch Usbekistan interessanter werden würden, war eine Prognose aufgrund früherer Erfahrungen. Denn als Russland 2014 die Krim annektierte, gab es ähnliche Tendenzen. Damals hatten wir über ein Jahr hinweg eine Welle von Neugründungen – monatlich etwa zwei bis drei.“

…die Gesellschaftsformen, die sich für einen Markteintritt in Zentralasien anbieten:

„Neben einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (sog. TOO/auf Deutsch: GmbH) können ausländische Unternehmen unselbständige Niederlassungen (Filialen bzw. Repräsentanzen) gründen.

Die einen wollen ihr Produkt von Deutschland aus verkaufen, und um verschiedene Märkte zu erkunden, eröffnen sie eine Repräsentanz. Das heißt, dass es einen Vertreter vor Ort gibt, der mit Abnehmern spricht und ihnen zeigt, was das Produkt kann. Im anderen Fall sieht ein Unternehmen mehr Perspektiven. Es hat seine Anlage, die es nicht nur verkaufen möchte, sondern darauf auch eine gewisse Gewährleistung gibt. Deshalb möchte es sie auch selbst zusammenbauen bzw. die Errichtung selbst überwachen. Hierfür lohnt es sich, eine GmbH zu errichten.“

…Mitarbeiter, auf die deutsche Firmen bei einem Umzug von Russland nach Kasachstan setzen könnten:

„Das muss man differenziert betrachten. Angenommen, man hat einen langjährigen Mitarbeiter in Russland, zu dem man als deutscher Mittelständler eine vertrauensvolle Beziehung aufgebaut hat – da stecken sehr viel Zeit, Ausbildung und Geld drin. Und Mitarbeiter, die Schlüsselpositionen besetzt haben, aber auch das Produkt und die Mentalität vor Ort kennen, sind hier schwer zu finden. Aber natürlich wird ein Unternehmer nicht alle Mitarbeiter aus Russland nach Kasachstan mitnehmen können. Schließlich gibt es Unterschiede in den Lebensstandards, die eine gewisse Überzeugungsarbeit erfordern.“

…mögliche Maßnahmen Kasachstans, um attraktiver für deutsche Unternehmen zu werden:

„Ein Problem, das es bis zu den Januar-Unruhen gab, waren sehr komplizierte Entscheidungen der Steuerbehörden. Die hiesige Steuerpraxis bereitet viele Probleme; daher wäre es zum Beispiel aus wirtschaftspolitischer Sicht wünschenswert und sinnvoll, wenn es für einen bestimmten Zeitraum Steuererleichterungen für ausländische Unternehmen gibt, die sich aus Russland zurückziehen. Das würde den Standort Kasachstan attraktiver zu machen.“

…Kasachstan als Ersatzlieferant von Rohstoffen für den Westen:

„Es gibt Gespräche zwischen Deutschland und Kasachstan über Öl und Gas. Aber die Frage ist, wie viel Kasachstan liefern kann und wie die Energieträger nach Europa gelangen. In Unternehmenskreisen gibt es Überlegungen, dass Kasachstan eine eigene Pipeline über das Kaspische Meer in Richtung Baku bauen könnte, das über die Türkei mit dem Westen verbunden ist. Hier ist allerdings aus geopolitischer Sicht die Frage, ob Russland dem zustimmen würde, denn das müsste im Einvernehmen aller Anrainer des Kaspischen Meeres geschehen.

Aber auch bei anderen Rohstoffen, vor allem Metallen wie Titan, Zinn, Zink, Nickel oder Aluminium, könnte es ein knapperes Angebot geben, wenn die Sanktionen gegen Russland noch weiter verschärft werden. In dem Zusammenhang dürfte das Rohstoffabkommen mit Kasachstan wieder interessanter werden. Dadurch ergeben sich wiederum Fragen an Logistiker, etwa nach den Routen und wie diese versichert sind.“

DAZ

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