Mit frischem Wind und begeisterter Stimmung fand am 27.-28. September in Berlin ein außergewöhnliches Kurzfilmfestival statt, das erstmals explizit Werke und Stimmen aus Zentralasien in den Mittelpunkt stellte. Hinter dem Format standen die Organisator:innen Amina Alish, Danyil Potopaiev, Gulnoza Irgasheva und Valeriya Kim, die gemeinsam eine Plattform für Austausch und Begegnung schufen. Zeitlich parallel zum Berliner Event lief an der Tashkent Film School eine Showcase-Veranstaltung, was den transregionalen Gedanken zusätzlich unterstrich.
Festivalleitung als Brückenbauer:innen
Die Organisator:innen wollten mehr als nur Filme zeigen – ihr erklärtes Ziel war es, einen offenen, Diskussionsraum zu schaffen. „Die Region Zentralasien war bisher nie wirklich im Fokus, sondern wurde meist nur als Anhängsel Osteuropas betrachtet. Dabei gibt es so viele authentische Konzepte, einzigartige Geschichte und Kontexte, die es verdienen, eigenständig gezeigt zu werden“, beschreibt Amina Alish die Motivation des Teams. Danyil Potopaiev ergänzt, wie vielfältig und vielschichtig die Sprachen, Kulturen und Identitäten der Region sind. Die Kuratorin Valeria Kim betont: „Wir wollten ein Format schaffen, das die Unterschiede sichtbar macht und einen echten Dialog ermöglicht.“
Die Filme griffen zentrale Fragen nach Zugehörigkeit und Erinnerung auf. Eine Beobachtung: Während Filmmacherinnen aus Europa oft Themen wie Heimatverlust, Sehnsucht und Identität behandelten, lag bei den zentralasiatischen Filmschaffenden der Fokus stärker auf Erinnerungsarbeit – sowohl kollektiv als auch individuell.
Vier Regisseurinnen, vier Erzählwelten
Zur Prämiere wurden die Filmmacherinnen eingeladen, die sich zur Zeit der Berliner Veranstaltung schon in Europa befanden, weswegen es eine Möglichkeit zum Austausch mit ihnen gab .
Gulzat Egemberdieva arbeitete fünf Jahre an „Neither on the Mountain, nor in the Field“. Der Film zeigt einen Erfahrungsaustausch zwischen Pamir-Kirgisen, die ihre frühere Heimat am afghanischen „Dach der Welt“ kürzlich verlassen haben, und einer Dorfbewohnerin in Kirgisistan. Gulzats Ansatz ist außergewöhnlich, weil sie akribisch Archive durchsuchte und damit historische Recherche mit künstlerischer Arbeit verband – eine Herausforderung, da nomadische Traditionen kaum Spuren in klassischen Archive hinterlassen haben.
Helena Alyona Kyn präsentierte mit „The Garden Had Not Disappeared“ einen fesselnden Film, der Kindheitserinnerungen und Familienbiografie mit mystischen Elementen verbindet. Durch die magisch aufgeladene Erzählweise im Film entsteht ein facettenreiches Bild von Erinnerung, Verlust und der stummen Kraft eines Gartens als Zeugin all dieser Geschichten.
Saadat Sataeva stellte ihren ersten dokumentarischen Film „Voiceless“ vor. Aus hunderten Stunden Videomaterial schuf sie eine intime Erzählung einer ungewöhnlichen Liebesgeschichte zweier Verliebten, wovon die eine in Kirgisistan war und die andere in der Ukraine, die dem Zuschauer über Telefonate und Onlinegespräche zwischen den beiden erzählt wird.
Sonya Imin, PhD Studentin in Brüssel, brachte mit „I am here“ eine persönliche Sicht auf die Uigurische Geschichte in Zentralasien auf die Leinwand. Das Werk thematisiert die Geschichte der Uiguren in Zentralasien, es bietet diaspora-spezifische Perspektiven und beleuchtet koloniale Grenzziehungen, welche die Identitäten in dieser Völkerschaft bis heute prägen.
Publikum voller Begeisterung und Vielfalt
Das Festival lockte ein außergewöhnlich diverses Publikum an: Neben Berliner:innen und internationalen Gästen waren auch viele mit zentralasiatischem Hintergrund gekommen – einige reisten eigens aus anderen deutschen Städten wie Bremen und Hamburg an. Das Echo auf die präsentierten Filme war überaus positiv; nach jeder Vorführung gab es begeisterten Applaus, vielfach setzten sich intensive Gespräche in den Foyers und während des Open Talks fort. Viele Besucher:innnen entdeckten Parallelen zu eigenen Familiengeschichten und teilten ihre Emotionen offen mit anderen.
Auffällig war die offene Atmosphäre bei allen Begegnungen. Die Festivalmacher:innen zeigten sich dankbar für die Unterstützung und das ehrliche Feedback der Community. Die Energie in den Sälen war spürbar, die Filme trafen einen Nerv und wurden als Bereicherung für die Berliner Kulturlandschaft empfunden.
Auch die parallel in Taschkent durchgeführte Veranstaltung, die „Showcase“ genannt wurde, traf auf großes Interesse – ein Zeichen für den wachsenden kulturellen Austausch zwischen beiden Städten.
Blick in die Zukunft
Das Organisationsteam hat ehrgeizige Pläne: Weitere Showcases in Europa sind geplant, ebenso die gezielte Förderung des kuratorischen Kerns und ein noch breiteres Einladen zentralasiatischer Filmschaffender. Berlin war also erst der Anfang. Der lebendige Dialog und die kreativen Impulse, die von diesem Festival ausgegangen sind, eröffnen nicht nur für die künstlerische Szene neue Perspektiven – sie könnten Berlin sogar zu einer dauerhaften Adresse für den zentralasiatischen Film und Diskurs machen.